Bundesagentur für Arbeit BA-Chef Weise soll die Bundeswehr umkrempeln

BA-Chef Frank-Jürgen Weise ist der gefragteste Ratgeber der Regierung. So gefragt, dass es manchen schon zu viel wird. Ein Porträt von WirtschaftsWoche-Reporterin Cornelia Schmergal.

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Frank-Jürgen Weise Quelle: Martin Hangen für WirtschaftsWoche

Sieben Uhr morgens in der Bundesagentur für Arbeit (BA). Im ersten Stock brennt Licht. Der Chef hat bereits einen Stapel Akten weggearbeitet, die Zeitungen überflogen, ein Mitarbeitergespräch vorbereitet und ein halbes Dutzend E-Mails verschickt. Fehlt bloß noch, dass er auch schon joggen war. War er etwa...? Nein, war er nicht. Frank-Jürgen Weise grinst und deutet mit dem Daumen vielsagend nach draußen. Es regnet Bindfäden. Soweit man das von hier unten erkennen kann.

In einem früheren Leben, lange bevor er an die Spitze der größten Bundesbehörde Deutschlands rückte, war Weise Fallschirmspringer bei der Bundeswehr, Oberst der Reserve ist er noch immer. Er fühlt sich wohl in großen Höhen, doch den Blick von ganz oben genießen heute andere. Ausgerechnet der Vorstandsvorsitzende hat sein Büro im ersten Stock der Nürnberger Bundesagentur. So viel Erdung hatte sich Amtsvorgänger Josef Stingl gewünscht, der den dunklen Betonklotz in den Siebzigerjahren bauen ließ. Er litt unter einer schlimmen Höhenangst, so die Sage in der BA. Was man von Weise gewiss nicht behaupten kann.

Weises Ratschläge sind gefragt

Wann immer in Deutschland etwas ganz Großes ansteht, weil wieder einmal eine träge Großinstitution auf Trab gebracht werden muss, ist Frank-Jürgen Weise gefragt. Als die Bundesagentur für Arbeit 2002 in einem Skandal um gefälschte Daten versumpfte, musste er als Aufräumer ran und übernahm später den Chefposten. Nach dem Abgang von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn hätten ihn viele Politiker im vergangenen Jahr gern auf den Transportriesen angesetzt. Und falls mal wieder ein Arbeitsminister angelernt werden muss, von denen der BA-Chef eine beträchtliche Anzahl im Amt überlebt hat, lässt der Neue sich am liebsten von Weise ins Thema einführen.

Inzwischen hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den Reformer angeheuert. Dieses Mal soll er die Bundeswehr auf Effizienz trimmen. Im September legt der Minister seine Pläne zur Zukunft der Wehrpflicht vor, parallel dazu wird Weise als Chef einer Reformkommission erklären, wie sich die Truppe besser organisieren lässt. Schließlich muss das Verteidigungsministerium bis 2014 rund 8,3 Milliarden Euro sparen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich noch kurz vor ihrem Sommerurlaub von Weise über die ersten Ideen informieren lassen. Auch sie schätzt seinen Rat.

In diesen Wochen ist der BA-Chef der gefragteste Managementberater der Bundesregierung. Um Arbeitsmarktpolitik allein geht es dabei schon lange nicht mehr. Eher darum, eine Führungsphilosophie zu beweisen: die Idee, dass sich aus jeder durchbürokratisierten Großorganisation eine effiziente Einheit schnitzen lässt. Wenn man nur ein paar Managementprinzipien auf den öffentlichen Dienst überträgt.

Mit straffem Controlling und Leistungsanreizen hat Weise den Moloch Bundesagentur modernisiert. Dabei hat er das Kunststück geschafft, dass ihm nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch die Gewerkschaften Respekt zollen. Nun glaubt Weise fest daran, dass er eine Art Blaupause für die Reform des öffentlichen Dienstes gefunden hat. Die „Prinzipien effektiver Führung“ seien ja auf beinahe alle staatlichen Bereiche übertragbar – „von der Bundeswehr bis hin zu Finanzämtern“, sagt er selbst. Was es nun zu beweisen gilt.

Rund 4,5 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland für den Staat. Zum ersten Mal seit 1991 ist ihre Zahl im vergangenen Jahr sogar gestiegen, teilte das Statistische Bundesamt kürzlich mit. Doch wie viele Behörden es in Deutschland wirklich gibt, kann kein Statistiker so ganz genau sagen. Vielleicht sollte man sich des Themas ohnehin besser andersherum nähern: Mindestens 50 Ämter auf Bundes- und Landesebene seien sowieso völlig überflüssig, urteilt Justus Haucap, der Vorsitzende der Monopolkommission: „Im öffentlichen Sektor schlummern erhebliche Produktivitätsreserven.“

Agentur für Arbeit: Heute Quelle: dpa

Auch der Bundesrechnungshof prangert alljährlich die öffentliche Verschwendung in der Verwaltung an. Milliarden Euro ließen sich sparen, wären die Behörden nur etwas effizienter. So gesehen, könnten die Kontrolleure mit den Arbeitsagenturen eigentlich zufrieden sein. „Ohne Weises Reformen wäre der zentrale Maßstab der BA doch immer noch die Frage, wie viel Geld sie ausgeben kann, und nicht, wie Arbeitslosen wirkungsvoll geholfen wird und ob dabei auch wirtschaftlich mit Beitragsmitteln umgegangen wird“, sagt Peter Clever, der Vorsitzende des BA-Verwaltungsrates und Vertreter der Arbeitgeberseite.

Von 2006 bis heute ist der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 2,8 Prozent gesunken. Das entlaste die Beitragszahler um 30 Milliarden Euro jährlich, rechnet Clever vor. Aber hat das nicht mit der Konjunktur zu tun? Der Lage auf dem Jobmarkt? Nicht nur, sagt der Verwaltungsrats-Chef. „Ich schätze, dass rund zehn Milliarden Euro auf die Reformen innerhalb der BA zurückgehen.“

An der Spitze der Bundesagentur musste Weise aus den Hartz-Gesetzen Alltag basteln, was für altgediente Sozialhilfeempfänger eine echte Zäsur bedeutete. Genauso einschneidend waren aber auch die Revolutionen, die der BA-Chef der altgedienten Anstalt selbst verpasste: Führungspositionen vergibt Weise nur noch auf Zeit, nach fünf Jahren muss sich jeder Vorgesetzte neu behaupten. Angestellte werden nach Leistung bezahlt, bis zu 20 Prozent des Gehaltes macht die Variable aus. Dafür halten sich Mitarbeiter an strenge Vorgaben.

Mehr als 50 Reformprojekte

Einmal im Monat tagt der Vorstand im Lagezentrum der BA, dem „Machtzentrum der Behörde“, wie Weise sagt. Ein hoher, dunkel vertäfelter Raum, in dem Neonröhren und die Klimaanlage leise surren. Ringsum sind alle Flächen mit Stellwänden zugebaut. Jedes einzelne von Weises Reformprojekten ist hier aufgepinnt, derzeit sind es mehr als 50.

Das wichtigste aller Schaubilder hängt in der Mitte: Weise tippt mit dem Finger auf eine Kurve, die sich nach oben schwingt. „Phase drei: Innovationen im Markt“, steht darüber, das Arbeitsprogramm für die nächsten zwei Jahre. Was man in etwa so übersetzen kann: Weise will überprüfen, ob seine Vermittler wirklich 50 arbeitsmarktpolitische Instrumente brauchen. Er will den Jobcentern, an denen auch die Kommunen beteiligt sind, straffe Ziele verpassen. Er überlegt, mit welcher Strategie die Bundesagentur den Fachkräftemangel beseitigen kann, der die Unternehmen gerade jetzt im Aufschwung besonders bedrückt. Und ganz nebenbei testet er gerade, ob sich japanische Kanban-Bestellkarten auch für das Einkaufsmanagement in Behörden eignen. Nur mal so, laut gedacht.

Das Musterbüro der Bundesagentur für Arbeit findet sich hoch oben in der Zentrale im 15. Stock. Ein Großraumbüro, das einzige im ganzen Haus. Vermutlich würde es längst mehrere geben, wenn der Brandschutzbeauftragte nicht gestreikt hätte: Man dürfe im Gebäude keine Wände einreißen. Die Mitarbeiter im 15. Stock tun jetzt das, was sie in jedem anderen Großraumbüro in Deutschland vermutlich auch täten: Sie üben subtilen Protest. Eine Kollegin hat einen roten Papp-Pfeil auf ihren Monitor geklebt. „Bitte Ruhe“, steht darauf.

Gelegentlich kann es vorkommen, dass der Vorstandsvorsitzende persönlich auftaucht, die Schranktüren aufreißt und in die Regale schaut. Die sehen auf den ersten Blick aus, wie Büroschränke nun einmal aussehen: Papier, Lineale, Stifte. Abgesehen davon vielleicht, dass es hier ungewöhnlich aufgeräumt ist. Was an den Kanban-Karten liegt.

Wann immer ein Häufchen Blöcke nun zur Neige geht, lösen die Mitarbeiter mit diesen Kärtchen automatisch eine Nachbestellung aus. Das Prinzip könnte neuer Standard in der Verwaltung werden. Überhaupt geht es hier viel um Standards: Im Musterbüro legen die Mitarbeiter fest, wie ein aufgeräumter Schreibtisch im BA-Reich aussieht, was in eine Schublade gehört oder wie man ein Regal einsortiert. Ihre Erkenntnisse schicken sie als Newsletter an die Kollegen.

Es gibt viele Standards in der BA. Und die Wirtschaft feiert sie dafür. Im Juni erhielt die Bundesagentur den Internationalen Controller-Preis 2010. Als erste Behörde überhaupt. Nur den Mitarbeitern ging die Vorgabenflut auf die Nerven. Im vergangenen Sommer noch hatte der Vorsitzende des Hauptpersonalrats einen empörten Brief an Weise geschrieben. „Es muss Schluss sein mit dem Zahlenfetischismus“, klagte Eberhard Einsiedler. Und bekam sogar ein wenig recht. Statt 174 müssen die BA-Mitarbeiter heute nur noch 60 Kennzahlen beachten.

Grafik: Die größten Behörden des Bundes und der Länder

Dabei waren die Vorgaben aus der Not geboren. Sie stammen aus der Zeit, als die Bundesagentur noch Anstalt hieß und sich die Bundesbürger über gefälschte Statistiken und schöngerechnete Ermittlungserfolge empörten. Weise wurde damals angeheuert, um mit dem Zahlensumpf Schluss zu machen.

Heute führt er die Bundesagentur mit genauen Zielvereinbarungen. Die wichtigste Kenngröße für jede Agentur vor Ort ist die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit. Wenn ein Regionalchef diesen Wert nicht reduziert, spürt er das auch am Gehalt. Im schlimmsten Fall sendet die Nürnberger Zentrale die „GSG 9“ aus, wie im Vorstand gelegentlich gewitzelt wird: eine mobile Beratertruppe, die lahme Jobvermittler auf Trab bringen soll. Das Konzept scheint zu fruchten. Ein Arbeitslosengeld-I-Empfänger wartet heute im Schnitt nur noch 18 Wochen auf einen neuen Job. 2005 waren es noch 28.

Rein optisch könnte Weise glatt als Beamter durchgehen. Auch die Gewerkschaftsvertreter im Verwaltungsrat schätzen seine Uneitelkeit. Dabei ist Weise ein Gewächs der Wirtschaftswelt. Bevor er zur Bundesagentur kam, steuerte er Personal und Controlling im Vorstand des Automobilzulieferers FAG Kugelfischer. Dann brachte er sein eigenes Softwareunternehmen an die Börse. 2002 verkaufte er Microlog Logistics. Man darf also vermuten, dass Weise sein Amt bei der BA finanziell nicht nötig hat. Er selbst sagt dazu nur so viel: dass er sein Gehalt mit dem Job in Nürnberg halbiert habe. Rund 270.000 Euro verdient er im Jahr.

Als er 2004 gefragt wurde, ob er die BA lenken wolle, hat er sich jede Einmischung der Politik verboten. Schließlich hatte der damalige Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) ausdrücklich nach einem Manager gesucht, der sich nicht als Politiker verstand. „Die Politik gibt vor, was gemacht wird. Aber ich entscheide, wie“, sagt Weise.

Bundesagentur hat mehr Freiheiten als jede andere Behörde

Tatsächlich hat die Bundesagentur heute mehr Freiheiten als jede andere Behörde. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass die Ministerialbürokratie in Berlin darüber nicht immer unbedingt glücklich ist. Das Arbeitsministerium hat nur die Rechtsaufsicht, darf den Jobvermittlern aber keine fachlichen Vorschriften machen. Der Chef der Behörde kann sich „Vorsitzender des Vorstandes“ auf die Visitenkarte drucken lassen – und nicht etwa ein schnödes „Präsident“. Und außerdem genießt der Vorstand Personalhoheit und darf eigene Tarifverträge aushandeln.

Genau deshalb allerdings hat der Bundesrechnungshof die Nürnberger Behörde jüngst scharf kritisiert. Die BA habe ihren Führungskräften überhöhte Gehälter bezahlt und diese außertariflichen Extras nicht mit dem Arbeitsministerium abgestimmt, monierten die Prüfer im Frühjahr in einem Bericht. Ohne Rücksprache habe die Bundesagentur ein Vergütungssystem für Top-Positionen gebastelt, „um als Arbeitgeberin wettbewerbsfähig zu sein“. Und das bedeute: Monatsgehälter, die inklusive Zulagen bei bis zu 10 350 Euro lägen, dazu Bonuszahlungen und Dienstwagen. 240 außertarifliche Verträge gibt es derzeit bei der BA.

SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider brachte deshalb eine Suspendierung von Frank-Jürgen Weise als BA-Chef ins Gespräch. Die Arbeitsmarktexperten aus seiner Fraktion allerdings wollten sich der Forderung nicht anschließen. Schließlich gebe es zu Weise als BA-Chef keine Alternative, sagen sie. Union und FDP indes wittern längst eine Kampagne. Weise sei wohl zu prominent geworden – und zu unbequem. Die Bundesagentur verweist darauf, dass derzeit nur drei Mitarbeiter unterhalb des Vorstandes mehr als 130 000 Euro brutto im Jahr verdienten. Und dass solche Gehälter möglich sein müssten, wolle man Spitzenkräfte aus der Wirtschaft zu einer Behörde locken. Bestbezahlter Mitarbeiter ist IT-Chef Klaus Vitt, den die BA einst von der Telekom abwarb. Rund 200 000 Euro verdient er jährlich, inklusive Bonus.

Ganze 16 Kandidaten für den Job soll die Bundesagentur damals eingeladen haben. Allerdings gibt es über das Auswahlverfahren keine offiziellen Unterlagen, weil einige Bewerber um Vertraulichkeit gebeten hatten. Daher müsse sich die BA-Spitze den Vorwurf gefallen lassen, „einige Personalentscheidungen völlig unzureichend dokumentiert zu haben“, sagt Verwaltungsrats-Chef Clever. Andere schwerwiegende Fehler könne er aber nicht erkennen. Er äußert einen ganz anderen Verdacht: Die Prüfer des Rechnungshofes hätten nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass die Bundesagentur eben keine Behörde wie jede andere mehr sei. In Nürnberg pflegen manche Führungskräfte eine ganz andere Erklärung: „Wir stören einfach im öffentlichen System.“

Im Juni erst musste sich Weise im Bundestags-Ausschuss für Arbeit und Soziales verteidigen. „Warum können Sie Ihre Informations-Technologie denn nicht mit einem B6-Beamten steuern? Die Bundeswehr schafft das doch auch“, fragte ein Abgeordneter. Weise schwieg einen Moment lang, und man darf vermuten, dass er innerlich aufstöhnte. Dann sagte er: „Sehen Sie, die Bundeswehr hat Herkules. Die haben vielleicht ihre Kästchen in Ordnung, aber nicht ihre IT.“

Herkules gehört zu den Beschaffungs-Desastern der Bundeswehr, zu jenen Dingen also, die Weise als Chef der Reformkommission reparieren soll. Die neue Kommunikationstechnologie der Streitkräfte war ursprünglich für sieben Milliarden Euro geplant. Nach bisherigem Stand dürfte sie am Ende aber um die acht Milliarden Euro verschlingen. Sicherheitsexperten fordern längst, das Projekt aufzugeben. „Bei der Bundeswehr muss die Kommission viel Althergebrachtes infrage stellen. Sonst gibt es keine Lösung“, sagt Weise selbst. Vermutlich wird er damit wieder irgendwo im öffentlichen System anecken.

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