BKA-Bericht zu Cyberkriminalität Das Darknet ist ein Marktplatz für reaktivierte Waffen

Alte Pistolen und Gewehre, die nicht mehr schießen, sind in Deutschland frei verkäuflich. Doch Kriminelle machen solche Waffen wieder scharf – und dealen damit im Darknet.

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Wie die digitale Parallelwelt funktioniert
Tor-Browser
Die Zwiebel mit ihren vielen Schalen: Die Abkürzung TOR steht für: The Onion Router – das Zwiebel-Netzwerk. Die kostenlose Open-Source-Software, einst vom US-Militär entwickelt, dient dazu, die eigene IP-Adresse zu verschleiern, indem sie Anfragen nicht direkt an die Zieladresse im Netz schickt, sondern über eine Kette von Proxyservern leitet. Jeder Proxy kennt nur seinen Vorgänger und Nachfolger, aber keiner kennt den ursprünglichen Absender der Anfrage und gleichzeitig den Empfänger. Das sieht in der Praxis dann so aus. 
Seitenadressen bestehen im anonymen Web aus einer zufällig gewählten, und ständig wechselnden Kombination von Zahlen und Buchstaben. Das erschwert das surfen. Deswegen bieten einige Seiten wie „The Hidden Wikki“, Orientierungshilfe. DeepDotWeb ist auch über das freie Internet zugänglich. Hier finden sich Foren, Fragen und Übersichten rund um das Thema Deepweb/Darknet. 
Tor ist nicht nur zum surfen auf nicht frei zugänglichen Websites nützlich. Auch ganz "normale" Seiten können hier anonym und datensicher angesteuert werden. Gleichzeitig lassen sich auch einige Unternehmen mit einer speziellen .onion Adresse registrieren. So hat zum Beispiel Facebook 2014, als erste große Firma einen offen sichtbaren Tor-Dienst mit eigener Adresse im Anonymisierungsnetz Tor aufgesetzt. 
Grams ist die gängigste Suchmaschine für Drogenmärkte im Darknet. Zwar ist der Drogenmarkt im Internet gegenüber dem Straßenhandel (mit einem geschätzten Umsatz von 320 Milliarden Dollar pro Jahr weltweit) noch klein, aber bereits hart umkämpft. Die Betreiber leben gut von der Verkaufsprovision, die sie für jeden Deal erhalten, der auf ihrer Seite geschlossen wird. Laut FBI sollen beim damals 29-jährigen Marktführer Dread Pirate Roberts von der Seite Silkroad, Bitcoins im Wert von 150 Millionen Dollar sichergestellt worden sein. Im Oktober 2013 wurde der US-Amerikaner Ross Ulbricht, der angebliche Silk-Road-Betreiber, ausfindig gemacht und vom FBI verhaftet. Der heute 32-Jährige wurde zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt. 
Aufgrund der steigenden Konkurrenz haben sich Nachfolger wie Alphabay oder Nucleus vom anarchischen Neunzigerjahre-Look verabschiedet und orientieren sich nun an der Optik des legalen Onlinehandels. Da Vertrauen auf anonymen Marktplätzen ein knappes Gut ist, reagieren die Kunden stärker auf die üblichen Onlinereize wie einprägsame Logos, erkennbare Marken, hochauflösende Produktfotos und Marktstandards wie Kundenprofil, Konto-Übersicht und ausführliche Angebotslisten. Drogen sind auf fast jedem Marktplatz der größte Posten, daneben lassen sich hier jedoch auch Waffen, Hacker, Identitäten, Kreditkarten und andere Dinge erwerben. In den dunkelsten Ecken, die allerdings auch im Darknet nicht ohne weiteres zugänglich sind, finden sich sogar Menschenhandel, Kinderpornographie und Live-Vergewaltigungen. 
Ob gehackte Paypal, Amazon oder Ebay-Konten, eine neue Kreditkarte oder die Dienste eines Hackers, der mit Hilfe einer DDoS-Attacke (Distributed Denial of Service) eine Seite lahmlegen soll. Im Darknet werden Angriffe bzw. Daten jeglicher Art angeboten. Für nur ein Pfund, könnte man hier eine russische Kreditkarte mit hohem Verfügungsrahmen erwerben. Auch persönliche Daten wie Namen, Geburtsdaten, Adressen, EMails und alle erdenklichen Zugänge einer bestimmten Person werden hier für wenige Dollar angeboten. Zur Zeit vor der US-Wahl besonders beliebt: personenbezogene Daten, aufgelistet nach Bundesstaaten in Amerika.

Die Ausstellung kann einem Angst machen: Ein Gewehr Wieger KmS 72, Kaliber 7,62 Millimeter, besser bekannt als „AK 47“. Eine Ceska VZ 58 Maschinenpistole aus der ehemaligen CSSR. Und schließlich eine Glock 17 Pistole. Jene Waffe, die der Amokläufer Ali David S. verwendet haben soll, der am vergangenen Freitag im und um das Münchener Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen und schließlich sich selbst erschoss.

Fünf Tage danach bestücken Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden eine Glasvitrine. Insgesamt acht Waffen-Modelle stellt die Bundesbehörde bei der Vorlage seines Bundeslagebilds Cybercrime 2015 aus. Sie stehen beispielhaft für einen beängstigenden Trend, den das BKA wie folgt beschreibt: „In Deutschland und Europa hat der illegale Umbau von im Ausland hergestellten so genannten Dekorations- und Salutwaffen zugenommen.“

Zahlen nennen die Ermittler nicht. Sie kennen offenbar keine. Zwar kümmern sich rund 140 BKA-Leute schwerpunktmäßig um organisierte Kriminalität im Internet. Doch wenn man Beamte nach konkreten Erkenntnissen zum Waffen-Markt im Darknet fragt, reagieren sie schmallippig. „Die Täter agieren im Verborgenen, deshalb gibt es so wenig Erkenntnisse“, sagt ein hochrangiger Kriminalist. Auf die Frage nach der Bedrohungslage für die Bevölkerung sagt er: „Von jeder Waffe geht eine Bedrohung aus. Der Münchener Amokläufer hatte 300 Patronen dabei. Das sind 300 potenzielle Opfer. Es ist aber nicht so, dass jeder zweite Bürger mit einer Waffe herumläuft.“

Fernab von Google und Facebook lassen sich Daten, Drogen, Waffen und alles, was das Licht der Öffentlichkeit scheut, handeln. Verbrechen ist plötzlich skalierbar. Wie funktionieren diese digitalen Märkte des Bösen?
von Melanie Bergermann, Jürgen Berke

Alte Pistolen und Gewehre, die nicht mehr schießen, können in Deutschland wie in vielen anderen Mitgliedstaaten der EU erlaubnisfrei erworben werden. Doch Kriminelle mit entsprechenden Kenntnissen und Hilfsmitteln machen sie wieder scharf. Die so illegal reaktivierten Schusswaffen gelangen nach Erkenntnissen des BKA unter anderem über den Handel im so genannten Darknet ins kriminelle Milieu.

Als Darknet oder Dark Web gilt ein Teil des Internets, der vom normalen Nutzer abgeschirmt im Dunklen liegt. Zugang erhält nur, wer die richtige Software nutzt, um eines der Netzwerke unter der Oberfläche zu betreten. Die Anonymität nutzen politische Dissidenten in totalitären Regimen, um sicher und unerkannt zu kommunizieren oder Zensur zu umgehen. Doch daneben tummeln sich eben auch Kriminelle wie Drogendealer und Waffenhändler.

Noch spielen Waffen im Darknet eine Nebenrolle


Noch spielen die Waffen eine Nebenrolle. Ihr Angebot sei noch deutlich geringer als beispielsweise das an illegalen Betäubungsmitteln oder Falschgeld, stellt das BKA fest. Typisch für das Darknet sei auch eine relativ hohe Zahl an Betrügern.

Insgesamt ist im vergangenen Jahr ein registrierter Schaden von mehr als 40,5 Millionen Euro durch Computer- und Internetkriminalität entstanden. Mehr als 45.000 Fälle von Cybercrime seien 2015 in Deutschland gezählt worden, teilte das Bundeskriminalamt mit. Die Schadenssumme sei im Vergleich zum Vorjahr um 2,8 Prozent gestiegen, der größte Teil entfalle auf Computerbetrug.

Gleichzeitig gebe es ein sehr großes Dunkelfeld, so dass die Zahlen nicht den tatsächlichen Schaden erfassten, hieß es. BKA-Chef Holger Münch erklärte, es sei wichtig, dass jede Straftat angezeigt werde, damit Cybercrime effektiv bekämpft werden könne. Eine Zunahme registrierte die Behörde bei der Organisierten Kriminalität im Netz: 2013 sei gegen sechs Gruppierungen ermittelt worden, 2015 gegen 22.

„Cyber-Crime ist nach wie vor ein wachsendes Phänomen – man könnte auch sagen, fast ein wachsendes Gewerbe, hier und da sogar eine wachsende Industrie“, warnte Münch. Die Aufklärungsquote liege zwar bei 32,8 Prozent und sei damit im vergangenen Jahr um 3,4 Prozentpunkte gestiegen. Münch wies allerdings darauf hin, dass viele Straftaten bereits im Versuchsstadium enden würden. Manche Delikte würden zudem gar nicht bemerkt, oder gar nicht zur Anzeige gebracht.

Die Vitrine beim BKA bietet dennoch einen erschreckenden Anblick. „Und die kann Dauerfeuer schießen?“, fragt eine Frau, die zur Pressekonferenz nach Wiesbaden gekommen ist, den BKA-Mann vor dem Glasschrank. Der BKA-Mann nickt. Die Frau schüttelt den Kopf.

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