BKA-Lagebericht Werden Flüchtlinge häufiger straffällig als Deutsche?

Die Flüchtlingskriminalität ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. Jetzt geht die Zahl der Straftaten zurück. Das Innenministerium sieht seine Sicht bestätigt – denn die meisten Flüchtlinge halten sich an das Gesetz.

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Syrische Flüchtlinge kommen in das Grenzdurchgangslager Friedland im Landkreis Göttingen (Niedersachsen; Archivbild). Quelle: dpa

Berlin Als es in der Silvesternacht zu Übergriffen von Männern, darunter auch Asylbewerber, auf Frauen kam, reagierte die Bundesregierung entschlossen und änderte das Ausweisungsrecht. Kriminelle Ausländer können seitdem des Landes verwiesen werden. Mit der Gesetzesverschärfung sahen sich all jene bestätigt, die schon immer der Ansicht waren, Deutschland habe ein zunehmendes Problem mit kriminellen Zuwanderern. Tatsächlich ist die Flüchtlingskriminalität im vergangenen Jahr stark gestiegen. Doch neue Daten des Bundeskriminalamts (BKA) bestätigen diesen Trend nicht.

Die Behörde hat jetzt erstmals Zahlen aus allen 16 Bundesländern zur „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ vorgelegt. Kernaussage des Berichts: Die Zahl der Straftaten von Flüchtlingen ist rückläufig. Wurden im Januar noch 25.660 Delikte begangen, waren es im März mit 21.000 Taten 18 Prozent weniger. „Der weitaus größte Anteil der Asylsuchenden begeht keine Straftaten“, konstatieren die Experten.

Die Analyse wertet das Bundesinnenministerium als Beitrag zur Versachlichung der Diskussion. Außerdem werde dadurch eine Erhebung vom Februar bestätigt: „Zuwanderer sind nicht krimineller als Deutsche“, sagte eine Sprecherin.

Insgesamt ist der Befund bemerkenswert, da der Zustrom von Asylsuchenden nach Deutschland weiterhin anhält.  Im vergangenen Jahr stellte sich die Lage in dieser Hinsicht denn auch noch anders dar. Handelsblatt Online beantwortet dazu die zentralen Fragen:


Unter Flüchtlingen mehr junge Männer als in deutscher Bevölkerung

Ist die Kriminalität in Deutschland gestiegen durch den massiven Flüchtlingszustrom?

Ja. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) wurden 2015 genau 114.238 Flüchtlinge einer Straftat verdächtigt – ein Anstieg um 54.326 zum Jahr 2014. Verstöße gegen das Ausländerrecht, die niemanden wirklich schädigen, sind dabei schon herausgerechnet.  Da im gleichen Zeitraum deutlich weniger Deutsche es mit der Polizei zu tun bekamen, blieb die Zahl der Tatverdächtigen bei gut zwei Millionen konstant. Wohl gemerkt: Erfasst werden Verdachtsfälle, keine nachweislichen Straftäter.

Wie erklärt sich der Anstieg der Zahl tatverdächtiger Flüchtlinge?

Ganz überwiegend durch den starken Anstieg der Flüchtlingszahlen im vergangenen Jahr – die Zahl schnellte auf mehr als eine Million nach oben. „Dass eine derartige Bevölkerungszunahme allein schon zu einer Steigerung der absoluten Zahl an Straftaten führt, ist erfahrungsgemäß zwangsläufig“, argumentiert das Bundesinnenministerium.

Werden die Flüchtlinge häufiger straffällig als Deutsche?

Das ist nicht so leicht zu beantworten: Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylbewerber und Geduldete machten 2015 etwa 5,7 Prozent aller Tatverdächtigen aus – also etwa jeder zwanzigste. Unter 100.000 Deutschen wurden laut PKS 2124 auffällig, also gut zwei Prozent der Bundesbürger, die älter sind als acht Jahre.  Eine vergleichbare Zahl für Flüchtlinge oder Ausländer insgesamt erheben die Behörden nicht, da die Fluktuation zu hoch sei. Legt man für eine Überschlagsrechnung die Zahl von rund 1,2 Millionen Flüchtlingen zugrunde, die in den vergangenen drei Jahren laut BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise nach Deutschland kamen und auch noch hier sind, dann liegt die Quote tatverdächtiger Flüchtlinge deutlich höher: bei rund 10 Prozent.

Woran liegt das?

Unter den Flüchtlingen sind weit mehr junge Männer als in der deutschen Bevölkerung: Im vergangenen Jahr waren fast 70 Prozent der Asylantragsteller Männer, und davon wiederum mehr als 70 Prozent unter 30 Jahre alt. „Damit sind bei einem Gesamtvergleich die Gruppen, die üblicherweise stärker kriminalitätsbelastet erscheinen, bei Zuwanderern überrepräsentiert“, so das Innenministerium. Und ein zweiter Faktor spiele womöglich auch eine Rolle: Die Polizei erfahre gerade bei Diebstählen oft durch Anzeigen Geschädigter von Tatverdächtigen – „ein möglicherweise erhöhtes Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Zuwanderern führt zu einem höheren Entdeckungsrisiko für Zuwanderer, die z.B. einen Ladendiebstahl begehen und letztlich zu höheren Fallzahlen in der Statistik“.


Viele Verdachtsfälle bei Laden- und Taschendiebstählen

Welche Straftaten werden besonders oft  von Flüchtlingen begangen?

Tatsächlich werden Flüchtlinge besonders häufig Laden- und Taschendiebstählen verdächtigt – dort liegt ihr Anteil mit 14 bzw. 33 Prozent an allen Tatverdächtigen überproportional hoch. Auch bei Wohnungseinbrüchen geraten Asylbewerber mit  zehn Prozent häufiger ins Visier der Polizei als im Durchschnitt aller Delikte. Das liegt nach den Erkenntnissen der Ermittler aber stark an einzelnen Nationalitäten: Vor allem kriminelle Banden aus Georgien nutzten das Asylsystem, um  in Deutschland systematisch in Wohnungen einzubrechen und Geschäfte auszurauben.  Bei sexueller Belästigung und Körperverletzung sind Flüchtlinge hingegen unterrepräsentiert.

Welche Nationalitäten fallen häufig auf?

In absoluten Zahlen werden am häufigsten Syrer verdächtig - gemessen an ihrem hohen Anteil an der gesamten Flüchtlingszahlen sind sie aber stark unterrepräsentiert. Das Gegenteil gilt hingegen für Albaner, Algerier, Marokkaner, Georgier, Serben und Tunesier – sie fallen deutlich überproportional auf. Bei den Diebstahlsdelikten sind es meist Asylbewerber vom Balkan oder eben aus Georgien, die in Verdacht geraten. 

Welche Erkenntnisse bringt der neue BKA-Lagebericht?

Insgesamt wurden von Flüchtlingen laut BKA im ersten Quartal rund 70.000 Straftaten begangen oder versucht. Ein großer Teil richtete sich gegen andere Flüchtlinge. Bei insgesamt neun Tötungsdelikten im 1. Quartal waren acht der Opfer Zuwanderer. In mehr als der Hälfte der Fälle begingen Migranten laut der Analyse zudem Diebstähle (rund 29 Prozent) sowie Vermögens- und Fälschungsdelikte (28 Prozent). Delikte wie Körperverletzungen, Raub, Nötigung oder Freiheitsberaubungen machen rund 23 Prozent der Straftaten aus. Vor allem Flüchtlinge aus Nordafrika, Georgien und Serbien traten gemessen an ihrem Anteil an allen Flüchtlingen überproportional häufig als Verdächtige auf. Syrer, Afghanen und Iraker werden als „deutlich unterproportional“ an Kriminalität beteiligt bewertet.

Und wie sieht es mit Gewalt gegen Flüchtlinge aus?

Die Zahl der Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte und Asylbewerber „aus fremdenfeindlichen und persönlichen Motiven“ blieb laut BKA auf einem hohen Niveau.

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