"Buch über Meinungsfreiheit" Sarrazin schreibt sich in Rage

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"Wer reich ist, sollte sich schuldig fühlen"

Porträt eines Provokateurs
Thilo Sarrazin Quelle: dpa
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Thilo Sarrazin Quelle: dapd
Thilo Sarrazin Quelle: AP
Bahn Hartmut Mehdorn Quelle: AP
Zwischen 2002 und 2009 ist Sarrazin Finanzsenator in Berlin (hier im Bild mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit) und führt eine strenge Haushaltspolitik. Während dieser Zeit setzt er unter anderem Einsparungen von fast 600 Millionen Euro durch und verhängt 2003 eine Haushaltssperre. 2006 lehnt er eine Klage des Landes Berlin ab, das wegen "extremer Haushaltsnotlage" Sanierungshilfen vom Bund gefordert hatte. Quelle: dpa
Sarrazin Schatten Quelle: dpa

Dazu passend stellt Sarrazin 14 Thesen und Trends vor, die gesellschaftlich eine deutliche Mehrheit finden, und bei denen Widerspruch  nicht gern gesehen wird. So auch bei dem Satz: „Wer reich ist, sollte sich schuldig fühlen“.

Keine Frage, der Satz trifft den Zeitgeist. Eine Vermögensabgabe findet breiten Zuspruch, ebenso eine Erbschaftssteuer (obwohl der zu vererbende Besitz, ob die Immobilie oder das Ersparte vom Lohn, ja schon einmal besteuert wurde). Im deutschen Vier-Parteien-Parlament ist der Satz, wonach sich Leistung wieder lohnen muss, nur noch eine Floskel. An der kalten Progression wird nichts geändert, wer Leistung bringt und eine Lohnerhöhung bekommt, kann den Zuwachs direkt an den Fiskus weiterreichen. Dass sich Leistung auch lohnen muss, hat zuletzt Gerhard Schröder verteidigt („Es gibt kein Recht auf alimentierte Faulheit“). Steuersenkungen gelten selbst in Zeiten des Rekordaufkommens als gänzlich abwegig. Während Hunderte von Milliarden als Wählerbestechungsgeschenke verteilt werden gilt jede Milliarde, die an die Steuerzahler zurückgegeben werden könnte, als völlig unverzichtbar.

Sarrazin schreibt in seinem professoralen Ton: „Eine bestimmte Ungleichheit von Einkommen und Vermögen ist die unvermeidliche Folge einer jeden funktionierenden Marktwirtschaft. Der Korrektur durch staatliche Eingriffe sind deshalb stets Grenzen gesetzt.“ So weit, so richtig. Aber: Die wachsende Skepsis der Mehrheit der Bevölkerung ist nicht allein Folge eines Tugendterrors, sondern auch Resultat immer neuer Fehltritte der vermeintlichen Elite, seien es Boni-Zahlungen oder hemmungslose Steuervermeidungstricks. Vor allem aber: wie erklärt sich diese 180-Grad-Wende im Diskurs, der bis zur Finanzkrise ja von der Forderung nach Steuersenkung bestimmt war? Wie geht das?

Unstrittig ist, dass – wie Sarrazin deutlich macht – Wörter dazu da sind, Informationen zu vermitteln. Dass Hilfskräfte nun Assistenten sind und Arbeitslose doch besser Erwerbssuchende genannt werden sollen, ändert nichts am Fakt, dass diese Menschen zuarbeiten bzw. kein festes Anstellungsverhältnis haben. „Die Worte sind gleichgültig. Wo es Arbeitslosenunterstützung gibt, (…) da existiert auch eine Arbeitslosenstatistik, und dort gibt es auch Menschen, welche arbeitslos genannt werden (…) müssen“, unterstreicht Sarrazin. Diese Kritik an der umerzieherischen Neusprech einer auf Umerziehung ausgerichteten politischen und medialen Klasse ist hilfreich.

Der SPD-Mann wehrt sich dagegen, dass Unterschiede nivelliert werden. Dass „Ungleichheit schlecht ist. Und Gleichheit immer gut“, so eine weitere der 14 Thesen. Ja, auch in diesem Punkt hat Sarrazin Recht: Dass in einigen Sportklassen keine Siegerurkunden mehr vergeben werden, sondern nur noch Teilnahmeurkunden für alle, ist absurd. Schüler sollten früh an den Leistungswettbewerb heran geführt werden, und auch erleben, dass Niederlagen zum Leben dazu gehören und nicht gleichzusetzen sind mit einem Scheitern. Und auch die Zweifel sind berechtigt, wonach die Gemeinschaftsschule per se alle besser macht. „Nach dieser Logik könnte ja der FC Bayern München seine Profimannschaft mit der Kreisklasse trainieren. Und die GSG9 könnte auch Übergewichtige und Unsportliche beschäftigen, dem Training ihrer Spitzenkräfte würde es nicht schaden“, so Sarrazin.

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