Bildungskatastrophe Abiturienten scheitern schon am Bruchrechnen

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Mathematik-Unterricht als Mathematik-Vermeidung

Siller und Greefrath hingegen sehen in dieser Aufgabe eine neue Herausforderung an den Mathematikunterricht. Auf die simple mathematische Lösung, auf die jeder kommt, der noch wirklichen Mathematikunterricht – welcher Schulform auch immer – genossen hat, gehen sie nicht ein. Stattdessen wünschen sie sich im Rahmen einer didaktischen Infantilisierung eine haptische Erfahrung mit Spielzeugautos. Außerdem empfehlen sie wegen der methodischen Vielfalt alles auszuprobieren, was der Taschenrechner hergibt: sowohl eine graphische Behandlung mit Dynamischen Geometriesystem (DGS), eine symbolische mit Computeralgebrasystem (CAS) und eine numerische mit Tabellenkalkulation (TBK).

Siller und Greefrath offenbaren, was in der kompetenzorientierten Mathematikdidaktik der Einsatz digitaler Werkzeuge bezwecken soll: den vollständigen Ersatz mathematischer Argumente durch stumpfen Rechnereinsatz, wo immer es möglich ist; de facto also Mathematikvermeidung.

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Die häufig anzutreffende Argumentation, Mathematik sei sowieso im Abiturkanon mächtig überbewertet und nur für maximal fünf Prozent der angehenden Studenten erforderlich, ist genauso falsch wie obsolet. Mindestens die Hälfte aller Fachbereiche an den Universitäten verlangen im Rahmen der Studierfähigkeit von Abiturienten grundlegende Mathematikkenntnisse, an technischen Universitäten und Fachhochschulen teilweise noch deutlich mehr: etwa Ingenieurwissenschaften, Informatik, Physik, Chemie, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie alle modernen Studiengänge der „economics“ oder der „business economics“.

von Marc Etzold, Konrad Fischer, Lin Freitag

Deren massive Beschwerden, dass sie bei immer mehr Abiturienten nicht einmal mehr auf grundlegende Mittelstufenkenntnisse zurückgreifen können und Brückenkurse mit Punkt- und Strichrechnung beginnen müssten, belegen den freien Fall des fachlichen Niveaus. Wieso müssen jetzt an den Hochschulen mit Steuergeldern die fachlichen Grundlagen wiederholt oder gar erst eingeführt werden, die wiederum mit Steuergeldern in Form der neuen kompetenzorientierten Unterrichtskonzepte in den Schulen erfolgreich verhindert wurden?

Fassen wir zusammen: Die Kultusministerkonferenz und die Fachdidaktik als Magd der aktuellen Bildungspolitik bieten nur Ersatzprodukte feil, mit denen weder Ausbildungsbetriebe noch Hochschulen zufrieden sein können. Ob der Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland sich eine derartige Nivellierung insbesondere der fachlichen Ansprüche auf breiter Front leisten kann, ist im Rahmen der weltweiten Konkurrenz um die klügsten Köpfe und deren Innovationen auch zur Aufrechterhaltung des derzeitigen Lebensstandards mehr als fraglich.

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