Brisantes Türkei-Papier Sicherheitsrisiko Bundesinnenministerium?

Ein vertraulicher Türkei-Bericht der Bundesregierung zieht weitere Kreise. Kriminalbeamte fürchten wegen des Papiers aus dem Innenministerium um die Sicherheit in Deutschland. Ein CDU-Politiker pflichtet dem bei.

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Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU): Wegen brisanter Kommunikationspanne in der Kritik. Quelle: dpa

Berlin Die Debatte um einen brisanten Türkei-Bericht der Bundesregierung gewinnt an Schärfe. In ungewöhnlich deutlichen Worten erhebt nun der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) schwere Vorwürfe gegen das federführende Innenministerium von Ressortchef Thomas de Maizière (CDU).

„Man kann, darf und muss sogar die Türkei kritisieren, aber nicht auf diesem Weg. So werden Vorurteile und Hass gefördert, die ihren Weg auch in Form von gewalttätigen Auseinandersetzungen auf unsere Straßen finden können“, sagte Verbandschef André Schulz dem Handelsblatt. Leidtragende seien dann vor allem wieder einmal die Polizisten, die diese Einsätze bewältigen müssen. „Uns wurde hier ein echter Bärendienst geleistet, der vermutlich noch zu personellen Konsequenzen im Bundesinnenministerium führen wird.“

In der am Dienstag bekanntgewordenen Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken wird die Türkei in einem vertraulichen Teil als „zentrale Aktionsplattform“ für islamistische Gruppen im Nahen Osten eingestuft. Demnach arbeitet die Regierung in Ankara seit Jahren mit Islamisten zusammen.

Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz sieht wegen der Aussagen in dem Papier konkret die Sicherheit für in Deutschland lebende Türken in Gefahr.  Die Einschätzungen in dem Dokument hätten zu Schlagzeilen geführt, die alle den Tenor hatten: „Bundesregierung rückt Türkei in die Nähe des Terrorismus“, erklärte Polenz auf seiner Facebookseite.

„Angesichts der drei Millionen Menschen in Deutschland, die aus der Türkei stammen, löst das Innenministerium damit eine Welle von Misstrauen gegenüber diesen Menschen aus. So kann man Probleme für die innere Sicherheit in Deutschland schaffen. Eigentlich ist das Gegenteil die Aufgabe des Innenministeriums“, so der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.

Die Grünen fürchten ebenfalls wegen des Türkei-Papiers, das zwischen Innen- und Außenressort unterschiedlich bewertet wird, um die Sicherheit in Deutschland und fordern, die Angelegenheit im Bundestag zu behandeln. „Die Machtspiele innerhalb der Großen Koalition verärgern nicht nur den Nato-Partner Türkei, sondern haben einen schlechten Einfluss auf das friedliche Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken in unserem Land“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu dem Handelsblatt. Fällig sei daher eine Befassung des Bundestags mit dem Thema, „weil es um die Sicherheit unseres Landes geht“. Mutlu rief die Koalitionspartner zugleich auf, zur Sachlichkeit zurückzufinden.


„Sehr spekulativ und deshalb falsch“

Die Deutsche Polizeigewerkschaft und die SPD halten indes die von Polenz gezogenen Schlussfolgerungen für abwegig. „Ich bin nicht der Auffassung, dass Bewertungen des Bundesinnenministeriums über mögliche Beziehungen der türkischen Regierung zu islamistischen Gruppierungen Rückschlüsse auf die Sicherheit der in Deutschland lebenden Türken zulassen“, sagte der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka dem Handelsblatt.

Polizeigewerkschaftschef Rainer Wendt erklärte im Gespräch mit dem Handelsblatt, Polenz bewerte die Frage „sehr spekulativ und deshalb falsch“. „Die Veröffentlichung hat zu politischen Diskussionen geführt, die die Beziehungen Deutschlands zur Türkei belastet haben, aber nicht zu dauerhaften Störungen führen dürften.“ Es gebe innerhalb Deutschlands „keinerlei Hinweise“ darauf, dass es zu „sicherheitsrelevanten Auswirkungen“ auf die hier lebenden Menschen türkischer Abstammung kommen könne. „Das von Herrn Polenz konstruierte Szenario ist also dem Jahrmarkt der Spekulationen auf Facebook zuzuordnen, da gehört es auch hin“, sagte Wendt.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte zuvor die Einstufung der Türkei als „zentrale Aktionsplattform“ für Islamisten im Nahen Osten verteidigt. „Da ist nichts zu bereuen“, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch im RBB-Fernsehen auf die Frage, ob er das Papier bereue. „Das, was dort vertraulich dargestellt wurde, ist eine pointierte Darstellung eines Teilaspekts türkischer Wirklichkeit.“ Die Realität in der Türkei und die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der Regierung in Ankara gingen darüber hinaus, sagte de Maizière.

Der Grünen-Politiker Mutlu Kritisierte de Maizière scharf und ging auch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hart ins Gericht. „Herr de Maizière gießt Öl ins Feuer und nimmt die Büroversagens-These zurück, Frau Merkel hält unbenommen an der Zusammenarbeit mit der Türkei fest und schweigt weiter zu den BND-Erkenntnissen, das Auswärtige Amt jammert darüber nicht beteiligt zu sein und versucht das Problem kleinzureden und die SPD Fraktion verlangt Beweis“, sagte Mutlu und fügte hinzu: „Das ist, bei aller Kritik an der Türkei, eine außenpolitische Bankrotterklärung gegenüber einem wichtigen Bündnispartner.“

In der schriftlichen Antwort auf die Linken-Anfrage ging es hauptsächlich um den Einfluss des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die deutschen Beamten hatten jedoch in das Dokument eine ganz undiplomatisch-offene Einschätzung der Lage in der Türkei eingebaut. Die Passage war zwar als vertraulich eingestuft, schaffte aber trotzdem schnell den Weg in die Öffentlichkeit.

Kernsatz: Die Türkei habe sich als Resultat der islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras „zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt“. Der Regierungspartei AKP und Erdogan selbst werden zahlreiche „Solidaritätsbekundungen und Unterstützungshandlungen für die ägyptische MB (Muslimbruderschaft), die HAMAS und Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien“ bescheinigt. Starker Tobak für Erdogan.


Gravierender Fehler

Das Außenministerium in Ankara wertete die Aussage denn auch als „einen neuen Beweis für die schräge Einstellung, mit der seit einiger Zeit versucht wird, unser Land zu zermürben, indem unser Staatspräsident und unsere Regierung ins Visier genommen werden“. Die Türkei sei ein Land, „das den Terror, welcher Herkunft auch immer, aufrichtig bekämpft“, hieß es in einer Erklärung. Das erwarte sie auch von ihren Partnern und Verbündeten. Von der Bundesregierung erwarte die Türkei eine Erklärung für die aufgestellten Behauptungen.

Besonders groß ist die Aufregung auch in der schwarz-roten Koalition, weil das SPD-geführte Auswärtige Amt bei der Beantwortung der Linken-Anfrage nicht wie eigentlich notwendig eingebunden war.

Innenministeriums-Sprecher Johannes Dimroth musste deswegen bei einer Befragung vor der Bundespressekonferenz, dem Zusammenschluss der Hauptstadt-Korrespondenten, einen gravierenden Fehler seines Hauses einräumen – unangenehm für seinen als besonders penibel geltenden Minister de Maizière. Der zuständige Sachbearbeiter habe die Einbindung des Außenamts versäumt und zu allem Überfluss auch noch fälschlich einen Vermerk an dem Vorgang angebracht, der sonst signalisiert, dass gerade dies passiert sei. In einer Pressemitteilung sprach Dimroth von einem „Büroversehen“.

Der Polizeigewerkschafter Schulz widersprach dieser Darstellung. „Es ist kein Geheimnis, dass einige Verantwortliche (im Innenministerium) mehr als unzufrieden mit der Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik der Regierung beziehungsweise der Bundeskanzlerin sind, was sich teilweise in einer – wie ich finde – besorgniserregenden Illoyalität widerspiegelt“, sagte er. „Von daher ist es kein Wunder, dass nun diese eigentlich vertrauliche Stellungnahme ihren Weg in die Medien fand und es ist mit Sicherheit kein Büroversehen, dass das Auswärtige Amt nicht beteiligt wurde.“

Nach Einschätzung von Schulz haben solche angeblichen Kommunikationspannen im Innenministerium Methode. „Wir erleben schon seit einiger Zeit, dass Informationen und Papiere aus dem Bundesinnenministerium beziehungsweise den Sicherheitsbehörden an die Medien durchgesteckt werden, um gezielt Stimmung zu machen“, sagte er. „Auch die eine oder andere Äußerung aus dem Bundesinnenministerium hat in der jüngeren Vergangenheit eher zur Verunsicherung der Bevölkerung beigetragen, als das sie uns geholfen hätte.“


„Aussagen machen wir uns in dieser Pauschalität nicht zu eigen“

Nicht ganz einfach ist es für Ministeriumssprecher Dimroth dann auch zu erklären, warum in der von seinem Ministerium verantworteten Antwort zwar die 17-zeilige Analyse des BND enthalten ist, sein Haus aber eigentlich „keine Expertise“ in dieser Frage habe. Dies sei häufiger so, von anderen Regierungsstellen zugelieferte Antworten würden in solchen Fällen einfach in die Papiere hineinkopiert, sagt Dimroth. Man muss wissen: Der deutsche Auslandsgeheimdienst untersteht dem Kanzleramt.

Auf eine inhaltliche Bewertung der BND-Analyse wollten sich der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Steffen Seibert, Dimroth und auch die Sprecherin von Außenminister Steinmeier, Sawsan Chebli, daher auch nicht einlassen. Formaljuristische Begründung: die entsprechenden Passagen seien schließlich als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Nicht die Öffentlichkeit dürfe die Hintergründe erfahren, sondern lediglich die zuständigen Parlamentsgremien wie jenes zur Kontrolle der Geheimdienste.

Chebli musste eine besonders heikle Aufgabe bewältigen. Fast schon traditionell ist ihr Haus auf den BND nicht besonders gut zu sprechen: Wie nach zwar grundsätzlich zutreffenden aber ziemlich undiplomatischen Einschätzungen etwa der Lage in Saudi-Arabien oder Indien sehen die Diplomaten ihre Arbeit auch jetzt durch die Auslandsspione bedroht.

Also versuchte Chebli den Spagat und sagte: „Die in der Presse getroffenen Aussagen (zur Türkei) machen wir uns in dieser Pauschalität als Auswärtiges Amt nicht zu eigen.“ Eine direkte Distanzierung aber vermied sie. Die hätte wohl ein regierungsinternes Zerwürfnis offen gelegt - mit dem Innenministerium und auch mit dem Kanzleramt. Dort hatte man an der BND-Einschätzung offenkundig nichts auszusetzen, ist zu hören. Wie ihr Kollege Dimroth zieht sich Chebli also auf die Vertraulichkeit der Analyse zurück.

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