Bilfinger Berger Chef Roland Koch auf Politik-Entzug

Roland Koch war Ministerpräsident, CDU-Kronprinz, ein Machtpolitiker. Jetzt ist er Chef der zweitgrößten deutschen Baufirma. Aber kann einer wie er der Politik einfach so den Rücken kehren?

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Roland Koch Quelle: dpa

Ein Politikerleben, zusammengeschnurrt auf eine Fotogalerie von einem Meter: er mit Kohl, er mit Köhler, er mit dem Dalai Lama, er mit Königin Beatrix. Auf das Bild mit Angela Merkel hat die Kanzlerin mit einem schwarzen Edding geschrieben: "Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit". Die Fotos sind aus einem Jahrzehnt, der Mann darauf sieht auf fast allen gleich aus. Auf der Fensterbank lauert das grüne Plüschkrokodil, das ihm Joschka Fischer einst schenkte, im Regal liegen die Füller, mit denen er die Koalitionsverträge 1999 und 2009 unterzeichnet hat.

Irgendwann in diesem langen Gespräch im 9.Stock eines unscheinbaren Bürogebäudes in Mannheim wird der Mann, der all diese Souvenirs seines alten Lebens in sein neues verpflanzt hat, sagen, das Schlimmste sei der Zwang zur Selbstbeschreibung. Der Zwang, immer ein Bild nach außen abzugeben: "Man muss aufpassen, dass die Maske nicht zu eigenen Gesichtszügen wird."

Steinbrück heuert bei der ING-DiBa an
Peer Steinbrück Quelle: dpa
Katherina Reiche Quelle: dpa
Viviane Reding Quelle: dpa
Der Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr ist ab November Generalbevollmächtigter bei Allianz Private Krankenversicherung (APKV). Quelle: dapd
parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium Ursula Heinen-Esser (l) Quelle: dpa
Stéphane Beemelmans Quelle: dpa
Bundestagsabgeordnete und Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Jan Mücke Quelle: dpa

Kronprinz, Hoffnungsträger, konservatives Idol, Schurke: Roland Koch war immer mehr als ein Ministerpräsident. Er hat die Republik gestaltet und gespalten. Er galt als der hellste Kopf einer Generation konservativer Politiker, von denen nach Christian Wulffs Rücktritt keiner mehr übrig ist. Er galt zugleich als bösester von allen, als Beleg dafür, dass Politik den Charakter verdirbt.

Ins Amt gekommen mit einer ausländerfeindlichen Kampagne, gehärtet im Stahlbad der CDU-Spendenaffäre, 2008 gegen den Machtverlust gekämpft mit Attacken gegen kriminelle jugendliche Ausländer: Viele sahen in Koch einen, der sich im Amt zur Kenntlichkeit entstellt hat. Die Inkarnation des Politikers.

Entgiften bei Bilfinger und Berger

Seit gut einem Jahr ist er nun Vorstandsvorsitzender beim Baukonzern Bilfinger Berger. Für das Unternehmen machte Kochs Bekanntheit den größten Reiz der Personalie aus. Für Koch ist das Unternehmen so etwas wie seine persönliche Entziehungskur: die Möglichkeit zu entgiften. Sich als Mensch Koch zu erholen von dem Image, das der Politiker Koch immer wieder erzeugt hat.

Kann so einer die Politik einfach verlassen, ein anderes Leben beginnen, sich verändern?

Ganz sicher war Roland Koch sich selbst nicht, als er sich vor zwei Jahren darauf einließ, in unregelmäßigen Abständen Auskunft über sich zu geben.

Eine Reihe von Treffen

Juli 2010, ein verregneter Sommertag. Roland Koch empfängt in der edlen Wiesbadener Staatskanzlei. Sein Abschied auf Raten hat begonnen, den CDU-Landesvorsitz hat er schon abgegeben. Im September soll ihm Volker Bouffier als Ministerpräsident nachfolgen.

Bouffier, sein Innenminister und Freund aus Jugendtagen. Im Andenpakt, dem CDU-Männerbund, den die Hoffnungsträger der Generation Koch geschlossen hatten, war Bouffier derjenige gewesen, der den Ton angab. Koch hat ihn überflügelt. So wie er fast alle aus seiner Generation überflügelte. Er war Reservekanzler, Schatten-Vorsitzender, die Alternative zu Angela Merkel. Er war auch der Erste, der merkte, dass die Zeit über den Andenpakt hinweggegangen war. Dass eine historische Anomalie namens Merkel die natürliche Thronfolge bei den Konservativen ein für alle Mal verändert hatte.

Roland Koch trägt seine Uniform: rote Krawatte, blauer Anzug, wie immer. Noch stützt ihn sein Amt. Koch scherzt über sein anstehendes "Langzeit-EKG". Er ist obenauf, weil sein Plan so gut funktioniert hat. Was war der Plan? "Einen reibungslosen Übergang hinbekommen, bei dem ich die Chance habe, mich von den Menschen, die mir wichtig sind, aus dieser Funktion zu verabschieden und die CDU ohne Verletzung ihrer Identitätsmerkmale an meinen Nachfolger zu übergeben." Er spricht wirklich so. Wenn Sprache etwas mit Denken zu tun hat, dann lässt sich feststellen: Bei Koch hat alles einen Anfang und ein logisches Ende. Er ist keiner von denen, bei denen jeder Satz im Nirwana endet. Maximale Kontrolle, das bedeutet auch: maximale Distanz.

Neuanfang bei Bilfinger Berger

Roland Koch und Andrea Ypsilanti Quelle: REUTERS

Koch weiß noch nicht, was danach kommt. Eine Beratertätigkeit soll es nicht sein, bei der man viele gute Ratschläge gibt, aber für nichts verantwortlich ist. Sich messen, Wettbewerb, das war immer Kochs Element. Sein Ziel: Erster sein. Ihm hätte man, im Guten wie im Schlechten, alles zugetraut. Doch für ihn liegt der Trost nicht im Konjunktiv: Erster konnte er nicht mehr werden.

Nun ist er der Erste, der etwas Neues wagt. In Deutschland war es in der Politik bislang üblich, dass man sich ihr ganz verschrieb oder gar nicht. Adenauer, Brandt, Schmidt, sie alle kamen spät in die Politik und blieben dort. In den Sielen sterben, nannte man das. Koch gehört zu einer Generation, die kein Leben vor der Politik kannte, aber für sich beschlossen hat, dass es ein Leben nach der Politik geben soll.

Wechsel wie seinen habe es bislang nicht viele gegeben, stellt er zufrieden fest. Immerhin habe er "einen niemandem zu wünschenden, unschätzbaren Vorteil: Ich war gefühlt schon mal draußen." 2008 war das. In Hessen gab es nach der Wahl ein Patt, Andrea Ypsilanti, Kochs Herausfordererin, konnte nicht gewählt, er selbst nicht abgewählt werden. In der Neuwahl Anfang 2009 rettete sich seine Regierung nur dank der FDP.

Einen Urlaub pro Monat

Seiner eigenen Zukunft nähert sich Koch wie er sich jedem Ereignis genähert hat: brutal rational und ungerührt. Das Steckerziehen hält er für seine Pflicht, er mache das nicht zum Vergnügen, sondern, um die nötige Distanz zwischen Mensch und Amt wieder herzustellen. "Man reformiert wenig Dinge, die man selbst schon einmal reformiert hat", sagt er.

Die Versuchsanordnung ist folgende: 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr ist man als Ministerpräsident verantwortlich. Jeder Anruf kann wichtig sein, eine Katastrophe ankündigen, auf die man sofort reagieren muss. Wenn man so lange in so einem Amt sei und auf einmal nicht mehr, so Koch, "muss das ja eine Wirkung haben. Das interessiert mich."

Der Plan nach der Übergabe: den Ausstieg schaffen. Einen Urlaub pro Monat hat er seiner Frau für die Zeit nach dem Rücktritt versprochen, für all die abgesagten Verabredungen, die versauten Wochenenden, die Nicht-Urlaube der vergangenen elf Jahre.

Die Verwandlung

Februar 2011. Koch haust in einem Übergangsbüro im Innenministerium, einem schmucklosen Sechziger-Jahre-Bau. Er ist jetzt raus, in einer Zwischenwelt, aber zugleich in der angenehmen Situation, zu wissen, dass er bald wieder drin sein wird. Koch wird neuer Chef von Bilfinger Berger. Hinter ihm liegen mehrere Urlaube – Südfrankreich, die Karibik, die Berge – und eine Wirbelsäulen-OP.

Die Verwandlung des Kampfpolitikers Koch hat mit Schmerzen begonnen. Zehn Tage vor dem Ausscheiden aus dem Amt hat es angefangen, am schlimmsten war es am Abschiedsabend. Die Bandscheibe. Man könnte glauben, dass das kein Zufall war. Koch weist das ins Reich des Unfugs: "Dass mein Wirbelsäulen-Sequester weiß, dass ich aus dem Amt scheide, glaube ich nicht." Schön war die Sache nicht, weil halt "massiv den Nerv blockierend". Seinen Körper hat er immer als hochgezüchteten Motor betrachtet, als Vehikel. Er joggt nicht, um sich oder anderen etwas zu beweisen. Für ihn ist das eher eine Frage der korrekten Wartung.

Der Abschied auf Schloss Biebrich war eine besondere Etappe auf dem Weg nach draußen gewesen, ein Kulminationspunkt, wie er sagt. Für die, die dabei waren, war es ein Abend des Erstaunens. Lieder von Udo Jürgens gab es zu hören, zu sehen einen deutlich gerührten Roland Koch. Keine Tränen, Gott bewahre, aber wippende Füße und eine Gesichtsfarbe, die auf erhöhten Innendruck schließen ließ. Schmerzen auszuhalten fällt ihm nicht schwer. Schlimmer ist es für Roland Koch, Lob und Gefühle wie an seinem Abschiedsabend auszuhalten. So gesehen: Der Bandscheibe sei Dank.

Brutalst möglicher Aufklärer

Franz-Josef Jung Quelle: AP

Öffentlich geweint hat Roland Koch nur einmal: als sein Freund Franz-Josef Jung 2000 seinen Posten als hessischer Generalsekretär der CDU abgab, weil einer die Verantwortung für die Spendenaffäre übernehmen musste. Ihre Vorgänger hatten Geldströme aus schwarzen Kassen, die auch nach Hessen flossen, als jüdische Vermächtnisse deklariert. Koch fand sich, gerade im Amt, auf einem Pulverfass wieder. Er kündigte "brutalstmögliche Aufklärung" an.

Brutalstmöglich, ein Adjektiv, das bis heute an ihm hängen geblieben ist. Denn er machte einen folgenschweren Fehler: Er wisse nichts von Vorgängen außerhalb der offiziellen Buchführung, sagte er. Das war nicht ganz die Wahrheit. Koch musste sich korrigieren. Die Geschichte hatte Spätfolgen, nicht nur für Kochs Image. Sie war der Grund dafür, dass später Franz-Josef Jung Minister in Merkels Kabinett wurde und nicht Roland Koch selbst. Koch, so sah er es, war seinem Freund noch etwas schuldig.

Die Fähigkeit, die Öffentlichkeit zu ertragen, sei die wichtigste Voraussetzung für einen Politiker, sagt Koch. Am Pranger stehen nennt er das. Man rede da jetzt, sagt Koch, über Dimensionen, die für "99,99 Prozent der Menschen völlig indiskutabel, ja unerträglich" seien. "Wo fängt menschliches Leben an?" überschrieb die Titanic einmal eine Postkarte, auf der er abgebildet war, er sah darauf aus wie ein Schwein.

Zwangsmaschine Politik

Bei kaum einem Politiker ging die Satire so unter die Gürtellinie, bei keinem war die Einigkeit so groß, ihm jede Skrupellosigkeit, jede Intrige zuzutrauen. Was ihn am meisten nerve, hat Koch einmal gesagt, als er noch im Amt war, dass er keinen Satz mehr sagen könne, ohne dass dahinter ein anderes Motiv vermutet würde. Meistens kein edles.

"Mit der Empfindlichkeit des normalen Bürgers in der Wirtschaft oder in den Medien überlebt ein Politiker keine zehn Tage": Das sagt keine Mimose, kein Gescheiterter. Sondern ein Hardcore-Politiker, dem man vieles abgesprochen hat, aber nie den Erfolg. Selbst so einer findet die Bedingungen, unter denen Politik gemacht wird, unerträglich. Trotzdem hat er immer wieder selbst an seinem Image mitgewirkt, es gepflegt und wiederbelebt. Weil es auch Teil seines Erfolgs war. Ein Mechanismus der Zwangsmaschine, die Politik auch ist.

Koch und sein Image. Im hessischen Landesverband, Stahlhelmer-Fraktion genannt, stand der junge Koch eher unter dem Verdacht, zu weich zu sein, zu liberal. Als Wolfgang Schäuble 1999 eine Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft erfand, griff Koch sie auf und gewann die Wahlen in Hessen. Der Grundstein für das spätere Image war gelegt. Schaden und Nutzen hielten sich die Waage: Bei den Konservativen war Koch jetzt als harter Knochen bekannt, bei den Linken als gefährlich reaktionärer Politiker. Kaum im Amt, wurde die Spenden-Affäre aufgedeckt. Kein Wunder sei es, meint Koch, dass sie ihn infiziert habe, auch wenn er bis heute darauf beharrt, nicht Teil des Systems gewesen zu sein. Den Imageschaden sah er kommen, hielt ihn aber für alternativlos.

Eine Narbe blieb

Wenn man ihn auf sein Image anspricht, dann sagt er, dass eine Narbe geblieben sei. Nicht das Wort brutalstmöglich schmerzt ihn, sondern die Vermutung, er sei ein korrupter Lügner. Als Ministerpräsident arbeitete er daran, sein Image zu korrigieren. Dann kam der Wahlkampf 2008. Die Macht drohte dem Machtmenschen Koch zu entgleiten. Und Koch tat, was er schon so häufig mit Erfolg getan hatte: Er rettete sich auf Kosten des eigenen öffentlichen Bildes, mit einer Kampagne gegen kriminelle ausländische Jugendliche. Dass sein Bild diesmal nicht mehr reparabel und dieser Sieg sein letzter sein würde, hat er damals geahnt. Er hat es in Kauf genommen.

Das Schwerste sei nicht das Wegstecken, sagt Koch. Das Schwerste sei es, empfindlich zu bleiben. "Wenn man alles wegstecken kann, dann lebt man in einem Kokon, der einen gar nicht mehr wahrnehmen lässt, was andere Menschen wahrnehmen", sagt er. "Die Politik ist nicht mein Leben", hat Koch gesagt, als er seinen Abschied bekannt gab, und dass man aufpassen müsse, dass Mensch und Amt nicht verschmelzen.

Start bei der zweitgrößten Baufirma

Roland Koch während einer Pressekonferenz Quelle: dpa

Vor ihm liegt der neue Job: Am 1. Juli wird er Chef von Bilfinger Berger, 58000 Mitarbeiter weltweit, zehn Milliarden Euro Umsatz und wie der neue Chef von nicht ganz einwandfreiem Ruf. Am U-Bahn-Bau in Köln, der zum Einsturz des Stadtarchivs führte, war Bilfinger Berger beteiligt, in Nigeria gab es Korruptionsgeschichten.

Kann er das? Zum ersten Mal seit Jahren steht für ihn diese Frage wieder im Raum. Kochs größte Leistung auf dem Bausektor ist bis dato das Mauern eines neuen Briefkastens. Den brachte er in den achtziger Jahren eigenhändig an seinem Haus an, weil der vorhandene Schlitz zu dünn war für die Akten, die Koch rund um die Uhr anliefern ließ. Nun wird er sich wieder durch Papier fressen. Als Ministerpräsident ließ er sich lieber Schriftstücke als Vermerke bringen, Fakten also statt Meinungen.

Überraschendes Geständnis

Immer wieder betont er, dass er nicht geflüchtet sei. Er mache jetzt das, was er vorher gemacht habe, nur mit anderen Mitteln. In seinem Beharren darauf, sich nie verändert zu haben, gleicht er Joschka Fischer, seinem einstigen Gegner und heimlichen Vorbild. Als sei Veränderung ein Scheitern.

Fast jeder Politiker startet als Idealist. Die wenigsten bleiben es. Was ist aus Roland Kochs Träumen geworden? Er sei, sagt Koch, nun mal "ein Mensch, der stärker in der Welt der Ziele als in der Welt der Träume lebt". Einer, der die Bilder von Träumen schlechter beschreiben könne als die Mechanik von Entwicklungen. Eine akkurate Selbstbeschreibung, man kennt das von ihm. Was überrascht, ist sein Eingeständnis, dass er das bedauerlich findet.

Was also waren und sind die Ziele? Sein Ziel sei es immer gewesen, dass es Menschen besser gehe. Roland Koch ein Weltverbesserer? "Wer in den politischen Beruf geht, ohne die Welt eine bessere machen zu wollen, der hat den Grundansatz nicht verstanden", sagt er.

Eine Gewöhnungssache

August 2011 . Raum Titania im Leipziger Hotel Westin, Vorbereitung auf die jährliche Pressereise von Bilfinger Berger. Um den ovalen Holztisch stehen cremefarbene Ledersessel, auf jedem Platz liegt eine blaue Schreibunterlage mit Block und Kuli. Roland Koch hat außerdem sein iPad 2 vor sich liegen, daneben ein Brillenputztuch, einen Kuli und Traubenzucker. Er trinkt Tee, wie immer, wenn es keine Cola gibt.

"Viele von Ihnen", sagt Koch, "haben den Vorteil, dass sie schon bei einer Bilfinger-Pressereise dabei waren – ich nicht." Sein Nachbar zur Linken trägt eine IWC-Uhr, sein Nachbar zur Rechten eine Rolex. Insignien der Macht, so wie der Anzugärmel, bei dem man wie zufällig den unteren Knopf offen lässt, um zu zeigen, dass es sich um einen Maßanzug handelt. Man sammelt in diesen Kreisen gern Uhren, Füller oder Autos, die Modelle heißen Hamptons, Marguerite Duras oder E-Type.

Roland Koch nimmt seine Uhr ab und legt sie vor sich auf den Tisch. Auch er sammelt Uhren, zu Hause füllen sie eine ganze Kiste. Manche haben Werbeaufdrucke. Uhren, die seiner heutigen ähneln, kennt man aus Werbeblättchen, sie heißen "Modell bicolor" und kosten keine hundert Euro. Natürlich trägt Koch auch seinen blauen Anzug. Gut möglich, dass es derselbe ist, mit dem er 1999 in den Wahlkampf gezogen ist. Seit einem Monat ist er nun also ein Boss der etwas anderen Art. Die Wirtschaft wird sich an Koch mindestens so sehr gewöhnen müssen, wie er sich an sie. In der Politik war Koch immer einer der wenigen Klartexter. Nun spricht er über "Personen, die die coverage verantworten", über returns per share, compliance, concessions und building services, er redet übers sich committen. Man braucht einen Übersetzer, um all das zu verstehen.

Der liebenswürdige Herr Koch

Hostessen warten bei der Hauptversammlung der Bilfinger Berger SE Quelle: dpa

Der Neue, hört man derweil im Unternehmen, sei ausgesprochen höflich, es fallen gar Worte wie "liebenswürdig" und "angenehm". Stefan Schulte, der Chef von Fraport, der Koch schon in seiner Zeit als Politiker kannte, nennt ihn eine "Persönlichkeit, die Wärme ausstrahlt".

Hat der Mensch sich verändert? Oder verändert sich einfach die Wahrnehmung, wenn die Zwangsmechanismen der Politik und der Öffentlichkeit nicht mehr wirken?

Koch schaut vergnügt in die Runde: "Sie wollen alles wissen, das werden Sie aber nicht erfahren." Es geht um seine Strategie, erst im November will er sie öffentlich machen. Den Zeitpunkt selbst zu bestimmen war ihm immer wichtig, er wollte Autor der eigenen Geschichte bleiben. Es gab Spekulationen, ob er nach Berlin kommen werde, als Superminister, zuletzt als Nachfolger von Wolfgang Schäuble. Da war Koch längst klar geworden, dass er auch als Superminister immer eine abhängige Größe von Angela Merkel bleiben würde. Sie wäre es gewesen, die seine Geschichte geschrieben hätte. Einer der Gründe dafür, dass er jetzt hier im Raum Titania sitzt und nach dem Laserpointer sucht.

Die Politik ist in die Ferne gerückt

Die Uhr wird er weiter tragen, ganz bewusst. Er kennt die Wirtschaft und ihre Spielregeln, aber er will nicht ganz in ihr aufgehen, so wie er nicht ganz in der Politik aufgehen wollte. Wie oft war er als Politiker der Einzige am Tisch, der weniger als 20000 Euro im Monat verdiente. Nun wird er zu denen gehören, die am meisten am Tisch verdienen. Auf das ihm zustehende Übergangsgeld, rund 50.000 Euro, hat er verzichtet. Geld und Statussymbole waren ihm nie wichtig. Koch ging es immer um Einfluss.

Nun spielt die Welt verrückt, die Politik laboriert am Rande der Überforderung, aber er läuft auf Baustellen herum. Erträgt er das? Er staune, wie schnell die Politik in die Ferne rücke, sagt Koch – und kann doch in einer Sekunde von null auf hundert schalten, von maintenance zur Rettung Europas. Die Aufregung hält er für leicht übertrieben. Jedenfalls seien die Staatsschulden nicht so stark gestiegen wie die Aufregung darüber, stellt er in der Kaffeepause betont gelassen fest.

Dann bricht er auf zum Kraftwerk Lippendorf bei Leipzig und nach Leuna im Chemiedreieck von Sachsen-Anhalt. Rohre, Stellwände, Kühltürme, Klärschlamm, Bilanzen, Börsenwerte, das ist jetzt seine Welt. Bei der Einfahrt auf das Firmengelände von Leuna wird Koch ungeduldig, als er dem Pförtner etwas erklären muss, er war doch neulich schon mal da. Es ist ein Moment, in dem man denkt: Seine neue Welt könnte ihm schnell zu klein werden.

Wenige Monate später, im November 2011, legt Roland Koch seine Messlatte auf: Gewinn verdoppeln. Von 8,2 Milliarden Leistung auf 11 bis 12 Milliarden im Jahr 2016. Bilfinger hat einen Großauftrag geangelt: In den nächsten zehn Jahren wird der Konzern die 1300 Gebäude der Deutschen Bank warten und renovieren. Ein Strategieprogramm wurde aufgelegt, BEST steht für "Bilfinger Berger escalates strength". Das Auslandgeschäft soll ausgebaut, die Teilkonzerne sollen enger vernetzt werden. "Kann man ambitionierter sein als wir?", fragt Koch. Das "wir" geht ihm mühelos über die Lippen. Branchendienste berichten, Koch habe Interesse an einer zweiten Amtszeit bekundet.

Februar 2012 , Mannheim, das letzte Gespräch, es findet statt in Roland Kochs neuem Büro. Neben Krokodil, Koalitionsfüllern und Fotos sieht man ein quadratisches Bild: "Wait here for further instructions". In Wiesbaden hatte es noch ein zweites mit der Aufschrift "LIEBE" gegeben. Die LIEBE ist nicht mehr da.

Kein Politiker mehr

Roland Koch geht auf dem CDU-Landesparteitag von der Bühne Quelle: dpa

Was hat sich verändert in seinem Leben? "Die Wahrnehmung von Lebenssachverhalten aus dem Bereich der Politik ist geringer geworden und aus dem der Wirtschaft hat sie zugenommen." Lebenssachverhalte. Es hat geklappt, er ist jetzt wieder drin, die Zwischenzeit mit ihrer Offenheit ist vorbei. Koch hat sich seine neue Welt antrainiert, mit der Kraft der Autosuggestion, die jeder gute Politiker beherrscht. Und mit der ihm eigenen Unerbittlichkeit, die vor nichts haltmacht, nicht mal vor ihm selbst

Ist Roland Koch noch ein Politiker? Bei jedem Treffen kam diese Frage auf, meistens gab es einen Moment des Zögerns, dann ein Sowohl-als-auch. Diesmal kommt die Antwort schnell. "Nein, ich bin ganz sicher kein Politiker mehr." Kein Zweifel soll entstehen. Das Wörtchen "ganz" hat er bei der Autorisierung der Zitate extra noch nachgeliefert.

Koch wirkt geradezu unverschämt entspannt, er weiß, dass er zufrieden sein kann. In zehn Tagen wird er die neuen Ergebnisse seines Unternehmens mitteilen: ein Gewinnplus von 39 Prozent auf 394 Millionen Euro.

Der Druck hat abgenommen

Die Gefahren des berufsbedingten Schadens, den der Mensch erleidet, die hält er in Wirtschaft und Politik für dieselben: Arroganz und Selbstgefälligkeit, die unvermeidliche Verwachsung von Ego und Amt. Am Anfang sehe man noch, dass so ein Amt zeitlich begrenzt sei, die Macht nur geliehen. "Vielleicht sieht man es nach einem Jahrzehnt noch – ich glaube, ich habe es gesehen. Aber sieht man es nach anderthalb Jahrzehnten noch? Da wird’s schwierig", sagt Koch.

Ein Politiker gehöre nicht sich selbst, sondern der Öffentlichkeit, das war immer Kochs Überzeugung. Er meint damit: Politiker müssten die Deutungshoheit über ihr Image abgeben und das aushalten. Er hat nicht zu denjenigen gehört, die die Öffentlichkeit überzeugen wollten, dass sie eigentlich "ganz anders" sind. Wie anstrengend das war, stellt er jetzt erst fest.

Sieg um jeden Preis, auch um den Preis der Selbstvernichtung, das war immer die Methode Koch. Er hat den Preis klaglos bezahlt. "Ein Wunder, dass ich überlebt habe", hat Koch in einem der Gespräche gesagt, da ging es um die Spendenaffäre. Der größte Unterschied zu früher: Der Druck hat abgenommen, die ständige Sprungbereitschaft.

Ausflug in eine andere Welt.

Am 18. März steht er unter seinen Parteifreunden, in einer der hinteren Reihen der Bundesversammlung. Der Bundespräsident wird gewählt, Koch ist Wahlmann der CDU. Er ist zum ersten Mal hier, seit er der Politik den Rücken gekehrt hat.

Früher gehörte er in diesem Kreis zum Zentrum, jetzt sei er ein Teilnehmer am Rande, sagt Koch eine Woche später in einem kurzen Telefonat. Ein bisschen war es wie ein Klassentreffen, auch wenn er diesen Begriff im Hinblick auf die Bundesversammlung nicht benutzen würde: Man hat eine wichtige Zeit miteinander verbracht, aber sie ist vorbei. Man hat sich einmal gekannt. Ob man sich noch kennt, weiß man nicht genau.

"Das war ein Ausflug in eine andere Welt", sagt Roland Koch. Er vermisst sie nicht.

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