Bundeagentur für Arbeit Neue Regierung bei Hartz-IV-Finanzen gefordert

Die Arbeitslosenzahl mag auf ein Rekordtief gesunken sein - Langzeitarbeitslose haben davon bisher kaum profitiert. Das will Bundesagentur-Chef Scheele ändern. Ohne die Unterstützung der Regierung komme er nicht aus.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Unterstützung erhofft er sich unter anderem bei der von ihm favorisierten Berufsberatung für Menschen in Arbeit. Quelle: dpa

Nürnberg Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, sieht die künftige Bundesregierung unter anderem bei der Finanzierung des Hartz-IV-Bereichs stärker gefordert. Ganz gleich wie die künftige Regierung aussehe - wenn man Langzeitarbeitslose stärker fördern und wieder in Arbeit bringen wolle, seien mehr Mittel für die Jobcenter notwendig, sagte Scheele der Deutschen Presse-Agentur. Die Bundesregierung hatte das Jobcenter-Budget seit 2013 nicht mehr erhöht. Die nächste Bundestagswahl findet am 24. September statt.

„Wir haben uns darauf vorbereitet, tätig zu werden. Die Programme (zur Förderung von Langzeitarbeitslosen) stehen, wir wählen gerade die Regionen aus, in denen wir sie zunächst einsetzen wollen. Aber wenn wir nicht nur kleckern wollen, sondern den Problemen signifikant entgegentreten wollen“, müssten die Jobcenter-Etats nach Jahren der Deckelung aufgestockt werden, betonte der BA-Chef. Der 60-Jährige hatte das Amt im Frühjahr von Frank-Jürgen Weise übernommen, der in Ruhestand gegangen war.

Hinzu komme, dass in den vergangenen Jahren mit einem immer größeren Teil des Hartz-IV-Etats die steigenden Verwaltungskosten aufgefangen worden seien, stellte Scheele fest. In diesem Jahr seien es allein 400 Millionen Euro gewesen, die in den Verwaltungsetat des Hartz-IV-Bereichs umgeschichtet wurden. „Das ist nicht gut. Wenn man das weiter macht, könnte man da nicht wirksam tätig werden“, gab Scheele zu bedenken.

Unterstützung erhofft sich Scheele ferner bei der von ihm favorisierten Berufsberatung für Menschen in Arbeit. „Ich fände es gut, wenn es gelänge, einen Konsens darüber zu finden, dass wir auch berufstätige Menschen beraten, sofern sie in eher digitalisierungsanfälligen Branchen arbeiten, un- und angelernt sind und in Betrieben sind, die keine eigenen Personal- und Weiterbildungsabteilungen haben.“ Viele Beschäftigte stünden im Zuge der Digitalisierung vor neuen Herausforderungen. Von ihnen sollten möglichst wenige arbeitslos werden, weil sie die Wirtschaft brauche.

Auch bei dem Unterhaltsgeld für arbeitslose Umschüler setzt der Bundesagentur-Chef auf die künftige Bundesregierung. „Wir haben ja zur Zeit Prämiensystem bei der Umschulung“. Die Abbruchquote bei diesen Maßnahmen sei aber hoch. Mit einem Unterhaltsgeld, von dem sie während der Umschulung leben könnten, sei die Versuchung geringer, „nicht sofort aus der Fortbildung oder Umschulung auszusteigen, wenn sie einen Job angeboten bekommen, der kurzfristig ein höheres Einkommen als der Regelsatz ermöglicht.“

Eine wichtige Stellschraube, um aus heutigen Arbeitslosen Fachkräfte von Morgen zu machen, sieht Scheele bei der Dauer der Umschulungen - und hofft auch hier auf Einsicht der künftigen Regierung. Bisher dürfe die Bundesagentur nur maximal zweijährige Umschulungen genehmigen. Denn der Gesetzgeber gehe davon aus, dass die Umschulung die zweite Ausbildung sei. Das sei aber inzwischen immer seltener der Fall. „Es wäre deshalb gut, wenn wir auch dreijährige Umschulungen bezahlen könnten, sofern sie keine faktische Erstausbildung ist“, betonte der BA-Manager.


Wie Volkswirte die Entwicklung des Arbeitsmarktes einschätzen

Volkswirte glauben, dass der Arbeitsmarkt im zweiten Halbjahr an Tempo verliert. Nach einem furiosen Start ins neue Jahr sei in den nächsten Monaten und auch im Jahr 2018 nicht mehr mit einem so starken Rückgang der Arbeitslosigkeit zu rechnen wie zuletzt, sagten Volkswirte deutscher Großbanken in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Und das trotz weiterhin gut laufender Konjunktur. Die meisten rechnen damit, dass die Zahlen auf demselben Niveau bleiben. Das hänge auch mit der erwarteten steigenden Zahl arbeitsloser Flüchtlinge zusammen.

„Wir haben Anzeichen, dass sich in den kommenden Monaten die Fluchtmigration stärker in den offiziellen Arbeitslosenzahlen niederschlagen wird“, sagte der Commerzbank-Ökonom Eckart Tuchtfeld. Bisher sei die Arbeitslosigkeit der Deutschen so stark gesunken, dass der leichte Anstieg der Flüchtlings-Arbeitslosigkeit unter dem Strich nicht zu einem Anstieg der Gesamtarbeitslosigkeit führte. Mit einer wachsenden Zahl erwerbsloser Asylsuchender dürfe sich das ändern.

DZ-Bank-Ökonom Michael Holstein sieht beim Jobaufschwung im ersten Halbjahr zudem gewisse „Überzeichnungs“-Tendenzen: „Ein so schneller Abbau der Arbeitslosigkeit lässt sich nicht auf Dauer durchhalten“, ist Holstein überzeugt. Der Chefvolkswirt der KfW-Bankengruppe, Jörg Zeuner, geht dagegen weiterhin von einer „Aufwärtsentwicklung“ auf dem Arbeitsmarkt aus.

In den ersten sechs Monaten war die Zahl der Arbeitslosen um rund 300.000 gesunken. Dabei wurden selbst die guten Vorjahreswerte um im Schnitt 150.000 Menschen unterschritten.

Wegen des starken ersten Halbjahrs wird 2017 nach Einschätzung der Experten trotz der erwarteten „Seitwärtsbewegung“ im zweiten Halbjahr als Boomjahr in die deutsche Arbeitsmarktgeschichte eingehen. Mit voraussichtlich 2,54 bis 2,6 Millionen Erwerbslosen werde die Zahl im laufenden Jahr um voraussichtlich 100.000 bis 150.000 unter dem Vorjahresergebnis liegen, prognostizieren die Ökonomen der großen deutschen Geldhäuser.

Für den Juli erwarten sie zum Auftakt der Sommerpause einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit um 55.000 bis 60.000 Erwerbslose auf rund 2,53 Millionen. Das wären dennoch rund 130.000 weniger als vor einem Jahr. Mit dem Beginn der Sommerferien in einigen Bundesländern verschieben viele Firmen ihre Einstellungen auf den Frühherbst.

In konjunktureller Hinsicht sehen die befragten Volkswirte die deutsche Wirtschaft dagegen weiter in Hochform. Wie euphorisch viele Unternehmen die Lage einschätzten, habe erst vor kurzem der Ifo-Geschäftsklimaindex gezeigt. Was vor allem Allianz-Volkswirt Rolf Schneider optimistisch stimmt: „Der Aufschwung wird inzwischen auch von der Industrie mitgetragen.“ Diese profitiere zunehmend von der verbesserten weltwirtschaftlichen Lage - vor allem bei den europäischen Nachbarländern, aber auch in Asien.

Nach Beobachtung des Deutschland-Chefvolkswirts bei der Deutschen Bank, Stefan Schneider, sorgt die extrem rund laufende Wirtschaft bereits bei einigen Unternehmenschefs für Sorgenfalten - mit Blick auf die im nächsten Jahr anstehenden Metall-und-Bau-Tarifrunden. Auch im öffentlichen Dienst liefen Tarifverträge aus. Da dürften die Gewerkschaften wohl versuchen, entsprechend hohe Lohnabschlüsse für die Beschäftigen herauszuholen, vermutet Schneider. Angesichts des knappen Angebotes an Arbeitskräften stünden die Chancen dafür gar nicht so schlecht.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%