Big Data „Datensparsamkeit gefährdet unseren Wohlstand“

Für manche Firmen ist das Auswerten großer Datenmengen ein lukratives Geschäft. Das Bundesjustizministerium fürchtet Missbrauch und rät zur Datensparsamkeit. In der Union wird das für grundfalsch gehalten.

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Open Data steht für die Idee, Daten öffentlich frei verfügbar und nutzbar zu machen. Das Potential, das darin steckt, birgt für Firmen Chancen, für Bürger aber auch viele Risiken. Quelle: dpa

Berlin Das Festhalten des Bundesjustizministeriums am Prinzip der Datensparsamkeit hat eine Debatte über den richtigen Umgang mit privaten Daten ausgelöst. Während Politiker von Linken und Grünen einen entsprechenden Vorstoß von Verbraucherschutz-Staatssekretär Ulrich Kelber (SPD) unterstützen, kommt aus der Union scharfe Kritik.

„Daten sind der Rohstoff der Zukunft. Das ist kein Allgemeinplatz, sondern Fakt. Wer Datensparsamkeit predigt, riskiert nicht nur wirtschaftlichen Stillstand und gefährdet damit unseren Wohlstand, sondern er verhindert auch neue Entwicklungen zum Wohle der Menschen“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Nadine Schön (CDU), dem Handelsblatt.

Kelber hatte in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt eine Abkehr vom Prinzip der Datensparsamkeit zugunsten der Wirtschaft abgelehnt und den Gegnern dieses Grundsatzes vorgehalten, für „Datenreichtum“ zu werben und Datensparsamkeit lächerlich zu machen. „Daten als Öl des 21. Jahrhunderts zu bezeichnen ist zum Allgemeinplatz geworden. Dabei geht es nicht um ein Schmiermittel für Geschäftsprozesse, sondern um grundlegende Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und um unsere Freiheit in der digitalisierten Gesellschaft“, schrieb Kelber.

Er warnte zugleich vor den Folgen eines falschen Umgangs mit Daten. „Wer den Schutz der Privatheit für mögliche Geschäftsmodelle opfern will, handelt fahrlässig. Und er hat übrigens sein Vorbild Silicon Valley nicht richtig verstanden“, so Kelber. „Dort sind Firmen auf dem Weg, den nachhaltigen Umgang mit den Daten ihrer Kunden zum Wettbewerbsvorteil zu machen.“ Diesen Vorteil habe Deutschland schon, dank des Grundsatzes der Datensparsamkeit. „Ihn aufzugeben, wäre also auch wirtschaftlich Unsinn.“

Gleichwohl zeigte sich Kelber offen dafür, Persönlichkeitsschutz und ökonomische Datenverwertung in Einklang zu bringen. „Wir sollten die anstehende Harmonisierung des europäischen Datenschutzes nun dafür nutzen, Konzepte zu entwickeln, wie Big-Data inklusive Datensparsamkeit aussehen und funktionieren kann, Datensparsamkeit 4.0 sozusagen“, schlug der SPD-Politiker mit Blick auf den 10. Nationalen IT-Gipfel Mitte November im Saarland vor. 

Denn der Gegensatz zwischen Big-Data und Datensparsamkeit sei nicht so groß, wie dies Lobbyisten behaupteten. „Nur wer unbegrenzt werben, ausforschen und steuern möchte, muss wissen, welche Person sich hinter einem Datum verbirgt. Alle übrigen Analysen funktionieren sehr wohl erfolgreich mit anonymisierten Daten“, so Kelber.


Merkel: „Datensparsamkeit passt nicht zur heutigen Wertschöpfung“

Die CDU-Politikerin Schön betonte hingegen die Vorteile von Big Data, der Auswertung großer Datenmengen. Damit könnten intelligente Verkehrssteuerungssysteme, effizientere Energieversorgung oder eine bessere Gesundheitsversorgung geschaffen werden. „Für all diese Lösungen braucht man große Datenmengen, sonst sind sie nicht valide“, sagte Schön.  Dies sei aber kein Widerspruch zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder zur Frage der Datensicherheit. „Diesem Bedürfnis muss durch entsprechendes Big-Data-Management Rechnung getragen werden.“

Im Übrigen seinen nicht alle personenbezogenen Daten per se als kritisch einzustufen, sagte Schön weiter. Für die Mobilität könnten sie beispielsweise großen Nutzen bringen. „Auch kann so viel wie möglich mit anonymen und pseudonymisierten Daten gearbeitet werden.“ Nötig seien daher Transparenz auf der Grundlage klarer Standards und Kriterien sowie harte Strafen bei Verstößen gegen diese Standards.

Die CDU-Politikerin plädierte für eine „innovationsoffene Datenpolitik 4.0“. „Nur so können entsprechende Geschäftsmodelle auch in Deutschland entstehen, nach unseren Standards“, sagte Schön. „Schränken wir den Umgang mit Daten ein, indem wir krampfhaft am System der Datensparsamkeit festhalten, dann entstehen die Geschäftsmodelle in den USA oder Asien – nach dortigen Standards. Das kann niemand wollen“, betonte sie. Daher seien verantwortungsvolle Standards und Kriterien des Datenmanagements statt Datensparsamkeit eine „kluge Datenpolitik im Sinne der Menschen“.

Ähnlich hatte sich auch schon Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geäußert. In einer kürzlich gehaltenen Rede beim Tag der Deutschen Industrie stellte sie das Prinzip der Datensparsamkeit infrage. „Wir müssen auch eine gesellschaftliche Debatte darüber führen, dass Daten der Rohstoff der Zukunft sind und dass das uns einst vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Prinzip der Datensparsamkeit nicht mehr zur heutigen Wertschöpfung passt“, hatte die Kanzlerin erklärt. Denn heute seien Daten Rohstoffe. „Daten müssen zu neuen Produkten verarbeitet werden. Wer an diesem Teil der Produktion nicht teilnimmt, wird auch nicht die Arbeitsplätze der Zukunft schaffen können.“

Der Linksfraktionsvize Jan Korte lobte Kelbers Positionierung als dringend notwendig. „Denn es war ja nicht das erste Mal, dass sich die Bundeskanzlerin dahingehend geäußert hat“, sagte Korte dem Handelsblatt. Gemeinsam mit Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) habe sie bereits vor einem Jahr auf dem IT-Gipfel eine Abkehr vom Prinzip der Datensparsamkeit zugunsten von Wirtschaftsinteressen gefordert. „Und da liegt auch das Problem: Im Bundesjustizministerium kann noch so viel Sinnvolles in punkto informationeller Selbstbestimmung erklärt werden, am Ende steht zu befürchten, dass Union und SPD diese gemeinsam über Bord werfen, damit aus Big Data ungestört Big Reibach wird“, kritisierte der Linkspartei-Politiker.

Dabei könne der selbstbestimmte Umgang mit Daten in Zeiten von Big Data selbst mit Hilfe von Anonymisierung und Pseudonymisierung „faktisch oft nicht praktiziert werden“, sagte Korte weiter. „Zweckbindung, Datensparsamkeit und Datenvermeidung müssen deshalb gerade in Zeiten eines zunehmend digitalisierten Alltags als grundlegende Prinzipien innerhalb einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft verteidigt werden.“


„Nicht die gleichen Fehler wie bei der Energiewende wiederholen“

Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warf Teilen der Bundesregierung vor, die Brisanz des Themas zu unterschätzen. „Beinahe täglich erreichen uns Hiobsbotschaften über riesige Datenlecks, entwendete Passwörter und kompromittierte digitale Infrastrukturen. Wer dieser Tage allen Ernstes eine Abkehr vom Prinzip der Datensparsamkeit fordert, wie dies unter anderem auch Angela Merkel und ihr Kanzleramtschef tun, hat die Bedeutung eines effektiven Grundrechtsschutzes in der digitalen Welt nicht ansatzweise verstanden“, sagte von Notz dem Handelsblatt.

Der Grünen-Politiker betrachtet daher das Prinzip der Datensparsamkeit als fundamental für den Erhalt von Rechtsstaatlichkeit und den Schutz des verfassungsrechtlich verbrieften Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. „Wer die Datensparsamkeit in Frage stellt und auch sonst nichts unternimmt, sich dem Ausverkauf unserer Privatsphäre entschlossen entgegenzustellen, handelt absolut unverantwortlich“, sagte von Notz. „Dass dies nun auch zumindest Teile der Großen Koalition endlich erkannt haben, begrüße ich“, fügte er mit Blick auf die Äußerungen von Verbraucherschutz-Staatssekretär Kelber hinzu.

Von Notz erinnerte daran, dass das Prinzip der Datensparsamkeit jüngst auch in der EU-Datenschutzreform noch einmal festgeschrieben worden sei. „Zum Glück konnte sich das Bundesinnenministerium beim Versuch, dieses grundlegende Prinzip des Datenschutzes aufzuweichen, letztlich nicht durchsetzen“, fügte er hinzu. Die Umsetzung der Reform in bundesdeutsches Recht komme nun aber einer „wahren Mammutaufgabe“ gleich. „Die Bundesregierung sollte, statt den Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger weiter auszuhöhlen und inhaltsleere Buzzwords zu kreieren, endlich die Ärmel hochkrempeln und sich entschlossen an die Arbeit machen“, mahnte der Grünen-Politiker.

Selbstverständlich gebe es längst „innovative Datenschutzkonzepte“, die einen Interessenausgleich ermöglichten. „Ein moderner und guter Datenschutz ist längst ein wichtiger Standortvorteil“, ist von Notz überzeugt. Das habe aber die Bundesregierung leider bis heute nicht erkannt. „Wer Daten als Rohöl des 21. Jahrhunderts bezeichnet, dem rate ich sehr dringend, nicht die gleichen Fehler wie bei der Energiewende zu wiederholen.“

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