Das wohl größte Hindernis für eine aktive Bevölkerungspolitik und wahrscheinlich der Hauptgrund für ihr Fehlen in der Strategie der Bundesregierung ist das Dilemma von Produktivität und Reproduktivität: Geburtenförderung verträgt sich nicht gut mit den Zielen kurzfristiger Wirtschaftspolitik. Wenn nämlich die Wirtschaft und die Einkommen wachsen, vergrößert das das entgangene Einkommen für Frauen, die zugunsten von Kindern zumindest zeitweilig nicht arbeiten. „Wirtschaftspolitik übt eine negative Nebenwirkung auf die Geburtenrate aus“, sagt Herwig Birg.
Aber auch der Umkehrschluss trifft zu. „Kinder sind sehr verführerisch“, so Hans Bertram, Soziologe und Berater von Familienministerin Schröder. Denn sie bringen ihre Mütter oder sogar Väter dazu, mehr Zeit mit ihnen statt mit der Steigerung des Bruttoinlandsprodukts zu verbringen.
Welche Arbeitszeitmodelle deutsche Unternehmen Familien anbieten
Die Teilzeit ist bei deutschen Firmen das beliebteste Arbeitszeitmodell, immerhin 79,2 % aller Unternehmen bieten sie ihren Angestellten an.
Das zweitbeliebteste Arbeitszeitmodell deutscher Unternehmen sind mit 72,8 % Individuelle Arbeitszeiten.
Die Flexible Tages- oder Wochenarbeitszeit bieten 70,2 % der deutschen Unternehmen an.
46,2 % der Firmen führen keine Arbeitszeitkontrolle durch, wenn ihre Angestellten familienbedingt kürzer treten müssen.
Nur 28,3 % der deutschen Unternehmen räumen ihren Mitarbeitern eine Flexible Jahres- oder Lebensarbeitszeit ein.
Gerade einmal 21,9 % der deutschen Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit der Telearbeit an.
Mit 20,4 % ist das Arbeitszeitmodell des Jobsharings in Deutschland äußerst begrenzt.
Ein Sabbatical kommt nur bei 16,1 % der deutschen Unternehmen als Arbeitszeitmodell in Frage.
Der von der Politik und Unternehmen propagierte Ausweg aus dem Dilemma ist erstens Einwanderung und zweitens die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Darauf zielen auch viele der in der Demografiestrategie zusammengefassten Maßnahmen: der Ausbau der Kinderbetreuung und „haushaltsnaher Dienstleistungen“, die Verbesserung der Bedingungen für ein längeres Arbeitsleben. Eine der neun Arbeitsgruppen, die auf dem Demografiegipfel der Bundesregierung im Oktober ins Leben gerufen wurden, hat sich gar die Schaffung einer „eigenständigen Familienzeitpolitik“ zum Ziel gesetzt, um die „Zeitsouveränität“ von Familien zu erhöhen. Aber Zeit ist eine knappe Ressource und Konflikte mit den wirtschaftspolitischen Zielen der Demografiestrategie - „Mobilisierung aller Potenziale zur Sicherung der Fachkräftebasis insbesondere auch weiblicher Fachkräfte“- sind da unvermeidlich. Arbeitswelt und Familienleben liegen im Dauerclinch um die Zeit jedes einzelnen Menschen.
Abkehr vom "Vollzeitregime"
„Für alle reichen Länder, übrigens einschließlich Skandinaviens, gilt, dass Frauen oder Paare umso mehr Kinder haben, je mehr freie Zeit ihnen gewährt oder auch aufgedrängt wird“, sagt Wolfgang Streeck, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Kein Zufall sei es, dass Teilzeitbeschäftigte im öffentlichen Dienst, Migrantinnen der ersten Generation und Sozialhilfeempfängerinnen überdurchschnittlich viele Kinder haben – und Akademikerinnen mit guten Beschäftigungsaussichten besonders wenige.
Streeck fordert daher die Abkehr vom „Vollzeitregime“. Oberstes Ziel einer kinderfreundlichen Politik müsse sein, diejenigen zu schützen, die sich für eine neue Aufteilung von Erwerbsarbeit und Familienleben entscheiden: durch verbindliche Verkürzung der Arbeitszeit, verbesserten Kündigungsschutz, erweiterte Rechte auf Wiedereinstellung und Weiterbildung, Flexibilisierung der Arbeitszeit nach Bedürfnissen des Arbeitnehmers, Beendigung jeglicher Diskriminierung bei Teilzeitarbeit, veränderte Karrierestrukturen und Beförderungswege.
Vermutlich würde eine ernsthafte, konsequent kinderfreundliche Bevölkerungspolitik kurz- und mittelfristig Produktivitätseinbußen für die deutsche Wirtschaft bedeuten. Aber langfristig dürfte auch für Arbeitgeber eine Altersstruktur nach dem Bild des Kebap-Spießes, wie sie die Demografiestrategie der Bundesregierung präsentiert, die schlechtere Aussicht bieten.