Bildung Ludger Wößmann: Wir müssen die Schulen schnell digitalisieren

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Geld alleine bringt nicht viel

Hierzulande entscheidet die soziale Herkunft noch immer maßgeblich über Bildungs- und damit Berufschancen. Wieso schafft es Deutschland einfach nicht, mehr Chancengleichheit herzustellen?
Je früher man ansetzt, desto geringer werden die Abhängigkeiten. In Ländern, die Kindern, gerade jenen aus bildungsfernen Schichten, frühzeitig ein qualitativ hochwertiges Bildungssystem bieten, geht die Schere am Ende der Schulzeit nicht so weit auseinander. Wichtig ist auch ein Thema, das in Deutschland nicht gerne diskutiert wird: In Ländern, die früher auf unterschiedliche Schularten aufteilen, ist die Ungleichheit stärker und zwar ohne, dass das Leistungsniveau insgesamt besser wäre, sondern schlechter. Fast nirgendwo auf der Welt, außer in Deutschland und Österreich, werden die Kinder schon nach der vierten Klasse in unterschiedliche Schularten aufgeteilt.

Kompetenzen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik sind laut Forschung zentral für langfristigen Wohlstand. Deutschland ist unter den Industrieländern neuerdings führend beim Anteil der Studienabschlüsse in den sogenannten MINT-Fächern. Müssen wir uns um unseren Wohlstand also keine Sorgen machen?
Was dabei besonders wichtig ist, sind die Basiskompetenzen. Zwar haben wir uns seit dem Pisa-Schock im Jahr 2000 Stück für Stück ins obere Mittelfeld verbessert, sind aber noch lange nicht in der Spitzengruppe. Erst im vergangenen Jahr hat eine andere OECD-Studie gezeigt: Das Interesse an den MINT-Fächern ist unter deutschen Schülern eher unterentwickelt. Wir können uns also nicht ausruhen.

Unternehmen klagen, immer mehr Auszubildenden fehle es an den nötigen Grundlagen. Investiert der Staat insgesamt zu wenig in Bildung?
Die Forschung gibt gar keinen engen Zusammenhang zwischen den reinen Bildungsausgaben und den Schulleistungen her. Beispiel Pisa: Es ist nicht so, dass Länder, die mehr Geld in die Bildung stecken, automatisch besser abschneiden. Anderes ist wichtiger – klare, vergleichbare Prüfungen und mehr Wettbewerb und Autonomie. Das ist viel wichtiger als die Frage, ob wir noch mehr Geld ausgeben müssen.

Steigende Schülerzahlen in Deutschland - wo ist das Problem?

Eine stärkere Vereinheitlichung und mehr Wettbewerb – ist das nicht ein Widerspruch?
Die richtige Kombination ist entscheidend. Wenn Eltern und Jugendliche mehr Wahlfreiheit sowohl zwischen öffentlichen als auch Schulen in freier Trägerschaft haben, schneiden die Schüler deutlich besser ab. Wohlgemerkt: Es geht um das Management der Schulen, nicht die Finanzierung. Die Schulen vor Ort wissen viel besser als irgendein zentraler Planer, wie bessere Bildungsergebnisse zu erreichen sind. Vergleichbar wiederum werden die Schulabschlüsse nur durch zentrale Abschlussprüfungen. Sie sind die Währung eines Schulsystems.

Die FDP wirbt dafür, den Schulen Geld nach Schülerzahl zuzuteilen. Sie nennt das Bildungsgutscheine. Ist das ein Gedanke, der hinter dem Wettbewerbsaspekt steht?
Das passt sicherlich gut zusammen. Wenn Schulen pro Kopf finanziert werden, setzt das die richtigen Anreize, sie mit diesen Mitteln wirklich besser zu machen. Chancengleichheit ist aber nur dann gegeben, wenn diese Gutscheine nicht durch private Mittel aufgestockt werden dürfen. Man kann auch darüber nachdenken, dass Schulen für Kinder aus schwierigen Verhältnissen mehr Mittel bekommen, damit sie diese Kinder noch stärker fördern können.

Die ganze Welt, so hat man oft den Eindruck, beneidet Deutschland um die duale Berufsausbildung. Mittlerweile studieren aber fast zwei Drittel eines Jahrgangs, viele Lehrstellen bleiben unbesetzt. Sehen Sie diese Entwicklung mit Sorge?
Das sehe ich zwiespältig. Ich finde es nicht ehrlich, wenn Unternehmen sagen: Wir brauchen mehr Facharbeiter, mehr Leute mit einer Ausbildung, aber gleichzeitig sind die Einkommensunterschiede zu Akademikern so groß. Bereitschaft, die entsprechenden Gehälter zu zahlen, muss also der erste Ansatz sein. Das Wichtigste ist, dass wir die Vorteile unserer beiden Systeme verbinden: Es darf nicht nach zehn Jahren Schule plus drei Jahren Ausbildung Schluss sein mit Lernen. Es muss möglich sein, mit dualen Studiengängen oder einem entsprechenden Fachhochschulstudium mehr Kompetenzen zu erwerben.

Sprich: Weiterbildung und die Möglichkeit, eine andere Bildungsrichtung einzuschlagen zu können, werden immer wichtiger?
Absolut. In einer sich digitalisierenden Welt, die sich ständig verändert, sind berufsspezifische Kompetenzen nach 20 Jahren möglicherweise gar nicht mehr nachgefragt. Menschen, die eine duale Berufsausbildung gemacht haben, bilden sich im späteren Leben weniger weiter als Leute mit einer Hochschulausbildung. Eigentlich müsste es genau umgekehrt sein.

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