Bilfinger Berger Chef Roland Koch auf Politik-Entzug

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Brutalst möglicher Aufklärer

Franz-Josef Jung Quelle: AP

Öffentlich geweint hat Roland Koch nur einmal: als sein Freund Franz-Josef Jung 2000 seinen Posten als hessischer Generalsekretär der CDU abgab, weil einer die Verantwortung für die Spendenaffäre übernehmen musste. Ihre Vorgänger hatten Geldströme aus schwarzen Kassen, die auch nach Hessen flossen, als jüdische Vermächtnisse deklariert. Koch fand sich, gerade im Amt, auf einem Pulverfass wieder. Er kündigte "brutalstmögliche Aufklärung" an.

Brutalstmöglich, ein Adjektiv, das bis heute an ihm hängen geblieben ist. Denn er machte einen folgenschweren Fehler: Er wisse nichts von Vorgängen außerhalb der offiziellen Buchführung, sagte er. Das war nicht ganz die Wahrheit. Koch musste sich korrigieren. Die Geschichte hatte Spätfolgen, nicht nur für Kochs Image. Sie war der Grund dafür, dass später Franz-Josef Jung Minister in Merkels Kabinett wurde und nicht Roland Koch selbst. Koch, so sah er es, war seinem Freund noch etwas schuldig.

Die Fähigkeit, die Öffentlichkeit zu ertragen, sei die wichtigste Voraussetzung für einen Politiker, sagt Koch. Am Pranger stehen nennt er das. Man rede da jetzt, sagt Koch, über Dimensionen, die für "99,99 Prozent der Menschen völlig indiskutabel, ja unerträglich" seien. "Wo fängt menschliches Leben an?" überschrieb die Titanic einmal eine Postkarte, auf der er abgebildet war, er sah darauf aus wie ein Schwein.

Zwangsmaschine Politik

Bei kaum einem Politiker ging die Satire so unter die Gürtellinie, bei keinem war die Einigkeit so groß, ihm jede Skrupellosigkeit, jede Intrige zuzutrauen. Was ihn am meisten nerve, hat Koch einmal gesagt, als er noch im Amt war, dass er keinen Satz mehr sagen könne, ohne dass dahinter ein anderes Motiv vermutet würde. Meistens kein edles.

"Mit der Empfindlichkeit des normalen Bürgers in der Wirtschaft oder in den Medien überlebt ein Politiker keine zehn Tage": Das sagt keine Mimose, kein Gescheiterter. Sondern ein Hardcore-Politiker, dem man vieles abgesprochen hat, aber nie den Erfolg. Selbst so einer findet die Bedingungen, unter denen Politik gemacht wird, unerträglich. Trotzdem hat er immer wieder selbst an seinem Image mitgewirkt, es gepflegt und wiederbelebt. Weil es auch Teil seines Erfolgs war. Ein Mechanismus der Zwangsmaschine, die Politik auch ist.

Koch und sein Image. Im hessischen Landesverband, Stahlhelmer-Fraktion genannt, stand der junge Koch eher unter dem Verdacht, zu weich zu sein, zu liberal. Als Wolfgang Schäuble 1999 eine Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft erfand, griff Koch sie auf und gewann die Wahlen in Hessen. Der Grundstein für das spätere Image war gelegt. Schaden und Nutzen hielten sich die Waage: Bei den Konservativen war Koch jetzt als harter Knochen bekannt, bei den Linken als gefährlich reaktionärer Politiker. Kaum im Amt, wurde die Spenden-Affäre aufgedeckt. Kein Wunder sei es, meint Koch, dass sie ihn infiziert habe, auch wenn er bis heute darauf beharrt, nicht Teil des Systems gewesen zu sein. Den Imageschaden sah er kommen, hielt ihn aber für alternativlos.

Eine Narbe blieb

Wenn man ihn auf sein Image anspricht, dann sagt er, dass eine Narbe geblieben sei. Nicht das Wort brutalstmöglich schmerzt ihn, sondern die Vermutung, er sei ein korrupter Lügner. Als Ministerpräsident arbeitete er daran, sein Image zu korrigieren. Dann kam der Wahlkampf 2008. Die Macht drohte dem Machtmenschen Koch zu entgleiten. Und Koch tat, was er schon so häufig mit Erfolg getan hatte: Er rettete sich auf Kosten des eigenen öffentlichen Bildes, mit einer Kampagne gegen kriminelle ausländische Jugendliche. Dass sein Bild diesmal nicht mehr reparabel und dieser Sieg sein letzter sein würde, hat er damals geahnt. Er hat es in Kauf genommen.

Das Schwerste sei nicht das Wegstecken, sagt Koch. Das Schwerste sei es, empfindlich zu bleiben. "Wenn man alles wegstecken kann, dann lebt man in einem Kokon, der einen gar nicht mehr wahrnehmen lässt, was andere Menschen wahrnehmen", sagt er. "Die Politik ist nicht mein Leben", hat Koch gesagt, als er seinen Abschied bekannt gab, und dass man aufpassen müsse, dass Mensch und Amt nicht verschmelzen.

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