Zudem stellt die Behörde laut Mitarbeitern bis zu 50 Prozent der eingehenden Klagen "klaglos". Sie gibt also nach, noch bevor es zum Prozess kommt. Das zeigt einerseits: Das Bundesamt ist von der Qualität seiner Bescheide selbst nicht immer überzeugt. Andererseits sind damit ebenfalls Anwaltsgebühren verbunden, die das Amt zu tragen hat. Das Bamf selbst führt keine Statistik zu den Klaglosstellungen, so eine Sprecherin.
Obsiegt das Bamf vor Gericht, verzichtet es auf „die Geltendmachung eigener Kosten (z.B. Reisekosten, Kosten nach § 104 ZPO)“. Das geht aus einem internen Dokument hervor, das der WirtschaftsWoche vorliegt. Ebenso erklärt das Papier den Verzicht auf eine Anhörung vor Erlass eines Gerichtsbescheids – ausgenommen sind lediglich Fälle, für die „eine besondere Prozessbeobachtung“ verfügt wurde. Nach Angaben einer Bamf-Sprecherin gibt es 50 solcher Fälle.
Das systematische Fernbleiben der Bamf-Mitarbeiter von Asylprozessen behindert nicht nur die Aufklärung und verlängert die Prozesse. Es bürdet den Ländern auch kaum abschätzbare Kosten auf.
Wie das BAMF die Identität von Flüchtlingen klärt
Anhand der Fingerabdrücke, die jeder Asylbewerber spätestens bei der Antragstellung abgeben muss, erkennt die Nürnberger Behörde, wenn jemand verschiedene Namen benutzt. Zu diesen „Mehrfachidentitäten“ können auch Schreibfehler oder zulässige unterschiedliche Schreibweisen eines Namens führen. „Diese Alias-Identitäten werden bei uns alle gelistet, miteinander verknüpft und nicht gelöscht“, erläutert eine BAMF-Sprecherin. „Wir sehen, wenn jemand einen anderen Namen oder ein anderes Herkunftsland angibt.“ So war der Berliner Attentäter Anis Amri in Deutschland mit 14 verschiedenen Identitäten unterwegs, was dem BAMF bekannt war.
Dies ist deutlich schwieriger: Denn nur etwa 40 Prozent der Antragsteller haben nach Schätzungen des BAMF ein Identifikationsdokument bei sich. Dieses wird genau überprüft - bei Zweifeln auch von Experten in der Nürnberger Zentrale.
Wenn die Menschen jedoch keine Papiere bei sich haben, folgt eine aufwendige Prüfung. Um ein neues Dokument ausstellen zu können, wird etwa das Herkunftsland angeschrieben. Außerdem wurde beim Bundesverwaltungsamt eine Datenbank für gefundene Pässe eingerichtet.
Um die Angaben der Asylbewerber zu prüfen, fragen die Mitarbeiter des BAMF sie in ihrer Anhörung etwa nach Sitten und Bräuchen, aber auch nach Orten in ihrem angegeben Herkunftsland. Wenn ein Mann zum Beispiel vorgibt, Student aus Damaskus zu sein, aber nicht weiß, in welchem Stadtteil dort die Universität liegt, ist das verdächtig. Die Angaben des Schutzsuchenden könnten außerdem „durch das Auswärtige Amt, Botschaften und in bestimmten Ländern auch durch eigenes Verbindungspersonal vor Ort überprüft werden“, erklärt das BAMF. Auch Sprachgutachten sind möglich.
Laut BAMF kann es auch „Einzelfälle“ geben, in denen es Menschen darauf anlegen, gar nicht ins Asylverfahren zu kommen und sich bei keiner Behörde melden. Sie bleiben sozusagen unter dem Radar. Das sei jedoch nicht Sache des BAMF, sondern von Polizei und Sicherheitsbehörden, so die Sprecherin.
Hans-Hermann Schild, Vorsitzender Richter des Verwaltungsgerichts Wiesbaden, hat errechnet, dass seine Kammer bei den derzeitigen Eingangszahlen mehr als sieben Jahre brauchen wird, um die 2017 eingegangenen Fälle abzuarbeiten. Bis das geschehen ist, erhalten Asylsuchende Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – und haben nur begrenzt Zugang zum Arbeitsmarkt. „Das verursacht immense Kosten und ist auch menschlich eine Katastrophe“, sagt Schild.
Berliner Senatoren gaben an, dass die Stadt in solchen Fällen pro Asylsuchenden rund 1200 Euro pro Monat aufbringen müsste. Hinzu kommen nicht zu beziffernde Folgekosten: Asylsuchende, die über Jahre ungewiss sind, ob sie nun in Deutschland bleiben dürfen oder nicht, und nur begrenzt Zugang zum Arbeitsmarkt haben, haben auch weniger Gründe, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren.
Grund für den katastrophalen Zustand im Prozessbereich ist die personelle Priorisierung des Bamf: Rudolf Knorr, der Leiter des operativen Bereichs der Behörde, stellt in einer Mail vom 13. Juni, die der WirtschaftsWoche vorliegt, zwar „Bedarfe für personelle Verstärkungen im Bereich der Bearbeitung von Prozessangelegenheiten“ fest – der Abbau der anhängigen Asylverfahren beim Bamf habe aber weiterhin Priorität. Aktuell hat die Behörde noch rund 160.000 Verfahren zu entscheiden, die Hälfte davon stammt noch aus dem Vorjahr.
Abhilfe im Prozessbereich soll zusätzliches Personal schaffen. Seit dem 17. Juli schreibt das Bamf Stellen für Prozesssachbearbeiter mit „juristischer Vorbildung“, befristet auf zwei Jahre aus. 67 sollen eingestellt werden, wie eine Sprecherin der Behörde auf Anfrage mitteilt. Zudem sollen sechs Volljuristen für die Zentrale für zwei Jahre eingestellt werden. Ob diese Maßnahme ausreicht, um im Prozessbereich auf angemessene Weise mitzuwirken, ist fraglich.