Bundesfinanzminister Schäuble muss um sein Amt bangen

Eigentlich möchte Wolfgang Schäuble gerne Finanzminister bleiben. Doch immer mehr Parteifreunde drängen ihn dazu, das Amt des Bundestagspräsidenten zu übernehmen. Greift er zu oder spekuliert er auf einen Ministerposten?

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Wolfgang Schäuble vor Beginn der ersten Sitzung der Unionsfraktion im neuen Bundestag: Parteifreunde machen Druck, dass er das Amt des Bundestagspräsidenten übernimmt. Greift er zu oder spekuliert er auf einen Ministerposten? Quelle: dpa

Berlin Der Flug ist schon gebucht. Am Abend des 11. Oktober wird Wolfgang Schäuble (CDU) nach Washington zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufbrechen. Für Schäuble ist das Treffen der Finanzminister und Notenbanker ein Routinetermin. Aber einer, der ihm besonderen Spaß macht. In Washington werden die großen globalen Fragen diskutiert, für die sich Schäuble ganz besonders interessiert.

Doch der Trip in diesem Herbst könnte womöglich seine letzte Reise zu einer IWF-Tagung sein. Das schwache Abschneiden der Union, das starke Ergebnis der FDP und das Nein der SPD zu einer neuen großen Koalition werden es der Union schwer machen, das Finanzministerium zu verteidigen. Ausgerechnet der äußerst beliebte und bisher mächtigste Minister muss fürchten, sein Amt zu verlieren. Im Bundesfinanzministerium laufen schon Wetten, dass bald ein Neuer an der Spitze des Hauses steht. Und auch im europäischen Ausland wird die Personalie Schäuble besonders beäugt, hat der dienstälteste europäische Finanzminister doch maßgeblich die Euro-Rettungspolitik der vergangenen Jahre geprägt. Und er hätte das auch gerne in den kommenden vier Jahren getan.

Doch nun kommt wieder eine Option ins Spiel, über die in Berlin schon länger spekuliert wird: Schäuble wird Nachfolger von Norbert Lammert (CDU) als Bundestagspräsident. Kurzzeitig wird Schäuble die Rolle ohnehin einnehmen. Als dienstältester Abgeordneter wird der 75-Jährige im Oktober die erste Sitzung des neu gewählten Bundestags eröffnen. Da er in den Augen seiner Parteifreunde mit seiner langen Parlamentserfahrung und seiner Autorität die Voraussetzung mitbringt, hitzige Debatten mit der AfD im Griff zu behalten, wünschen sich viele Schäuble dauerhaft für die nächsten vier Jahre in der Rolle.

„Wenn Kanzlerin Angela Merkel und Schäuble sich einig sind, wäre er der ideale Kandidat für das Amt des Bundestagspräsidenten“, sagte etwa EU-Kommissar Günther Oettinger der „Stuttgarter Zeitung“. Und auch der frisch gewählte Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, empfiehlt Schäuble für die Aufgabe. Aus der Unionsfraktion heißt es, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich wolle dem Finanzminister das Amt als Bundestagspräsident andienen. Soll Schäuble weggelobt werden?

Schäuble selbst, so kolportieren es Vertraute, hatte bisher eigentlich kein großes Interesse an dem Posten. Zwar ist der Bundestagspräsident protokollarisch das zweithöchste Amt im Staate. Aber die Aufgabe erfordert sehr viel Organisationsarbeit, politisch gestalten kann ein Bundestagspräsident nicht. Genau danach dürstet es Schäuble aber. Nur anderen das Wort erteilen, das dürfte ihn kaum ausfüllen. Zumal er sich selbst ohnehin lieber reden hört.

Außerdem wird es in den kommenden Jahren erneut um Schäubles Herzensthema gehen: die Weiterentwicklung Europas. Dabei würde der erfahrene Politiker gerne helfen. Und lange Zeit sah es in diesem Wahlkampf so aus, als ginge dieser Wunsch ziemlich sicher in Erfüllung. Die Union stand in den Umfragen glänzend da. Im Falle einer schwarz-gelben Koalition rechnete kaum jemand damit, dass die FDP der CDU das mächtige Haus streitig machen könnte. Und selbst im Falle einer Jamaika-Koalition wäre es mit einer starken Union für die beiden kleineren Parteien schwierig geworden, das Finanzministerium zu ergattern. Den beliebten Schäuble aus dem Amt zu kegeln, davor scheute sich schon Sigmar Gabriel (SPD) vor vier Jahren.

Doch die Union geht arg gerupft aus der Wahl hervor. Und weil Jamaika momentan die einzige Koalitionsoption für Angela Merkel ist, ist die Union plötzlich in keiner guten Verhandlungsposition. Die FDP hatte bereits vor der Wahl ihr Interesse am Finanzministerium bekundet. Dies sei das einzige Ressort auf Augenhöhe mit dem Kanzleramt, erklärte FDP-Chef Christian Lindner. Und die Liberalen haben bis heute nicht vergessen, dass Schäuble als Finanzminister mit seinem Veto gegen Steuersenkungen in der letzten schwarz-gelben Koalition entscheidend mit dafür gesorgt hat, dass die FDP 2013 aus dem Bundestag flog.

Merkel wiederum hat vor der Wahl niemandem einen Freifahrtschein für ein Ministeramt ausgestellt, auch nicht dem beliebten Schäuble. Im Gegenteil. Auch er müsse sich gedulden, hieß es aus dem Kanzleramt. In den vergangenen vier Jahren hatte Schäuble die Kanzlerin mit seiner Kritik an der Griechenland-Rettung und ihrem Flüchtlingskurs durchaus verärgert. Übergehen kann Merkel den beliebten Schäuble nicht. Aber sie würde sich wohl auch nicht dafür verkämpfen, dass er Finanzminister bleiben kann.

Schäuble steht deshalb nun vor einer sehr schwierigen Entscheidung: Greift er beim Amt des Bundestagspräsidenten jetzt zu, oder spekuliert er auf ein Ministeramt? Die Sache mit dem Bundestagspräsidenten hat nämlich einen Haken: Gewöhnlich wird der Bundestagspräsident bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags gewählt, das wäre spätestens am 24. Oktober. Bis dahin dürfte die Verteilung der Ministerposten aber noch nicht im Ansatz feststehen. Schäuble müsste seinen Hut vorher in den Ring werfen – und von vornherein auf ein mögliches Ministeramt verzichten. Oder er verzichtet auf das Präsidentenamt im Bundestag und spekuliert auf eine Weiterbeschäftigung als Finanzminister – auf die Gefahr hin, leer auszugehen.

So hätte die FDP in einer Jamaika-Koalition als zweitstärkste Regierungspartei ersten Zugriff auf ein Ressort. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die FDP in dieser Gemengelage sich nicht das Finanzministerium holt“, sagt jemand aus der Unionsfraktion.

Sollten die Liberalen das Finanzministerium tatsächlich bekommen, müsste Schäuble weichen. Nur ein Amt würde ihn dann noch reizen, sagen Vertraute: das des Außenministers. Das aber wäre in einer Jamaika-Koalition für die Grünen reserviert. Und auch das Innenministerium wäre besetzt. Das Haus ist fest für die CSU eingeplant. Schäuble zieht es dorthin aber ohnehin nicht ein drittes Mal zurück. Was dann? Verteidigungsminister? Das wäre für den bisher mächtigsten Minister doch ein sehr kleines Trostpflaster.

Schäuble hält sich seit der Wahl mit öffentlichen Auftritten zurück. „Ich musste noch nie so ein Wahlergebnis kommentieren“, gab er lediglich zu Protokoll. Noch ist nicht ausgeschlossen, dass Schäuble Finanzminister bleibt. Bei den Grünen etwa wird spekuliert, dass die FDP mit ihrer Forderung nach dem Finanzministerium nur den Preis für eine Regierungsbeteiligung hochtreiben will.

Und in der FDP selbst kursiert noch ein anderer Plan: Lindner könne sich auch vorstellen, eine Art neues Machtzentrum aufzubauen. Der Koalitionsausschuss mit Partei- und Fraktionsvorsitzenden könnte in einem Jamaika-Bündnis jede Sitzungswoche tagen und alle wichtigen Entscheidungen vorbereiten. Dann würde Lindner dort auf Augenhöhe mit der Kanzlerin agieren und müsste das Finanzministerium nicht für die FDP reklamieren. Die Liberalen würden doch das Wirtschaftsministerium nehmen, das vom Zuschnitt her ohnehin besser zu ihnen passt. In diesem Fall könnte Schäuble Finanzminister bleiben – und sich auf sieben weitere IWF-Treffen in den nächsten vier Jahren freuen.

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