Buchvorstellung Ach, Europa!

Wolfgang Schäuble stellt mit dem Buch „Zwischenrufe zu Europa“ den Klagegesang über „Europas Schicksalsjahr“ vor. Auf die Probleme der alten Welt weiß auch der Bundesminister keine Antwort.

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Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister: „Ja, im Vergleich zu politischen Denkmälern sind wir alle klein.“ Quelle: dpa

Berlin Vielleicht sind es ehrwürdige Institutionen wie der Karlspreis, die am besten demonstrieren, wie schwer es aktuell den etablierten Pro-Europäern gelingt, Begeisterung für die EU zu entfachen. Ortstermin Pariser Platz, Berlin, an diesem Montag: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), selbst Karlspreisträger, stellt eine zum Buch gebundene Festredensammlung zur diesjährigen Preisverleihung am 6. Mai vor.

Autoren der „Zwischenrufe zu Europa“ sind großenteils ebenfalls Karlspreisträger: Altkanzler Helmut Kohl, Kanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz haben alle in den vergangenen Jahren diesen Aachener Preis für verdiente Pro-Europäer umgehängt bekommen. Im Buch stimmen sie den Klagegesang an über „Europas Schicksalsjahr“ 2016, denn es könnte den Brexit geben, die Rechtspopulisten könnten weiter Zulauf bekommen, und die 28 EU-Staaten könnten noch weiter auseinanderdriften.

Weil die Leser auf die Idee kommen könnten, dass es maßgeblich in der Hand von Karlspreisträgern liegt, wie das Schicksal Europas denn gestaltet wird, äußert sich der erfahrene Politiker Schäuble ganz vorsichtig: Das Misstrauen der Bürger, analysiert er, resultiere aus der Angst vor den immer schneller heranrollenden Veränderungen. Diese bedürften geradezu einer gemeinsamen europäischen Bewältigung. Womöglich brauche es „neue Elemente der Dynamik“, bei Reformen, denn der „Lissabon-Vertrag“ sei nur „suboptimal“.

Wohin die Reformreise gehen kann, deutet er dann aber nur an: Es müsse „eine stärkere europäische Identität in der Sicherheits- und Außenpolitik“ entwickelt werden. Ein Anfang sei mit dem EU-Abkommen mit der Türkei zur Flüchtlingskrise gemacht.

Es bleibt dem NRW-CDU-Landesvorsitzenden Armin Laschet überlassen, forsch eine echte EU-Verfassung einzufordern. Vielleicht hätte ja einer wie Kohl genau das in dieser Kriseneuropa-Lage offensiv vertreten. „Ja, im Vergleich zu politischen Denkmälern sind wir alle klein“, sagte Schäuble nur, angesprochen auf die Kritik am Kleinmut der Nachgeborenen, die sich in Kohls Aufsatz findet. Ausgerechnet Kohl, mit dem Schäuble seit der CDU-Spendenaffäre des Jahrs 2000 nicht mehr spricht.

„Ach, Europa“, seufzte schon im Jahr 1987 Hans Magnus Enzensberger auf einer Reportagereise für die „Zeit“. Er traf freundliche Leute, die schon damals die EU als selbstverständlich, aber in ihrem Alltag nicht als wirklich wichtig empfanden und interpretierte das als Stärke des Werte-Kontinents.

Bei der Karlspreis-Veranstaltung in Berlin stehen die antieuropäische Wutbürger wie der sprichwörtliche Elefant im Raum, den weder Laschet noch Schäuble bei seinem Namen AfD nennen wollen. Da ist in Sachen Dynamik für Europa wirklich „Luft nach oben“, wie Schäuble den neuen Karlspreisträger zitierte. Es ist der Papst.

Franziskus las den Europäern 2014 im Europa-Parlament die Leviten. Ihr seid ein „kostbarer Bezugspunkt für die Menschheit“, lobte er. Und er verlangte: Macht was draus, seid Vorbild, auch in Barmherzigkeit für die Flüchtlinge! Vielleicht gelingt es ihm, dem Argentinier, die EU-Institutionen wiederzubeleben.

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