Bloß Ablenkung Warum TTIP jetzt kaputt gemacht wird

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Anti-TTIP-Stimmung nutzt Sigmar Gabriel

Tatsächlich nutzt die Anti-TTIP-Stimmung vor allem den Wahlkämpfern in Berlin und Paris: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Wer gegen TTIP ist, suggeriert Volksnähe. Zudem kann zumindest Gabriel mit der TTIP-Debatte ablenken von seiner momentan noch größeren Baustelle in Sachen Freihandel: dem europäisch-kanadischen Abkommen Ceta, über das die SPD am 19. September auf einem Parteikonvent abstimmt. Seit Wochen wirbt Gabriel in seiner Partei deshalb für den Vertrag. Doch der Widerstand der Bürger ist riesig: Am Mittwoch reichten die Initiatoren von „Nein zu Ceta“ ihre von 125.000 Menschen getragene Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein – nie wurde eine Klage vor dem höchsten deutschen Gericht von mehr Menschen unterstützt.

Beim informellen Handelsministerrat am 22. September in Bratislava werden die 28 national zuständigen Minister über den Vorschlag der EU-Kommission beraten, Ceta vorläufig in Kraft zu setzen. Man werde dann über den Vorschlag der Kommission beraten, Ceta als gemischtes Abkommen einzustufen, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. „Dabei müssen sich alle EU-Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Position verständigen“, sagte ein Sprecher der WirtschaftsWoche.

Genau das aber dürfte schwierig werden. Denn nach Informationen der WirtschaftsWoche steht Streit um die vorläufige Inkraftsetzung bevor. Die EU-Kommission will möglichst wenige Punkte aus der vorläufigen Umsetzung ausklammern, etwa nur den Investorenschutz und das Investitionsschiedsgericht. Viele EU-Mitgliedsstaaten wollen dagegen weitere Punkte ausnehmen, darunter etwa auch das Thema Verkehr. Sie dringen auf Ausnahmen bei Themen, die sie als nationale Kompetenz ansehen.

Sollten die Mitgliedsstaaten allerdings auf allzu große Ausnahmen bei der vorläufigen Inkraftsetzung drängen, droht Widerstand aus dem Europäischen Parlament. „Wenn die EU-Handelsminister Ceta als Rumpf-Abkommen anwenden wollen, dann sollten wir vom Europäischen Gerichtshof klären lassen, ob Ceta tatsächlich ein gemischtes Abkommen ist“, sagt der Europa-Abgeordnete Daniel Caspary, handelspolitischer Sprecher der christdemokratischen Fraktion der WirtschaftsWoche.

Die EU-Kommission hatte Anfang Juli Ceta überraschend als „gemischt“ eingestuft, wodurch nun 42 nationale und regionale Parlamente in die Ratifizierung einbezogen werden müssen. Die Kommission betont allerdings nach wie vor, dass nach ihrem Rechtsverständnis das Abkommen in ihre alleinige Zuständigkeit fällt, und die nationalen Parlamente rein rechtlich nicht einbezogen werden müssten.



Die vorläufige Inkraftsetzung, so hofft man in Brüssel, wäre ein Weg, um Ceta möglichst schnell zumindest teilweise anzuwenden  – nach Möglichkeit bereits ab dem 27. Oktober, wenn der kanadische Premier Justin Trudeau nach Brüssel reist. Schließlich ist man in der EU-Kommission sehr stolz auf das Erreichte: „Ceta setzt Standards hinter die wir bei keinem künftigen Freihandelsabkommen zurück können. Wir haben das bestmögliche erreicht. Kanada war extrem kompromissbereit. Aber die Bereitschaft hat auch Grenzen“, heißt es aus der Kommission. Weitere Zugeständnisse der Kanadier könne man nun nicht erwarten.

Vielmehr gehe es darum, Ceta nun zügig zu unterschreiben – auch, um TTIP irgendwann zu Ende zu verhandeln. „Wenn wir als EU nicht in der Lage sind uns mit Kanada auf ein Abkommen zu einigen – wer will dann überhaupt noch mit uns verhandeln? Wir haben Kanada nun 5 Jahre lang vor uns hergetrieben, haben 90 Prozent unserer Vorstellungen durchgesetzt. Wenn wir jetzt sagen: ne sorry – dann werden die nächsten Handelspartner nicht gerade Schlange stehen“, heißt es in Brüssel.

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