Bloß Ablenkung Warum TTIP jetzt kaputt gemacht wird

Die Debatte um das Freihandelsabkommen mit den USA ist für die Wahlkämpfer in Berlin und Paris ein nützliches Scheingefecht. In Wahrheit sind sich jetzt schon alle einig, dass TTIP vor den US-Wahlen nichts mehr wird. Bei dem aktuellen Streit geht es vielmehr darum, die Öffentlichkeit von Ceta abzulenken. Denn auch über dieses Abkommen gibt es inzwischen große Unstimmigkeiten.

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Sei Monaten gehen TTIP-Gegner in ganz Europa auf die Straße. Quelle: dpa

Natürlich musste Bundeskanzlerin Angela Merkel sofort dementieren. Was hätte sie auch anders tun sollen, nachdem ihr Vize Sigmar Gabriel am Sonntagabend mal eben so mir nichts, dir nichts das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP beerdigte. Das sei „de facto gescheitert“, hatte Gabriel in der Bundespressekonferenz wissen lassen. Worauf Merkel am Montag durch ihren Regierungssprecher verkünden lies: „Noch sind die Verhandlungen nicht zu Ende. Es ist schon oft in Gesprächen durchaus in der letzten Runde erst das Entscheidende passiert." Doch da war der Geist schon aus der Flasche.

Am Dienstag sagte Frankreichs Außenhandels-Staatssekretär Matthias Fekl, es gebe für TTIP „keine politische Unterstützung Frankreichs mehr.“  Selbst aus dem konservativen Lager kommt laute Kritik. Die ehemalige EU-Kommissarin Viviane Reding fordert als Europa-Abgeordnete die luxemburgische Regierung auf, die Verhandlungen zu stoppen. Das Thema spaltet – quer durch die politischen Lager.

Der Kreis der Merkel-Unterstützer in Sachen Freihandel wird kleiner. Auch wenn man in Brüssel offiziell um Schadensbegrenzung bemüht ist: „Die EU verhandelt weiter intensiv über TTIP. Wie erwartet sind diese Verhandlungen schwierig. Das wussten wir von Anfang an. Aber wir haben gute Fortschritte gemacht”, sagt EU-Handelskommissarin Cecila Malmström der WirtschaftsWoche. „Ich teile nicht die Einschätzung, dass die Verhandlungen gescheitert sind.”

Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken

Hinter den Kulissen jedoch sind sich alle einig, dass es mit TTIP vor dem Ende der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama wohl nichts mehr wird. Die letzte Verhandlungsrunde war im Juli. Seither hat es keine entscheidenden Fortschritte gegeben. Im Gegenteil: die Differenzen zwischen Europa und Amerika sind enorm. „Die Obama Administration signalisiert auf allen Ebenen: wir wollen dieses Abkommen und wir können es schaffen. Sie bewegen sich aber kaum.

Bei den USA klafft eine große Lücke zwischen Rhetorik und Verhandlungsergebnis“, heißt es in der EU-Kommission. Vor allem in den Bereichen Marktzugang, regulatorische Kooperation und öffentliche Beschaffung hapere es gewaltig. „Wir sind in der Lage uns zu bewegen, aber die Amerikaner müssen auch etwas tun.“

Die Hoffnung darauf scheint nicht sehr groß. Inzwischen gibt es in Brüssel gar einen Plan B: „Unser Ziel ist es, dass Erreichte am Ende von Obamas Amtszeit zu konsolidieren, um es mit der nächsten Administration weiter zu verhandeln“, sagte eine hochrangige Beamtin der Kommission der WirtschaftsWoche.

Das allerdings dürfte dann erst in einigen Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten der Fall sein. Schließlich haben beide Bewerber um das US-Präsidentenamt erklärt, mit der bisherigen US-Freihandelspolitik zu brechen. Sowohl der Republikaner Donald Trump als auch die Demokratin Hillary Clinton sehen TTIP skeptisch, wollen die Verhandlungen gar ganz stoppen. 

Warum kommt die Debatte also ausgerechnet jetzt?

Anti-TTIP-Stimmung nutzt Sigmar Gabriel

Tatsächlich nutzt die Anti-TTIP-Stimmung vor allem den Wahlkämpfern in Berlin und Paris: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Wer gegen TTIP ist, suggeriert Volksnähe. Zudem kann zumindest Gabriel mit der TTIP-Debatte ablenken von seiner momentan noch größeren Baustelle in Sachen Freihandel: dem europäisch-kanadischen Abkommen Ceta, über das die SPD am 19. September auf einem Parteikonvent abstimmt. Seit Wochen wirbt Gabriel in seiner Partei deshalb für den Vertrag. Doch der Widerstand der Bürger ist riesig: Am Mittwoch reichten die Initiatoren von „Nein zu Ceta“ ihre von 125.000 Menschen getragene Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein – nie wurde eine Klage vor dem höchsten deutschen Gericht von mehr Menschen unterstützt.

Beim informellen Handelsministerrat am 22. September in Bratislava werden die 28 national zuständigen Minister über den Vorschlag der EU-Kommission beraten, Ceta vorläufig in Kraft zu setzen. Man werde dann über den Vorschlag der Kommission beraten, Ceta als gemischtes Abkommen einzustufen, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. „Dabei müssen sich alle EU-Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Position verständigen“, sagte ein Sprecher der WirtschaftsWoche.

Genau das aber dürfte schwierig werden. Denn nach Informationen der WirtschaftsWoche steht Streit um die vorläufige Inkraftsetzung bevor. Die EU-Kommission will möglichst wenige Punkte aus der vorläufigen Umsetzung ausklammern, etwa nur den Investorenschutz und das Investitionsschiedsgericht. Viele EU-Mitgliedsstaaten wollen dagegen weitere Punkte ausnehmen, darunter etwa auch das Thema Verkehr. Sie dringen auf Ausnahmen bei Themen, die sie als nationale Kompetenz ansehen.

Sollten die Mitgliedsstaaten allerdings auf allzu große Ausnahmen bei der vorläufigen Inkraftsetzung drängen, droht Widerstand aus dem Europäischen Parlament. „Wenn die EU-Handelsminister Ceta als Rumpf-Abkommen anwenden wollen, dann sollten wir vom Europäischen Gerichtshof klären lassen, ob Ceta tatsächlich ein gemischtes Abkommen ist“, sagt der Europa-Abgeordnete Daniel Caspary, handelspolitischer Sprecher der christdemokratischen Fraktion der WirtschaftsWoche.

Die EU-Kommission hatte Anfang Juli Ceta überraschend als „gemischt“ eingestuft, wodurch nun 42 nationale und regionale Parlamente in die Ratifizierung einbezogen werden müssen. Die Kommission betont allerdings nach wie vor, dass nach ihrem Rechtsverständnis das Abkommen in ihre alleinige Zuständigkeit fällt, und die nationalen Parlamente rein rechtlich nicht einbezogen werden müssten.



Die vorläufige Inkraftsetzung, so hofft man in Brüssel, wäre ein Weg, um Ceta möglichst schnell zumindest teilweise anzuwenden  – nach Möglichkeit bereits ab dem 27. Oktober, wenn der kanadische Premier Justin Trudeau nach Brüssel reist. Schließlich ist man in der EU-Kommission sehr stolz auf das Erreichte: „Ceta setzt Standards hinter die wir bei keinem künftigen Freihandelsabkommen zurück können. Wir haben das bestmögliche erreicht. Kanada war extrem kompromissbereit. Aber die Bereitschaft hat auch Grenzen“, heißt es aus der Kommission. Weitere Zugeständnisse der Kanadier könne man nun nicht erwarten.

Vielmehr gehe es darum, Ceta nun zügig zu unterschreiben – auch, um TTIP irgendwann zu Ende zu verhandeln. „Wenn wir als EU nicht in der Lage sind uns mit Kanada auf ein Abkommen zu einigen – wer will dann überhaupt noch mit uns verhandeln? Wir haben Kanada nun 5 Jahre lang vor uns hergetrieben, haben 90 Prozent unserer Vorstellungen durchgesetzt. Wenn wir jetzt sagen: ne sorry – dann werden die nächsten Handelspartner nicht gerade Schlange stehen“, heißt es in Brüssel.

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