Bildungspolitik Schulen sind für die Schüler da, nicht für die Wirtschaft

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Schulunterricht als kulturelles Identifikationsangebot

2. …den Schulunterricht als kulturelles Identifikationsangebot ernst nehmen!

Die Konzentration auf Textkompetenzen, die MINT-Fächer und die Sprachen war Anfang des Jahrtausends in der damaligen schulpolitischen Situation vielleicht naheliegend. Aber diese Konzentration hat die Unterbewertung der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer zur Folge gehabt. PISA berichtet nicht über die Qualität politischer Urteilsfähigkeit, gesellschaftlichen Engagements, oder kultureller Identifikation. Als habe all das keinen Wert für die Einschätzung eines Bildungssystems und für die Lebensqualität eines Landes.

Reicht der augenblickliche Geschichtsunterricht, um umfassend über jene Vergangenheit aufzuklären, die bei vielen offensichtlich nicht mehr präsent ist? Reicht der gegenwärtige Politikunterricht, um über den Sinn der diskursiven Demokratie aufzuklären, oder muss die Schule hier nicht künftig explizit ein Identifikationsangebot machen?

Man muss die Frage heute neu stellen: Was muss man wissen, um die Moderne verstehen und gestalten zu können? Wenn eine Gesellschaft attraktiv sein will, muss sie diese Attraktivität gegenüber der nachfolgenden Generation auch darstellen. Schule ist so einzurichten, dass die jetzigen Schüler als Staatsbürger später an diesen Kontroversen kenntnisreich und ausgestattet mich Sachwissen teilnehmen können. Angesichts der Herausforderungen durch Migration einerseits und durch das Erstarken geschichtsvergessener Strömungen andererseits muss Schule künftig ein kulturelles Identifikationsangebot geben.

3. Werten Lernen

Die Landesregierungen haben bundesweit die Vision eines inkludierenden Schulsystems. Dieser Gedanke, der anfangs auf Kinder mit körperlichen Beeinträchtigungen begrenzt schien, hat längst einen universellen Charakter erhalten: Inklusion meint daher zweitens auch soziale Inklusion. Und der Begriff bekommt heute eine dritte Bedeutung, wenn wir an die Weltlage und die Zunahme an Flüchtlingen denken: Die kulturelle Inklusion.

Wir werden auf lange Sicht in den Klassen aller Schulen eine bisher nicht gekannte Menge und Vielfalt an Lebensformen und Lebensentwürfen vorfinden.

Was junge Deutsche über unsere Geschichte zu wissen glauben

Angesichts einer solchen Herausforderung wäre es fahrlässig, wenn man die Kinder einfach sich selbst und ihren Herkunftsfamilien überließe. Kulturelle Missverständnisse kann man nicht einfach als lustige Folklore oder Freizeitkultur von bildungsfernen Schichten akzeptieren.

Was Schüler lernen müssen ist, mit der Wertvielfalt produktiv umzugehen. Sie müssen die Vielfalt auf das hin prüfen können, was zum Gemeinwohl beiträgt. Was eine Chance für die Zukunft bietet.

Gefordert wird von den Schülern, in unvorhersehbaren lebensweltlichen Herausforderungen jene Werte zu erkennen und zu wählen, die für ein gelungenes Zusammenleben sinnvoll sind. Kurz: Schule kann nicht dogmatisch zu Werten erziehen, sondern muss die Fähigkeit schulen, werten zu können.

5. Die Eltern als zu bildende Bildungshilfe verstehen

Kinder müssen auch lernen, mit der medialen Vielfalt umzugehen. Fernsehen und Internet holen alles ins Haus. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Sicher ist nun, dass weder Facebook noch Google sich an eine pädagogische Leine nehmen lassen. Das sind Wirtschaftsunternehmen, keine technischen Hilfswerke. Wir brauchen daher eine Medienerziehung, die den einzelnen befähigt, mit dieser Vielfalt sinnvoll umzugehen. Medienerziehung ist auch Erziehung zum Werten.

Eine solche wertklärende Medienerziehung kann nicht ohne die Mitarbeit der Eltern, die ja die Medien zu Hause bereitstellen, gelingen. Die Zusammenarbeit mit den Eltern muss also gestärkt werden. Aber sie muss zugleich auch geregelt werden.

Weder sind Eltern schon von Natur aus die besseren Lehrer – und sollten kraft Anwälten in die Gestaltung von Schule ungebremst hineinreden können. Noch aber dürfen Eltern jene großen Unbekannten sein, die man besser außen vor lässt.

Die Hauptaufgabe der Schule ist und bleibt die Bildung. Da haben Lehrende, Schulleitung und Schulverwaltung die staatlich geprüfte Expertise. Die Aufgabe der Eltern ist die Gestaltung der Lebenswelt im Hinblick auf das Kindeswohl – und es kann sein, dass Schulen hier die Eltern in pädagogischen Fragen schulen sollten. Schulen müssen Eltern zumindest deutlich machen, was sie von ihnen fordern. Schulfähigkeit herzustellen ist die Aufgabe der Eltern – aber wo sollen sie es lernen, wenn sie selbst es nicht erfahren haben?

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