Bilfinger Berger Chef Roland Koch auf Politik-Entzug

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Neuanfang bei Bilfinger Berger

Roland Koch und Andrea Ypsilanti Quelle: REUTERS

Koch weiß noch nicht, was danach kommt. Eine Beratertätigkeit soll es nicht sein, bei der man viele gute Ratschläge gibt, aber für nichts verantwortlich ist. Sich messen, Wettbewerb, das war immer Kochs Element. Sein Ziel: Erster sein. Ihm hätte man, im Guten wie im Schlechten, alles zugetraut. Doch für ihn liegt der Trost nicht im Konjunktiv: Erster konnte er nicht mehr werden.

Nun ist er der Erste, der etwas Neues wagt. In Deutschland war es in der Politik bislang üblich, dass man sich ihr ganz verschrieb oder gar nicht. Adenauer, Brandt, Schmidt, sie alle kamen spät in die Politik und blieben dort. In den Sielen sterben, nannte man das. Koch gehört zu einer Generation, die kein Leben vor der Politik kannte, aber für sich beschlossen hat, dass es ein Leben nach der Politik geben soll.

Wechsel wie seinen habe es bislang nicht viele gegeben, stellt er zufrieden fest. Immerhin habe er "einen niemandem zu wünschenden, unschätzbaren Vorteil: Ich war gefühlt schon mal draußen." 2008 war das. In Hessen gab es nach der Wahl ein Patt, Andrea Ypsilanti, Kochs Herausfordererin, konnte nicht gewählt, er selbst nicht abgewählt werden. In der Neuwahl Anfang 2009 rettete sich seine Regierung nur dank der FDP.

Einen Urlaub pro Monat

Seiner eigenen Zukunft nähert sich Koch wie er sich jedem Ereignis genähert hat: brutal rational und ungerührt. Das Steckerziehen hält er für seine Pflicht, er mache das nicht zum Vergnügen, sondern, um die nötige Distanz zwischen Mensch und Amt wieder herzustellen. "Man reformiert wenig Dinge, die man selbst schon einmal reformiert hat", sagt er.

Die Versuchsanordnung ist folgende: 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr ist man als Ministerpräsident verantwortlich. Jeder Anruf kann wichtig sein, eine Katastrophe ankündigen, auf die man sofort reagieren muss. Wenn man so lange in so einem Amt sei und auf einmal nicht mehr, so Koch, "muss das ja eine Wirkung haben. Das interessiert mich."

Der Plan nach der Übergabe: den Ausstieg schaffen. Einen Urlaub pro Monat hat er seiner Frau für die Zeit nach dem Rücktritt versprochen, für all die abgesagten Verabredungen, die versauten Wochenenden, die Nicht-Urlaube der vergangenen elf Jahre.

Die Verwandlung

Februar 2011. Koch haust in einem Übergangsbüro im Innenministerium, einem schmucklosen Sechziger-Jahre-Bau. Er ist jetzt raus, in einer Zwischenwelt, aber zugleich in der angenehmen Situation, zu wissen, dass er bald wieder drin sein wird. Koch wird neuer Chef von Bilfinger Berger. Hinter ihm liegen mehrere Urlaube – Südfrankreich, die Karibik, die Berge – und eine Wirbelsäulen-OP.

Die Verwandlung des Kampfpolitikers Koch hat mit Schmerzen begonnen. Zehn Tage vor dem Ausscheiden aus dem Amt hat es angefangen, am schlimmsten war es am Abschiedsabend. Die Bandscheibe. Man könnte glauben, dass das kein Zufall war. Koch weist das ins Reich des Unfugs: "Dass mein Wirbelsäulen-Sequester weiß, dass ich aus dem Amt scheide, glaube ich nicht." Schön war die Sache nicht, weil halt "massiv den Nerv blockierend". Seinen Körper hat er immer als hochgezüchteten Motor betrachtet, als Vehikel. Er joggt nicht, um sich oder anderen etwas zu beweisen. Für ihn ist das eher eine Frage der korrekten Wartung.

Der Abschied auf Schloss Biebrich war eine besondere Etappe auf dem Weg nach draußen gewesen, ein Kulminationspunkt, wie er sagt. Für die, die dabei waren, war es ein Abend des Erstaunens. Lieder von Udo Jürgens gab es zu hören, zu sehen einen deutlich gerührten Roland Koch. Keine Tränen, Gott bewahre, aber wippende Füße und eine Gesichtsfarbe, die auf erhöhten Innendruck schließen ließ. Schmerzen auszuhalten fällt ihm nicht schwer. Schlimmer ist es für Roland Koch, Lob und Gefühle wie an seinem Abschiedsabend auszuhalten. So gesehen: Der Bandscheibe sei Dank.

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