Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Eine Behörde arbeitet für die Statistik

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"Ich bin völlig überfordert"

Mitte Dezember erzählt ein Mitarbeiter, wie sich die ständigen Umpriorisierungen und der Druck auf die tägliche Arbeit auswirken: „Eigentlich sollte ich Altfälle abarbeiten. Gleichzeitig soll ich aber an vier Tagen die Woche anhören. Ich bin völlig überfordert. Gestern war ich nach drei Anhörungen am Ende.“

Angesprochen auf die Zahlenvorgaben, sagen Entscheider immer wieder: Die Ziele seien „realitätsfremd“. Längst nicht alle anhängigen Verfahren seien so weit, dass sie in den nächsten Wochen gerichtsfest entschieden werden könnten.

Ob eine Akte entscheidungsreif ist oder nicht, liegt oft nicht in den Händen der Entscheider. Ist die Herkunft eines Asylsuchenden aufgrund fehlender Papiere nicht feststellbar, gibt das BAMF sogenannte Sprach- und Textanalysen in Auftrag, kurz: STA-Gutachten. Ein Linguist prüft anhand von Sprachaufzeichnungen des Asylsuchenden dessen Herkunft. „Die Gutachten sind für unsere Entscheidungen eminent wichtig“, sagt ein Entscheider.

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Auch Informationsersuche im Rahmen von Dublin-Verfahren verzögern Entscheidungen. Hat ein Asylsuchender bereits ein Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedsstaat begonnen, müssen BAMF-Mitarbeiter bei Kollegen in dem betreffenden Land anfragen, wie das Verfahren ausgegangen ist. Erst wenn sie darauf eine Antwort bekommen, können sie den Fall gerichtsfest entscheiden.

Allerdings lassen sich die Kollegen, insbesondere aus Italien, oft Zeit. Und die Linguisten sind so überladen, dass es Monate dauern kann, bis Gutachten vorliegen.  

Das möchte die Behördenleitung offenbar nur bedingt hinnehmen. Am 30. Oktober 2017 bittet eine Mitarbeiterin aus dem Controlling die Referatsleiter in einer Mail, die Verfahren daraufhin zu überprüfen, ob noch Sprachgutachten notwendig seien. Falls ja, sollten diese Verfahren erneut geladen werden, „um mittels Sprachbiometrie“ die Herkunftsregion zu bestimmen.

Die Sprachbiometrie ist eine Software. Sie kann gewisse Sprachregionen für arabische Dialekte einordnen. Im Vergleich zur Sprach- und Textanalyse eines Linguisten ist sie deutlich ungenauer. Ziel sei es, die „noch offenen Verfahren damit zur Entscheidungsreife zu bringen“, schreibt die Mitarbeiterin.

Ein Behördensprecher betont, die Sprachbiometrie sei nur ein Hilfsmittel und solle die Text- und Sprachanalyse nicht ersetzen. Die Controlling-Abteilung sieht das offenbar anders. Am 1. Dezember sendet die Mitarbeiterin eine weitere Mail mit dem Betreff: „Weisung zum Umgang mit anhängigen STA-Verfahren“. Sie schreibt: „Ziel ist es, den Bestand an anhängigen Sprach- und Textanalysen durch den Einsatz etwaiger milderer Mittel zur Identitätsfeststellung zu reduzieren“ – die Rede ist von der Sprachbiometrie.

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