BGH-Urteil Eltern steht Schadenersatz für fehlenden Kita-Platz zu

Seit 2013 gibt es den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Trotzdem landen Mütter auf Wartelisten und kommen oft verspätet zurück in den Job. Drei Frauen haben den BGH überzeugt, dass ihnen Schadenersatz zusteht.

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Damit Mütter nicht ewig auf einen Kindergartenplatz für ihr Kind warten müssen, klagen nun drei Frauen. Quelle: dpa

Karlsruhe/ Leipzig Anfangs glaubt Claudia Menschel noch, dass es so schwierig nicht sein kann. Es ist Anfang 2013, Tobias ist gerade frisch auf der Welt, das erste Kind. „Und blauäugig wie ich war, habe ich mir gedacht, die anderen Mütter haben sich wahrscheinlich einfach nicht rechtzeitig um einen Kita-Platz gekümmert“, erinnert sich die 36-Jährige aus Leipzig. „Wenn man sich nur bemüht, dann wird man ganz bestimmt was bekommen.“ Aber so einfach ist es nicht, und deshalb wurde Menschels Fall an vor dem Bundesgerichtshof verhandelt.

Und der BGH hat ihr am Donnerstag Recht gegeben. Eltern, die zum Wunschtermin keinen Betreuungsplatz für ihr Kleinkind bekommen und deshalb erst später arbeiten gehen können, haben grundsätzlich Anspruch auf Schadenersatz, lautet das Urteil.

Ein erleichterndes Ende einer ermüdenden Kampfes. Für die Architektin stand während ihrer Schwangerschaft fest: Sie will nach einem Jahr wieder Vollzeit arbeiten. Noch im Februar 2013 fängt sie an, Kitas abzutelefonieren, geht persönlich vorbei, lässt sich auf Wartelisten setzen. „Aber es gab immer nur Absagen – überall Nein.“

Als das Ende der Elternzeit näher rückt, fängt ihr Chef in dem Bauingenieurbüro an nachzufragen. „Wann ich denn wiederkomme, wann ich neue Projekte bearbeiten kann – das waren alles Punkte, wo ich ja selbst in der Schwebe war.“ An die Stadt haben sich die Menschels zu diesem Zeitpunkt längst gewandt. „Aber da wurde man nur hingehalten“, sagt Claudia Menschel. „Immer hieß es: Sie sind viel zu zeitig, kommen Sie sechs Wochen vorher, Sie werden schon noch was finden.“

Über Bekannte hört die Familie von einer neuen Kita in freier Trägerschaft, die im März 2014 eröffnen soll. Dort haben sie endlich Glück, kurz vor Weihnachten kommt die Nachricht. „Da bin ich wirklich vor Freude durch die Wohnung gehüpft, Tobias hat mich nur verwirrt angeguckt – aber es war einfach diese Erleichterung.“

Trotzdem muss Claudia Menschel zwei Monate länger als geplant zu Hause bleiben, das macht sich auch auf dem Konto bemerkbar. Jetzt, wo sie einen Platz in Aussicht hat, wird sie von der Stadt für den Termin Januar 2014 nicht mehr berücksichtigt, erzählt sie. Als auf ein letztes Schreiben gar keine Antwort mehr kommt, schalten die Menschels einen Anwalt ein. „Das hat uns einfach geärgert“, sagt Claudia Menschel. „Uns ging es ums Prinzip.“

Denn eigentlich gibt es seit dem 1. August 2013 für alle Kinder ab dem ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz. Die Bundesregierung will es den Eltern damit auch leichter machen, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) sieht nach einem forcierten Ausbau zum Start „annähernd ausreichend Plätze“.

Aber der Bedarf schwankt regional stark. Im schnell wachsenden Leipzig klappt es bis heute je nach Jahreszeit nicht immer zum Wunschtermin und nicht immer im gewünschten Stadtteil, räumt Stadtsprecher Matthias Hasberg ein. „Aber es ist deutlich besser geworden. Wir kriegen die Kinder unter.“ Im Jahr 2017 würden weitere Plätze geschaffen. Druck kommt auch von den Eltern: Laut Hasberg ist aktuell eine dreistellige Zahl von Klagen gegen die Stadt anhängig. 

Menschels Klage zielte auf die finanziellen Einbußen ab: Sie will von der Stadt die knapp 2200 Euro zurück, die sie wegen der Verzögerungen weniger verdient hat. Parallel stritten zwei andere Mütter aus Leipzig vor dem BGH um rund 4500 und 7300 Euro. Mit ihrem Erfolg könnten auch andere Frauen profitieren. Denn Urteile des obersten Zivilgerichts in Karlsruhe sind für die Rechtsprechung in ganz Deutschland maßgeblich.

Der lange Rechtsstreit war eine Belastung, psychisch und finanziell, sagt Menschel. „Aber wir haben uns gesagt: Einer muss es tun.“ Tobias hat seit August 2015 einen Bruder. Claudia Menschel arbeitet heute 30 Stunden die Woche. Diesmal ging alles glatt – als Geschwisterkind hat Tobias' Kita den kleinen Benjamin ohne viel Hin und Her aufgenommen.

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