Bücherdschungel zum Reformationsjubiläum Über Luther lesen - aber was?

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Blick ins Allgemeine und Detaillierte

Das sehr flüssig geschriebene Standardwerk zum Thema „Luther" hat der Historiker Heinz Schilling bereits 2012 geschrieben: „Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ ist seither sehr zu Recht in mehreren Auflagen und Sonderausgaben erschienen. Der besondere Vorzug des Buches: Schilling geht chronologisch vor, um die biographische Entwicklung Luthers und die Stationen seines Wirkens plastisch nachzeichnen zu können, aber er unterbricht die Chronologie immer wieder zugleich in analytischer Absicht: mit Abschnitten, die wie thematische Querschnitte gestaltet sind - und in denen Schilling etwa Luthers Verständnis von „Wirtschaft, Gesellschaft, Lebenswelten“ oder sein Verhältnis zu „Bilder, Dichtung und Musik“ ordnet.

Ganz anders, gleichfalls sehr lohnenswert ist das Buch der australischen Historikerin Lyndal Roper. Der Titel der deutschen Ausgabe - „Der Mensch Martin Luther“ - ist so einfach wie treffend gewählt, denn Roper stellt uns Luther tatsächlich vor allem als Menschen vor Augen, das heißt: Sie schreibt eine Biographie im engeren Sinne und prüft etwa, wie prägend das Aufwachsen Martin Luthers im Mansfelder Revier und die (schlechten) Erfahrungen des Vaters als Berghauer und Hüttenbetreiber für Luthers spätere Kritik an Zinsnahme und Frühkapitalismus gewesen sein müssen. Die Vergegenwärtigung von Luthers Leben und die Verlebendigung einer Zeit, die sich in ihrer gedachten (Gottes-)Ordnung und im lebensweltlichen Alltag weitgehend unserer Vorstellungskraft entzieht - darin liegt der große Vorzug von Ropers Biografie.

Ein herausragendes intellektuelles Vergnügen ist die Luther-Lektüre von Norbert Bolz: Der Berliner Medienphilosoph nimmt den Reformator in Schutz gegen die im Jubiläumsjahr so zahlreichen Vereinnahmungen seiner Verharmloser - gegen den feierseligen Willen der Protestanten, einem humanitären, solidarischen, versöhnlichen Luther ein Denkmal zu setzen. Bolz stellt uns Luther als einen Radikalchristen vor Augen, als einen Mann der Zumutung für jeden Gläubigen, dessen skandalöse Vorstellung von „Freiheit“ darin besteht, sich Gottes Gnade ausgeliefert zu wissen. Fraglos ein Lektüre-Muss im Lutherjahr.

Um den Blick über Luther hinaus noch einmal ins Allgemeine und Detaillierte zu weiten, seien abschließend drei weitere Bücher kurz empfohlen.

Erstens: Die knappe Monographie „Protestantismus“ des Münchner Theologen Friedrich Wilhelm Graf: Hier sitzt wie immer jedes Wort, jedes Argument - ein Genuss.

Zweitens: „Kampfplätze der Philosophie“ des brillanten Philosophie-Historikers Kurt Flasch, dessen Werke, etwa über Augustin und Meister Eckhart, Legende sind und der sich mit „Warum ich kein Christ bin“ auch eine breitere Leserschaft erschrieben hat: Flasch schildert in seinen „Kampfplätzen“ auch die Kontroverse zwischen Luther und Erasmus über den freien Willen - vielleicht die historisch wichtigste Debatte über „individuelle Freiheit“ vor dem 18. Jahrhundert.

Und drittens: Hermann Barge und seine knapp 60-seitige Schrift „Luther und der Frühkapitalismus“ aus dem Jahre 1937/38 - nur antiquarisch in einer Ausgabe aus dem Jahre 1951 erhältlich. Darin stellt uns der Autor Martin Luther als einen Mann vor Augen, dem „Mammonismus und Evangelium als unversöhnliche Gegensätze“ erschienen - und der zeit seines Lebens an einer Differenzierung von (zu billigender) Zinsnahme und (zu verurteilendem) Wucher arbeitete.

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