Günter Krings, CDU-Bundestagsabgeordneter und demografiepolitischer Sprecher seiner Fraktion ist anderer Ansicht – zumindest behauptet er das. „Es gab einen großen Konsens in der Fraktion, dass wir mutiger sein sollten beim Ziel, die Geburtenzahlen zu steigern.“ Allzu wichtig war den Unionsabgeordneten dieses Ziel dann aber wohl doch nicht, denn im Positionspapier der Fraktion, das unter Krings’ Ägide entstand, liest man dazu nur einige dürre Sätze. „Die Familienpolitik der Union hat zum Ziel, dass durch mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit und durch günstigere Rahmenbedingungen mehr Kinder in Deutschland geboren werden.“ Aus Fraktionskreisen heißt es, dass konkrete Gedanken zur Erhöhung der Geburtenrate nicht einmal ansatzweise diskutiert wurden.
Fragt man im federführenden Bundesinnenministerium nach, kommen fatalistische Antworten: „Wir können nicht den Bürgern sagen: Kriegt mehr Kinder!“, sagt Kai-Andreas Otto, der für die Demografiestrategie zuständige Unterabteilungsleiter im Bundesinnenministerium. „Eine Frontalstrategie“, so Otto, würde von den Menschen missverstanden. Das passe nicht in eine „aufgeklärte Gesellschaft“.
Es ist dasselbe Argument, das schon die erste demografiepolitische Debatte in den späten 1970er Jahren prägte: Der Staat habe in den Schlafzimmern der Bürger nichts zu suchen. Damals war das allerdings noch nicht die Position der Union, sondern der SPD. Im Oktober 1979 antwortete die von Johannes Rau geführte Landesregierung von Nordrhein-Westfalen auf eine Anfrage der CDU-Opposition, dass sie „bevölkerungspolitische Eingriffe und Gegenmaßnahmen des Staates“ ablehne. Außerdem könne sie „die Hervorhebung ausschließlich negativer Aspekte der gegenwärtigen Bevölkerungsentwicklung“ nicht akzeptieren.
Diese 33 Jahre alten Sätze einer SPD-geführten NRW-Landesregierung könnten auch aus der gegenwärtigen CDU-geführten Bundesregierung stammen. Mittlerweile wird die deutsche Demografiepolitik de facto von einer Allparteienkoalition beherrscht, die der Verzicht auf eine aktive Geburtenförderung eint. Nicht den Kinderwunsch der Menschen wolle man beeinflussen, sondern allenfalls die Erfüllung vorhandener Wünsche erleichtern, so lautet das Credo aller maßgeblichen Familienpolitiker. Dass diese Bescheidenheit tatsächlich von tief empfundener Liberalität getragen ist, darf man allerdings bezweifeln. In anderen Fragen, wenn es etwa um die Gleichstellung der Geschlechter geht, mischt sich der Staat schließlich auch vermehrt in das Leben der Bürger ein. Die wahren Beweggründe dürften eher andere sein.
Da ist zum einen die „historische Kontamination“, die in jedem Gespräch mit Demografiepolitikern und Beamten mitschwingt. Der Hinweis auf den nationalsozialistischen Rassenwahn, der auch ein Geburtensteigerungswahn war, fehlt in kaum einem Beitrag zu demografischen Debatte in Deutschland. Die Erinnerung an die „Mutterkreuze“, die die Nazis verliehen, während sie gleichzeitig Millionen von Familien mit ihren Kindern ermordeten, verbot Generationen von Nachkriegspolitikern jeden Gedanken an aktive Geburtenförderung.