Big Data zur Gefahrenabwehr Mit der Methode Bayern gegen Wohnungseinbrecher

Bayern gilt als das Bundesland mit dem geringsten Einbruchsrisiko. Ermittler führen das auch auf eine spezielle Einbruchs-Prognosesoftware zurück. Die könnte bundesweit zum Einsatz kommen, doch Datenschützer warnen.

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Mit der Prognosesoftware

Berlin Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kann zufrieden sein. Auch wenn die Zahl der Straftaten in seinem Bundesland leicht zugenommen hat, scheint die bayerische Polizei das Problem der Wohnungseinbrüche offenbar immer besser in den Griff zu bekommen. Schon 2015 sind die Einbruchszahlen deutlich zurückgegangen; im vergangenen Jahr konnte das Niveau immerhin stabilisiert werden.

Die Gefahr, so Herrmann am Montag bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik, in Bayern Opfer eines Wohnungseinbruchdiebstahls zu werden, sei in ganz Deutschland am geringsten. „In NRW war sie sogar rund fünfmal so hoch wie in Bayern“, betonte der Minister. Er könne daher mit Stolz auch weiterhin sagen: „In Bayern leben, heißt sicherer leben.“

Die positive Entwicklung führt Herrmann auf eine, wie er sagte, „optimierte Lagearbeit“ zurück. Als Beispiel hierfür nannte er die Einbruchs-Prognosesoftware „PreCobs“, die in Bayern seit nunmehr drei Jahren eingesetzt wird. Das Kürzel steht für „Pre Crime Observation System“ - ein Computerprogramm, das anhand von Straftaten-Statistiken in einem Gebiet voraussagen soll, wann mit hoher Wahrscheinlichkeit mit neuen Verbrechen zu rechnen ist – was wiederum einen möglichst effizienten Einsatz von Polizeikräften unterstützen soll.

Wie viele Einbrüche durch die Software in Bayern bisher verhindert wurden, lässt sich nur schwer beziffern, zumal die Einbruchsrate von zu vielen Faktoren abhängt. Herrmann spricht von „vielversprechenden“ Erfahrungen mit „PreCobs“. „Dadurch können unsere Polizeistreifen noch gezielter einbruchsgefährdete Bereiche überwachen“, sagte der Minister dem Handelsblatt. In den Prognosegebieten in München und Nürnberg habe es weniger Wohnungseinbrüche und mehr Täterfestnahmen gegeben.

Konkretere Angaben machte der Leiter des „PreCobs“-Projekts beim Bayerischen Landeskriminalamt (LKA), Günther Okon. „In dem Gebiet in München, in dem wir PreCobs getestet haben, ist die Zahl der Wohnungseinbrüche im Testzeitraum um 38 Prozent gesunken – überall sonst um 14 Prozent“, resümierte Okon im vergangenen Sommer. Und es scheine auch nicht so zu sein, fügte er hinzu, dass die Einbrecher einfach in die Nachbarschaft ausgewichen seien.

Von den guten Erfahrungen Bayerns könnten auch andere Bundesländer profitieren. Der Auffassung ist nicht nur Herrmann. Der Innenminister von Sachsen und derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), Markus Ulbig (CDU), regte einen bundesweiten Einsatz der Einbruchs-Prognosesoftware an. „Wir brauchen etwa gemeinsame Anstrengungen bei der Bekämpfung des Wohnungseinbruchdiebstahls“, sagte Ulbig dem Handelsblatt. „Die Prognosesoftware PreCobs kann dabei ein Mittel für mehr Sicherheit sein.“


Mehrere Bundesländer testen Einbruchs-Software

Auch Bayerns Innenminister Herrmann sagte dem Handelsblatt: „Wir brauchen dringend eine noch bessere Zusammenarbeit der Bundesländer zur Bekämpfung der Wohnungseinbruchskriminalität in Deutschland.“ Denn gerade professionelle Einbrecherbanden „treiben grenzüberschreitend ihr Unwesen“. Ein wichtiger Aspekt der Zusammenarbeit sei die „verbesserte Lagearbeit“, fügte der CSU-Politiker hinzu. „Hier spielt unsere Prognosesoftware PreCobs eine große Rolle.“

Laut Ulbig haben Sachsen und Bayern Ende vergangenen Jahres eine „Allianz gegen Wohnungseinbrecher“ beschlossen und vereinbart, die Prognosesoftware weiterzuentwickeln. Von den „guten Erfahrungen“ Bayerns könne auch Sachsen profitieren. „Die sächsische Polizei prüft derzeit, in welchem Umfang Prognosesoftware, wie zum Beispiel das in Bayern verwendete Programm PreCobs, auch in Sachsen sinnvoll zur Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt werden kann“, sagte der Minister. Dabei sollen laut Ulbig auch Erkenntnisse einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe berücksichtigt werden, die derzeit die Vor- und Nachteile mehrerer eingesetzter Softwarelösungen untersucht.

Hintergrund ist, dass inzwischen in mehreren Bundesländern Projekte zum „Predictive Policing (deutsch: vorhersagende Polizeiarbeit) laufen. Dabei geht es darum, mithilfe einer Prognosesoftware die Wahrscheinlichkeit von Einbrüchen vorherzusagen. Das Programm soll Muster erkennen, nach denen Einbrecher vorgehen. Der Software liegt die Annahme zugrunde, dass professionelle Einbrecher nach einer Tat wahrscheinlich zeitnah und nicht weit entfernt erneut zuschlagen.

Baden-Württemberg untersucht etwa in einem Pilotprojekt, inwieweit Softwarelösungen wie das Programm „PreCobs“, das auch Bayern nutzt, einen Mehrwert zur Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls darstellen können. PreCobs kann nach Angaben der Entwickler Prognosen etwa für Einbrüche abgeben, wenn Daten bisheriger Taten in die Datenbank der Software eingepflegt wurden. Dort stehen dann der Tatort mit Straße und Hausnummer, die Tatzeit, Beute und Vorgehensweise der Täter.

In Berlin, Hessen und künftig auch Niedersachsen werden laut Innenministerium Eigenentwicklungen erprobt beziehungsweise genutzt. Nordrhein-Westfalen hat den Angaben zufolge bereits im Februar 2015 ein Projekt zum Thema Predictive Policing im dortigen LKA eingerichtet. Eingesetzt wird in NRW das Programm „SPSS-Modeler“ des IBM-Konzerns.

Das LKA in Hamburg lässt derzeit die Möglichkeiten des Predictive Policing in einem Forschungsprojekt untersuchen. Brandenburg will indes, wie das Ministerium erklärt, mit einer Machbarkeitsstudie prüfen, ob sich die Predictive-Policing-Methodik in ein „standardisiertes polizeiliches Lageanalyse- und -beurteilungsverfahren unter dem Ansatz der Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen“ überführen lässt.


Immenser wirtschaftlicher Schaden durch Einbrüche

Die Aktivitäten der Länder sind auch der Kriminalitätsentwicklung geschuldet. Laut den aktuell bundesweit verfügbaren Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik des Bundeskriminalamts (BKA) stammen allerdings aus dem Jahr 2015. Neuere Zahlen werden erst in den kommenden Wochen veröffentlicht. Allerdings lassen die bisher von einzelnen Bundesländern veröffentlichten Zahlen sowie Einschätzungen mehrerer Innenministerien darauf schließen, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland wohl erstmals seit Jahren zurückgeht.

Das Jahr 2015 ergibt noch ein anderes Bild. Seinerzeit wurden bundesweit 167.136 Wohnungseinbruchdiebstähle (2014: 152.123 Fälle), darunter 70.333 Fälle von Tageswohnungseinbruch (2014: 63.282 Fälle) registriert. Die Fallzahl ist demnach im Vergleich zum Vorjahr um 9,9 Prozent gestiegen, der darin enthaltene Tageswohnungseinbruch (TWE) stieg um 11,1 Prozent.

Im Vergleich zum Berichtsjahr 2014, in dem die Anzahl der Wohnungseinbruchsdiebstähle gegenüber 2013 um 1,8 Prozent anstieg, ist die aktuelle Zunahme der registrierten Fallzahlen deutlich stärker. Insgesamt wurden laut den offiziellen Angaben 25.376 Fälle aufgeklärt, was einer Aufklärungsquote von 15,2 Prozent (2014: 15,9 Prozent) entspricht.

Wohnungseinbrüche in der Dimension des Jahres 2015 bedeuten auch einen immensen wirtschaftlichen Schaden. Laut Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft wurden deutschen Versicherern 2015 rund 160.000 versicherte Wohnungseinbrüche gemeldet. Damit erreichte die Zahl der versicherten Einbrüche den höchsten Stand seit 2003. Für diese Einbrüche leistete die Branche eine Rekordschadenersatzsumme von 530 Millionen Euro an ihre Kunden - und 50 Prozent mehr als fünf Jahre zuvor.

Ob neue softwarebasierte Polizeifahndungsinstrumente helfen können, die Zahl von Einbrüchen zu reduzieren, ist noch lange nicht ausgemacht – auch wenn Bayern bereits gute Erfahrung damit gemacht hat. Zudem birgt die Verbrecherjagd mit Hilfe von Computerprogrammen auch etliche Risiken.

„Die Erstellung von Prognosen, an deren Ende Personen nur aufgrund einer statistischen Wahrscheinlichkeit unter den Verdacht geraten, Straftaten zu begehen oder zu Störern zu werden, ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten fragwürdig“, sagt etwa der Hamburger Datenschutzbeauftrage Johannes Caspar dem Handelsblatt. „Sie widerspricht der für unser Rechtssystem fundamentalen Unschuldsvermutung, ist fehleranfällig und ersetzt polizeiliche Einschätzungen durch automatisierte intransparente Maschinenlogik.“

Ein „statistischer Verdacht“ könne zudem zur „Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen“ führen. „Besonders perfide ist es, wenn dann der Effekt einer selbst erfüllenden Prognose eintritt“, warnte Caspar, denn: „Erst die Verdachtschöpfung und ihre negativen sozialen Folgen erzeugen das deviante (abweichende) Verhalten des Einzelnen, was wiederum als Erfolg der statistischen Methoden ausgegeben wird“, erläuterte der Datenschutzexperte. „Auf diese Weise macht sich der Algorithmus unabdingbar und schafft seine eigenen Opfer.“


Software-Einsatz unter bestimmten Bedingungen unproblematisch

Die Datenschutzbeauftrage des Landes Schleswig-Holstein, Marit Hansen, warnt davor, digitalen Polizeimethoden blind zu vertrauen. „Die Bezeichnung Predictive Policing klingt nach einem magischen Algorithmus, der immer korrekte Vorhersagen über Tatorte oder sogar Täter liefert, bevor die Tat stattfindet - à la Minority Report“, sagte Hansen dem Handelsblatt. „Dieser Marketing-Begriff verführt dazu, dass man blind dem Computer vertraut, ohne verstehen zu können, wie Daten zusammengeführt werden.“ Daher müssten die Funktionsweise und auch etwaige Nebenwirkungen offengelegt werden.

Caspar hält indes den Einsatz solcher Software datenschutzrechtlich nur dann für unproblematisch, „solange die Analyse auf anonymisierter Datenbasis erfolgt und kein Personenbezug herstellbar ist“. Soweit Systeme wie „PreCobs“ keine personenbezogenen Daten verwendeten, sei dagegen nichts zu sagen. „Gleichwohl ist der Übergang zwischen Anonymität und Personenbezug höchst interpretationsbedürftig, was insbesondere bei der Entwicklung derartiger Modelle zu beachten ist“, fügte Caspar hinzu. Zudem gibt er zu bedenken, dass die Berechnung von statistischen Risiken für die künftige Begehung einer Straftat anhand eines Algorithmus letztlich „ein Blick in die Glaskugel“ sei.

Der Einsatz von Systemen zur Datenanalyse im Rahmen des Predictive Policing steht schon länger im Fokus der Datenschützer. Vor zwei Jahren wiesen die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in einer Entschließung mit dem Titel „Big Data zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung: Risiken und Nebenwirkungen beachten“ darauf hin, „dass der Einsatz solcher Systeme durch die Polizei geeignet ist, elementare Grundsätze des Datenschutzes und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in Frage zu stellen“.

Caspar sieht kritisch, dass die technische Vorhersage „relevanter Ereignisse“ anhand bloßer statistischer Wahrscheinlichkeiten die polizeiliche Eingriffsschwelle weit über den Bereich einer „individuellen Handlungszurechnung“ hinweg in ein Vorfeld verschiebe, „das verdachtsunabhängig und ohne eindeutige Kausalitätszusammenhänge zu Tat und Täter auskommt“.

Für Hansen birgt das Predictive Policing auch Risiken, wenn Vorhersagen über Personengruppen getroffen werden, bei denen die Gefahr des sogenannten Racial Profilings besteht. Das meint ein gezieltes Vorgehen der Polizei nach ethnischen Gesichtspunkten. Der Vorwurf war zuletzt gegen die Kölner Polizei erhoben worden, weil sie in der Silvesternacht viele nordafrikanisch aussehende Männer kontrolliert hatte.


Bayern bei Einbruchs-Prognosesoftware bundesweiter Vorreiter

Für problematisch hält es Hansen, wenn Angehörige bestimmter Gruppen nicht wegen ihres eigenen Verhaltens, sondern wegen Annahmen über das Verhalten einer Gruppe eine „besondere Behandlung“ erführen. „Das ist Diskriminierung und kann zur Stigmatisierung führen, wenn zum Beispiel Nachbarn beobachten, dass immer wieder dieselbe vom individuellen Verhalten her unverdächtige Person kontrolliert wird und andere in der Umgebung unbehelligt bleiben.“

Auch könne eine Rolle spielen, mit welchen Daten das Predictive-Policing-System gefüttert werde und welche Kategorien vorgesehen seien, sagte Hansen weiter. Ein System in den USA, das vorhersagen soll, wo es zu Krawallen komme, habe beispielsweise sogar Gewerkschaften im Visier. „Hier scheinen Programmanbieter zu entscheiden, welches Verhalten besonders zu beobachten ist, ohne dass sich dies aus dem Polizeialltag ergeben würde oder rechtlich geprüft wäre“, sagte die Datenschützerin.

Bayerns Innenminister weist die Vorbehalte gegen die „PreCobs“-Lösung zurück. „Nachdem PreCobs aus anonymisierten Falldaten der Vergangenheit berechnet, wann und in welchem Gebiet mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Einbruch zu rechnen ist, gibt es auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken“, betonte Herrmann.

Die bayerische Polizei setze die Einbruchs-Prognosesoftware seit Oktober 2014 ein. „Damit waren wir bundesweiter Vorreiter.“ Es freue ihn, dass auch andere Bundesländer Interesse an „PreCobs“ hätten. „Gerne werden wir mit unseren Erfahrungen weiterhelfen. Von der Weiterentwicklung der Software werden wir dann alle profitieren.“ Denn, so Herrmann: „Fakt ist: Die Kriminalitätsentwicklung gibt uns recht.“

Das bayerische Maßnahmenkonzept gegen Wohnungseinbrecher sei auch 2016 erfolgreich gewesen. „Bereits 2015 hatten wir einen deutlichen Rückgang der Einbruchszahlen um knapp neun Prozent auf 7.480 Delikte“, erläuterte der Minister. „Dieses Niveau konnten wir 2016 mit insgesamt 7.470 Wohnungseinbrüchen stabilisieren.“ Die Häufigkeitszahl habe bei 58 Einbrüchen pro 100.000 Einwohner gelegen. „Damit dürfte das Einbruchsrisiko in Bayern auch 2016 bundesweit am niedrigsten gewesen sein“, betonte Herrmann.

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