Bitkom-Studie Wie deutsche Unternehmen ausländische Mitarbeiter finden

Ob Azubis aus Spanien, IT-Fachkräfte aus Indien oder Ärzte aus Rumänien – deutsche Unternehmen stellen mehr ausländische Mitarbeiter ein. Wie sie an neue Mitarbeiter kommen, verrät eine exklusive Studie.

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Aus Vietnam, Bulgarien und Polen kommen die neuen Auszubildenden, die das Bildungswerk der Sächsischen Wirtschaft (BSW) angeworben hat. Die 27-jährige Thi Hai Chu etwa möchte Mechatronikerin werden, besucht zunächst die Lehrwerkstatt des BSW und wechselt nach einigen Monaten in ihren Ausbildungsbetrieb, wie sie der sächsischen Zeitung „Freie Presse“ erzählt. Kurz vor Beginn des Ausbildungsjahres waren im Freistaat noch 1800 Lehrstellen unbesetzt, der Blick über die Staatsgrenzen hinweg also logische Konsequenz.

Doch nicht nur bei den Azubis versuchen Betriebe, sich internationaler aufzustellen, weil sie am heimischen Arbeitsmarkt nicht fündig werden. Eine exklusive Studie des IT-Branchenverbandes Bitkom im Auftrag des Businessnetzwerks Linkedin zeigt, dass auch Fach- und Führungskräfte aus dem Ausland für deutsche Unternehmen immer interessanter werden.

17 Prozent der mehr als 1000 befragten Unternehmen gaben an, schon heute Mitarbeiter aus dem Ausland zu beschäftigen. Das ist ein Drittel mehr als noch im vergangenen Jahr. Diese auf den ersten Blick relativ niedrige Zahl ergibt sich vor allem daraus, dass kleine und mittlere Betriebe mit 50 bis 499 Mitarbeiter deutlich weniger internationale Arbeitskräfte beschäftigen als Konzerne.

Unternehmen sollten Chancen jetzt wahrnehmen

In den nächsten zwölf Monaten plant laut Studie jedes neunte Unternehmen ausländische Fach- und Führungskräfte einzustellen. „Dieser Trend wird anhalten“, sagt Till Kaestner, Geschäftsleiter der DACH-Region bei Linkedin. Studienautor Axel Pols von der Bitkom Research GmbH ergänzt: "Und die Unternehmen sollten die guten Chancen am europäischen Arbeitsmarkt jetzt wahrnehmen. Denn die Bereitschaft junger Spanier, Griechen oder Italiener nach Deutschland zu kommen, wird nach der Krise wieder abnehmen."

Einige Unternehmen haben das längst erkannt. Das Ingenieursbüro IMST aus dem nordrhein-westfälischen Kamp-Lintfort etwa unterhält gute Kontakte zu spanischen Hochschulen, holt regelmäßig studierte Ingenieure von der iberischen Halbinsel ins Unternehmen. Und tatsächlich legen deutsche Arbeitgeber ihren Rekrutierungsfokus momentan auf Südeuropa. Mehr als die Hälfte der Betriebe, die sich im Ausland umschauen, nannten Länder wie Spanien, Portugal oder Griechenland als Zielländer.

„Dort gibt es viele gut ausgebildete Fachkräfte, die auf ihrem heimischen Arbeitsmarkt momentan wenig Chancen haben“, begründet Kaestner die Orientierung der Unternehmen. Beispielsweise in Spanien wären viele Arbeitslose mit guten Qualifikationen in den Bereichen IT und Telekommunikation anzutreffen. Und gerade in diesen Abteilungen ist der Anteil an ausländischen Fach- und Führungskräften schon heute überdurchschnittlich: er liegt bei zehn Prozent.

„Natürlich ist es in den technisch getriebenen Disziplinen einfacher, ausländische Fachkräfte einzusetzen, da viel auf Englisch abläuft“, sagt Pols. „In Personalabteilungen und im Marketing hingegen sind vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen gute Deutschkenntnisse unabdingbar.“ Während die Unternehmen für IT- und Telekommunikationsfachkräfte vor allem auf den europäischen Arbeitsmarkt und Indien setzen, halten sie für den Bereich Forschung und Entwicklung neben den Indern besonders US-Amerikaner und Franzosen für geeignet.

Unternehmen müssen Recruiting-Kanäle anpassen

Die internationalen Fach- und Führungskräfte sollen laut Umfrage aber nicht nur den Fachkräftemangel bremsen, von dem sich knapp 60 Prozent der befragten Unternehmen bedroht sehen. Der zweitwichtigste Grund für die Rekrutierung im Ausland ist, über die neuen Mitarbeiter Kontakte in deren Heimatmärkte zu erlangen. Drittens wollen die Unternehmen ihr Kompetenz- und Qualifikationsprofil mit ausländischen Arbeitskräften gezielt weiterentwickeln.

Ein Beispiel dafür sind laut Kaestner Unternehmen, die digitales Marketing betreiben. „In den USA und in Asien optimieren Unternehmen ihre Onlinewerbung schon lange anhand der ausgewerteten Daten“, sagt der Linkedin-Manager. „Deutsche sind gerade erst noch dabei, Erfahrung in diesem Bereich zu sammeln.“

Zur Überbrückung holen Betriebe Fachkräfte aus dem Ausland. Vor allem die sogenannten Young Professionals mit erster Berufserfahrung und Hochschulabsolventen, die gerade von der Uni kommen, werden zukünftig häufiger im Ausland gesucht werden. Über 50 Prozent der Unternehmen mit Auslandsfokus wollen international nach diesen Gruppen Ausschau halten.

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10. MechanikerNach kurzfristiger Entspannung ist in Deutschland der Anteil der Unternehmen, die offene Stellen nicht besetzen können, wieder kräftig von 35 auf 40 Prozent gestiegen. Auch weltweit ist der Wert mit 36 Prozent auf dem höchsten Niveau seit 2007, jedoch ist der Anstieg hier nur moderat. Die Folgen des Fachkräftemangels spüren viele Firmen laut des Personaldienstleisters ManpowerGroup-Studie bereits: 50 Prozent geben an, dass die Rekrutierungsprobleme ihre Wettbewerbsfähigkeit gefährden. 45 Prozent sagen sogar, dass der Fachkräftemangel sich schon negativ auf die Kundenzufriedenheit auswirkt. Jetzt hat Dekra seinen Arbeitsmarkt-Report veröffentlicht, für den die Stellenanzeigen aus Printpublikationen, Online-Jobportalen und einem sozialen Netzwerk analysiert wurden. Die 15.111 offenen Stellen verteilen sich auf insgesamt 214 Berufe und Tätigkeiten. Das sind die am meisten gefragten Berufe. Im Dekra-Report tauchen in diesem Jahr erstmals Mechaniker unter den Top-Ten-Berufen auf. Ihr Anteil an den Stellenanzeigen entspricht 2,12 Prozent. Das ergibt im Dekra-Ranking Platz zehn. Quelle: ZB
9. Medizinisches Fachpersonal"Dem Mangel an qualifizierten Managern sollten die Unternehmen frühzeitig mit individuellen Entwicklungsplänen begegnen, ein Bestandteil können Führungskräfte-Coachings sein", so ManpowerGroup-Deutschland-Chef Herwarth Brune. Das sollten sich offenbar auch Kliniken und Labors zu Herzen nehmen. Ärzte und medizinische Fachangestellte liegen nämlich auf Platz acht der meistgesuchten Fachkräfte. Bei Dekra schaffen es die Gesundheits-und Krankenpfleger auf Platz neun. Ihr Anteil an Stellenanzeigen liegt bei 2,19 Prozent. Quelle: dpa
8. Ingenieure"Deutsche Unternehmen müssen jetzt Initiative ergreifen, damit sie den Wettbewerb um Fachkräfte nicht verlieren", sagt so Herwarth Brune. Das gilt ganz besonders für die Betriebe, die nach Ingenieuren suchen. Und diese scheinen Mangelware zu sein. Jedenfalls belegen sie mit 2,48 Prozent Platz acht der am stärksten nachgefragten Fachkräfte im Dekra-Report. Wer auf Elektrotechnik spezialisiert ist, dem stehen alle Türen offen. Innerhalb der Ingenieurberufe entfällt fast jedes dritte Stellenangebot auf sie (30,9 Prozent). Die Fachrichtung Maschinen- und Fahrzeugbau befindet sich auf Platz 13 und damit erstmals seit 2010 nicht unter den Top-Ten-Berufen. Vermutlich machen sich nun die gestiegenen Absolventenzahlen in diesem Fach bemerkbar. Bei Architekten und Bauingenieuren sorgt die anhaltend gute Lage am Immobilien- und Baumarkt für eine positive Stellensituation: Fast jede fünfte Ingenieurstelle ist für die Planungsspezialisten ausgeschrieben (19 Prozent). Quelle: dpa
7. IT-KräfteNahezu jedes zehnte Stellenangebot richtet sich an Bewerber mit IT-Hintergrund (9,2 Prozent). Die positive Entwicklung der Bereiche Software und IT-Services macht sich auch am Stellenmarkt bemerkbar: Software-Entwickler liegen an siebter Stelle der Top-Ten-Berufe. Mit der zunehmenden Digitalisierung steigt auch der Beratungsbedarf, weshalb der Stellenanteil von IT-Beratern kräftig zugenommen hat. Auf Anwenderseite fehlen vor allem IT-Fachleute wie Systemadministratoren. "Häufig scheitert die Mitarbeitersuche an fehlenden Fachkenntnissen der Bewerber. Doch Weiterbildungsprogramme für Quereinsteiger zahlen sich aus, wenn Kandidaten gut zum Unternehmen passen und eine hohe Motivation mitbringen", sagt Herwarth Brune, Vorsitzender der Geschäftsführung der ManpowerGroup Deutschland. Quelle: dpa
6. VertriebsmitarbeiterDie ManpowerGroup Studie "Fachkräftemangel" wird seit 2006 weltweit durchgeführt (international unter dem Titel "Talent Shortage Survey"). Mit 37.000 Teilnehmern aus 42 Ländern in 2014 zeigt die Studie, welche Stellen weltweit schwer zu besetzen sind. Für Deutschland wurden 1.000 Unternehmen befragt, die einen Querschnitt der gesamtdeutschen Wirtschaft darstellen. Und die deutschen Betriebe fragten Vertriebsmitarbeiter (Platz sieben) sehr viel stärker nach als noch im Jahr 2013. Im Dekra-Report belegen die Vertriebler sogar Platz sechs. Quelle: Fotolia
5. Callcenter-Agents und TelefonverkäuferLeicht gestiegen ist auch die Nachfrage nach qualifiziertem Personal für Callcenter-Agents und Telefonverkäufer. In diesem Jahr belegen sie Platz fünf. Quelle: dpa/dpaweb
4. ElektrikerUnverändert ist dagegen die Nachfrage nach Elektrikern, Elektroinstallateuren und Elektrotechnikern. Sie belegen im Dekra-Report Platz vier. Quelle: dpa

Um die junge Zielgruppe anzusprechen, passen Arbeitgeber ihre Recruiting-Kanäle an. Sie verlagern die Ansprache zunehmend in Richtung Internet. Zwar sind die aufs Ausland spezialisierten Personalvermittler und die Bundesagentur für Arbeit mit 86 Prozent immer noch die meist genutzten Ansprechpartner. Aber Unternehmen setzen vermehrt auf die eigene Karriere-Website, soziale Netzwerke und Online-Jobbörsen.

Auf Netzwerke setzen

Kontakte direkt ins Ausland über Hochschulen, Absolventenmessen oder die Außenhandelskammern werden seltener genutzt. „Für die Arbeitgeber ist es Dank Internet viel einfacher geworden, potenzielle Bewerber direkt anzusprechen“, sagt Linkedin-Manager Kaestner. Siemens etwa habe 130.000 Mitarbeiter, die auf dem Businessnetzwerk aktiv sind. „Sie alle sind Botschafter der Arbeitgebermarke, können in ihren eigenen Kontakten nach möglichen Bewerbern fahnden und dienen Interessierten als Ansprechpartner.“

Das sei auch eine Möglichkeit für Mittelständler, die häufig nicht über eine englischsprachige Karriere-Webseite verfügen. „In Zeiten mangelnder Bewerber müssen Unternehmen auf ihre Netzwerke setzen“, sagt Kaestner. Das gilt auch dann, wenn sie versuchen, ausgewanderte Deutsche zur Rückkehr zu bewegen – wie immerhin knapp 80 Prozent der Arbeitgeber.

Eine beliebte Taktik, denn: Versuchen die Unternehmen Arbeitnehmer von außerhalb der EU anzulocken, ist der Aufwand ungleich höher. Dann dauert die Rekrutierung meist neun bis 18 Monate und damit deutlich länger als bei Inländern oder EU-Arbeitnehmern.

„Da ist die Politik gefragt“, sagt Pols vom Verband Bitkom. Bürokratische Hürden müssten abgebaut, Nachzugsbedingungen für Familien vereinfacht werden. „Die Unternehmen haben längst erkannt, wie wichtig ausländische Fach- und Führungskräfte für die deutsche Wirtschaft sind.“

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