Bornholmer Straße Transitraum der Deutschen Einheit

Am Grenzübergang Bornholmer Straße fiel vor 20 Jahren die Mauer. Heute hat sich dort alles verändert und nichts. Der Ort zeigt exemplarisch, wie schwierig und alltäglich das Zusammenwachsen der Deutschen ist.

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Mauerfalle Bornholmer Straße

Am Ort des Mauerfalls hat sich die Wiedervereinigung um fast zwanzig Jahre verzögert. In der Nacht des 9. November 1989 wurde am Grenzübergang Bornholmer Straße zum ersten Mal die Grenze geöffnet, die historischen Bilder von jubelnden Menschen und einer Schlange hupender Trabanten, die den Grenzübergang stürmen, flackern momentan täglich über die Bildschirme. Doch wer heute die mächtige Stahlbogenbrücke zwischen den Berliner Bezirken Wedding und Prenzlauer Berg betritt, den erinnert auf den ersten Blick nichts an dieses epochale Ereignis. Dabei sind die Spuren der Geschichte allgegenwärtig.

An der Nordseite der Bornholmer Straße verläuft noch immer die Mauer die einst den Grenzübergang absicherte. Direkt dahinter liegt ein verstecktes Idyll: die Kleingartenkolonie „Bornholm I“. Nur entfernt dringt der Lärm der über die Brücke bretternden LKW hierher. Die Kleingärtner harken Laub und machen ihre kleinen Parzellen winterfest. Seit 1896 ist das ein wiederkehrendes Ritual, genau wie gegenüber auf der Westseite in der Kolonie „Wiesengrund Nord“.

Hier wie dort wachen Wegeobmänner über die Sauberkeit, prägen wasserspeiende Frösche und Gartenzwergarmeen das Bild. Seit die Mauer abgerissen wurde, trennen nur die breiten Bahngleise die Kolonien und doch sind sich die meisten Kleingärtner lange so fern geblieben, wie vor dem Mauerfall.

Die Wiedervereinigung der Laubenpieper

„Wir waren einige Male drüben und haben sie zu unseren Festen eingeladen, aber da kam nie jemand“, erzählt Holger Gerber, Vorsitzender der Kolonie Bornholm I. Er sitzt am großen, eckigen Stammtisch des Vereinsheims „Bauernstube“. Von der Decke hängt eine Lampe, die aus leeren Kümmerling-Flaschen gebastelt wurde, die Kneipe ist mit Drachen und Blätterketten herbstlich geschmückt.

Neben dem schnauzbärtigen Gerber sitzt Klaus Kunde. Auch der frühpensionierte Polizeibeamte hat die 50 überschritten, trägt eine Goldrandbrille und Dreitagebart. Kunde ist Gerbers Gegenpart von der Westseite, Vorsitzender der Kleingartenanlage „Wiesengrund Nord“. Beide lachen, scherzen und wirken wie langjährige Freunde, dabei kennen sie sich erst seit einem Jahr. Kunde hatte sich mit seinem Hund zu einem Spaziergang auf die Ostseite aufgemacht. In der Bauernstube traf er Gerber, sie verstanden sich auf Anhieb und damit war das Eis gebrochen.

Während Gerber mit dem damaligen Vorsitzenden auf der Westseite nie warm wurde, trifft er Kunde nun regelmäßig zum gemeinsamen Grillen oder auf ein paar Feierabendbier. So auch an diesem Tag. „Auf die Wiedervereinigung der Laubenpieper“, sagt Kunde und prostet seinem Nachbarn zu. Gerade eben haben sie als Symbol des Zusammenfindens ein Foto vom Sommerfest über den Tresen gehängt, auf dem sich die beiden Männer bierseelig in den Armen liegen.

Mauerspuren

Der historische Mauerfall wird draußen an der Bornholmer Straße an jedem 9. November gefeiert. Mit Kerzen und Sekt versammeln sich Anwohner und Zeitzeugen an dem kleinen, am Wegesrand versteckten Gedenkstein. Dahinter befindet sich nun eine Brache. Wo einst die Abfertigungshäuschen der Grenzer standen, ragen Kabel aus dem Asphalt, auf dem sogar noch Markierungslinien und Nummern der Grenzübergangsstelle zu sehen sind. Der hintere Teil ist zugewuchert, Jugendliche haben sich die Sandhügel als Fahrradparcours angeeignet.

Eigentlich sollte in diesem Jahr hier eine größere Gedenkstätte eingeweiht werden. Seit fast fünf Jahren gibt es Planungen für einen „Platz des 9. November“. Ein Investor wollte den Platz bebauen, Wohnungen, Läden und eventuell eine Kita waren geplant, dazu ein Park und Gedenkplatz. Dann übernahm Lidl das Grundstück, doch der Discounter konnte sich mit dem Bezirk nicht über die Baupläne einigen.

So ist hier ganz besonders deutlich zu besichtigen, wie in der ganzen Stadt mit dem historischen Erbe umgegangen wird. Seit Jahren wird über die Mauergedenkstätten debattiert, während die vorhanden Reste, wie die East Side Gallery verfallen. 

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