Bildungskatastrophe Abiturienten scheitern schon am Bruchrechnen

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Fachdidaktik ohne Fachinhalte

Diese Abkehr einerseits vom Fach selbst als auch andererseits von der Schulpraxis wird forciert durch die im letzten Jahrzehnt geschaffenen Schools of Education: Die Lehrerausbildung, die bisher den Fächern zugeordnet war, ist in die Hand der Bildungswissenschaften mit einem eigenen Fachbereich verlagert worden. Gleichzeitig wurden die rein fachlichen Anteile in den Lehramtsstudiengängen seit PISA 2000 in den einzelnen Bundesländern teilweise um bis zu 45 Prozent reduziert, zugunsten bildungswissenschaftlicher und fachdidaktischer Anteile. Gab es in den 80er und 90er Jahren durchaus Mathematiklehrer mit fachlich fundierten Kenntnissen, einige sogar im Fach promoviert oder gar habilitiert, so werden diese nun altersbedingt selten. Ein weiterer Niveauverfall dürfte die Folge sein.

Lehrer werden zu Lernbegleitern

Erschwerend kommt hinzu: Im Rahmen der „Neuen Lernkultur“ haben Lehrer ihre Vermittlungsfunktion verloren. Sie sind nun nur noch „Lernbegleiter“. Dadurch wird gerade lernschwachen Schülern ein Verständnis durch unterschiedliche Erklärungsansätze und vielfache Wiederholungen und Übungen unmöglich gemacht. Manche Befürworter dieser Entwicklung „weg von den Fachinhalten“ fordern ganz offen die Abschaffung aller Fächer.

Worin besteht nun der eigentliche Unterschied zwischen dem an den Hochschulen betriebenen Fach Mathematik und dem „modernen“ Mathematikunterricht? Die nach dem neuen PISA-Konzept ohne Diskussionen den Schulen verordnete „Kompetenzorientierung“ sieht die eigentliche mathematische Leistung in den sogenannten Modellierungsaufgaben. Für den Schwierigkeitsgrad werden dabei die analysierenden Texte als grundlegend angesehen. Diese Texte müssen einen strikten Alltagsbezug haben - sei dieser auch noch so abstrus und realitätsfern.

Die diesen Aufgaben zugrundeliegenden „Rechenaufgaben“ werden als minderwertig betrachtet. Schon ab der Unterstufe sollen Taschenrechner oder andere digitale Werkzeuge diese angeblich zweitrangigen Aufgaben übernehmen.

Die Folge ist, dass grundlegende mathematische Kenntnisse der Mittelstufe den Abiturienten  fehlen. Stattdessen können sie die meist unrealistisch kostümierten Textaufgaben entkleiden, was „moderne“ deutsche Fachdidaktiker für eine entscheidende Kompetenz halten. In den USA und vielen anderen Ländern der OECD sind solche Textaufgaben  übrigens weitgehend unbekannt

Können Sie diese PISA-Aufgaben lösen?

Eine Beispiel-Aufgabe aus dem Jahre 2010 soll demonstrieren, worin der Unterschied zwischen der fachlichen Analyse, der Vorbereitung für den Unterricht und den Vorschlägen der Mathematikdidaktik besteht. Die Mathematikdidaktiker Siller und Greefrath haben seinerzeit die folgende unrealistische Aufgabe gestellt: Auf zwei geradlinigen Straßen, die sich kreuzen, fahren zwei Autos mit jeweils konstanter Geschwindigkeit, 50 km/h bzw. 60 km/h, auf die Kreuzung zu. Unter welchen Umständen stoßen die ungebremsten Autos an der Kreuzung zusammen? (Stillschweigend sollen die Autos dabei als Massenpunkte modelliert werden).

Wer den Dreisatz verstanden hat, wird spontan antworten: Die Entfernungen der Autos vom Kreuzungspunkt müssen nur genau proportional zu ihren Geschwindigkeiten sein, damit es einen Crash gibt. Soweit die fachliche Analyse: fertig. Der Lehrer würde natürlich zunächst den Kindern etwa schon in der 6. Klasse die physikalische Begrifflichkeit einer gleichförmigen Bewegung durch einfache Beispiele nahebringen und den Fall gleicher Geschwindigkeiten behandeln, damit das Thema Proportionalität für die 7. Klasse vorbereitet wird, wo die Aufgabe mit einem allgemeinen Geschwindigkeitsverhältnis gestellt und gelöst werden könnte.

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