Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Eine Behörde arbeitet für die Statistik

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"Bis Ende des Jahres die Zahl der anhängigen Verfahren halbieren"

Auch drängende Aufgaben fallen zugunsten der Zahlenziele hintüber. Etwa die Integrationsmaßnahmen, für die das BAMF zuständig ist. Gemessen an der Zielvereinbarung mit dem Bundesinnenministerium hat das BAMF die Integrationsziele deutlich verfehlt, wie „Die Welt“ berichtete. Zudem sind viele seit 2015 angestellten Entscheider noch immer nicht vollständig qualifiziert.  

Zwar konnte das Bundesamt die Zahl der Entscheider, die keine relevanten Qualifizierungsmaßnahmen besuchten, von 454 im Mai 2017 auf mittlerweile 36 reduzieren, wie ein Sprecher der WirtschaftsWoche mitteilte. Allerdings haben 769 der insgesamt 2139 Entscheider noch nicht sämtliche Grundlagenmodule durchlaufen. „Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass sie nicht ausreichend für die Tätigkeit qualifiziert sind“, betont der Sprecher.

Eine Mail aus der Controlling-Abteilung vom 18. Oktober legt nahe, dass dieser Missstand auch mit dem Fokus auf Zahlenziele zusammenhängt. Ziel sei es, bis „Ende des laufenden Jahres die Zahl der anhängigen Verfahren zu halbieren“, schreibt eine Mitarbeiterin an die Referatsleiter. Notwendig sei es deswegen, „dass die personellen Ressourcen weiterhin auf den Abbau der Asylverfahren (insb. Anhörung, Entscheidung und Herstellung der Entscheidungsreife) konzentriert bleiben“.

„Entscheider, die geschult werden, können keine Zahlen generieren“, sagt ein Entscheider. Der Behördensprecher weist diesen Vorwurf zurück: Der Besuch des Qualifizierungszentrums sei Mitarbeitern „aus persönlichen Gründen oftmals nicht möglich“ weil etwa Eltern oder Mitarbeiter mit einer Behinderung nur eingeschränkt mobil seien.

Zugunsten der Zahlenziele unterwandert die Behörde auch die Einheit von Anhörer und Entscheider, die Präsidentin Jutta Cordt 2017 verstärkt sichern wollte und die Politiker und Menschenrechtsorganisationen vehement fordern. Eigentlich sollten jene Mitarbeiter über ein Asylverfahren entscheiden, die den Asylsuchenden auch selbst angehört haben. Doch in der Realität läuft das häufig anders.

Am 8. November 2017 schreibt ein Mitarbeiter der Controlling-Abteilung an die Referatsleiter eine Mail mit dem Betreff: „Abbau Neuverfahren I+II Quartal 2017“. „Entscheidungsreife Verfahren, die nicht bis zum 24.11.2017 bzw. am 15.12.2017 durch Eigenleistung entschieden werden können, sind der ‚Marktplatz-Ablage’ zuzuführen.“

Über einen digitalen Marktplatz können Entscheider auf abgelegte Verfahrensakten zugreifen und auf Basis von Gesprächsprotokollen über Antragssteller entscheiden. Mit der Umverteilung sollen die Entscheidungskapazitäten voll ausgelastet werden. In Außenstellen wie Münster sind kaum Verfahren anhängig, andere Außenstellen, etwa Berlin, sind völlig überlastet.

Ein Behördensprecher sagt, die Umverteilung unterwandere nicht die Einheit von Anhörer und Entscheider, da „vorwiegend die sogenannten Altverfahren“ umverteilt würden. Allerdings geht aus dem internen Mailverkehr hervor, dass die Mitarbeiter im großen Umfang auch Neuverfahren umverteilen sollten.

„Das ist völlig sinnlos und frisst Arbeitszeit“, sagt ein Entscheider. Mitarbeiter, die ihre Akten zum Stichtag auf den Marktplatz gestellt hätten, müssten sich am nächsten Tag selbst Akten vom Marktplatz holen und auf Basis fremder Anhörungen entscheiden.

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