Bundeshaushalt Von der Macht und Ohnmacht des Finanzministers

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Bundesfinanzministerium im Vergleich

Wie hilflos man als Finanzminister sein kann, musste schon Steinbrücks Amtsvorgänger Hans Eichel (SPD) erfahren. Nach ersten Erfolgen bei der Haushaltssanierung noch als „Sparminator“ gefeiert, verblasste sein Ruhm schneller, als sich die Konjunktur ab dem Jahr 2001 abkühlen konnte. Seine Crux: Der damalige Kanzler Gerhard Schröder trat ihm ins Kreuz, drängte auf höhere Ausgaben. Auch Steinbrück machen die Spätfolgen aus der Ära Schröder noch zu schaffen.

Zum Beispiel sagte die rot-grüne Bundesregierung auf dem EU-Gipfel von Lissabon 2000 zu, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Darauf beruft sich Bildungsministerin Schavan heute, um den Ausgabenanstieg in ihrem Ressort zu rechtfertigen. Das Problem ist nur: Zwar unterzeichnete Schröder damals schwungvoll den Vertrag in Lissabon, doch daheim in Berlin fand die Verpflichtung keinen Eingang in die mittelfristige Finanzplanung, die sogenannte „MiFriFi“.

Vor vier Jahrzehnten eingeführt, um eine vorausschauende Haushaltspolitik zu betreiben, hat dieses Zahlenwerk noch weitere Lücken. So gab Schröder als Bundeskanzler dem Drängen von Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul nach, Deutschland auf eine Aufstockung der Entwicklungshilfe von damals rund 0,25 auf 0,51 Prozent bis zum Jahr 2010 zu verpflichten. Darauf beruft sich nun die Ministerin im aktuellen Budget-streit mit Steinbrück. Das Problem auch hier: Die eingegangene Verpflichtung ist nicht in der MiFriFi berücksichtigt worden.

Ein „vorparlamentarisches, kaiserliches Gehabe“ sei dies, empört sich FDP-Haushälter Fricke über die großzügigen Zusagen des früheren Bundeskanzlers Schröder, die nun den Haushaltspolitikern Kopfzerbrechen bereiten. Denn eigentlich dürfe ein Kanzler keine haushaltswirksamen Zusagen im Alleingang machen, weil das Haushaltsrecht dem Bundestag zustehe. Fricke: „Eines der wichtigsten parlamentarischen Rechte ist zu entscheiden, ob und wofür der Staat das Geld der Steuerzahler ausgeben darf.“

Tatsächlich liegt die Haushaltshoheit beim Parlament, und dem kann auch Steinbrück wenig entgegensetzen. Seinen Vorgängern ging es nicht anders. Hans Apel, der von 1974 bis 1978 unter Kanzler Helmut Schmidt das Finanzressort leitete, hält denn auch „ein Superministerium für wünschenswert“. Dazu könnte das Bundesfinanzministerium um wichtige Teile des Bundeswirtschaftsministeriums aufgestockt werden.

Eine Stärkung empfiehlt auch Eichel. Das Finanzministerium müsse bei jedem Ressort auf das Finanzgebaren achten und bei ausgabenrelevanten Projekten vorausschauend handeln. Im Blick hat Eichel besonders die Sozialministerien, durch deren Hände mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts fließen. Hier müsse der Finanzminister „eisern in die Sozialreformen mit hineinwirken“. Vor allem seien zwei eherne Grundsätze zu befolgen, so Eichel: Zum einen müsse, sobald eine Ausgabe beschlossen werde, die Finanzierung nachhaltig geklärt sein. Und zum anderen müsse es, wenn neue Prioritäten entstehen, bei den bestehenden Ausgaben auch neue Nachrangigkeiten geben.

Was wie eine Binsenweisheit in der Wirtschaft gilt, bedeutet in der Politik eine harte Nuss. Zu sehr regiert bei Volksvertretern Partikularinteresse vor Allgemeinwohl. „Die Wahrheit ist doch“, sagt Eichel, „dass außer dem Finanzminister kaum jemand an einer soliden Finanzpolitik ernsthaft interessiert ist.“

Selbst Wissenschaftler stellen die für Deutschland typische Teilung zwischen Finanz- und Wirtschaftsministerium infrage, wobei diesem seit Ludwig Erhard die Rolle des ordnungspolitischen Wächters zu- und später schwerfiel. Gerade um die Ordnungspolitik wieder zu einem scharfen Schwert zu schmieden, meint Jobst Fiedler, der bei der Hertie School of Governance öffentliches Finanzmanagement lehrt und davor Berater bei Roland Berger war, müsse das Finanzministerium aufgewertet werden – etwa um die Grundsatz- und Konjunkturabteilung des Wirtschaftsministeriums. Zu den Aufgaben eines Finanzministers solle nicht nur die Einhaltung der Ausgaben gehören, sondern auch Effizienzkontrolle samt proaktiver Beratung bei Reformen anderer Ressorts. Diese Aufgaben nehme der britische Schatzkanzler wahr, so Fiedler mit einem Fingerzeig auf das Best-Practice-Land Großbritannien im EU-Etatvergleich.

Auf der Insel bildet der Schatzkanzler zusammen mit dem Premierminister die „Core Executive“, die am Ende den Haushalt festzurrt. Auf Deutschland übertragen hieße dies, dass sich Merkel und Steinbrück zusammensetzen und den Etat quasi von oben festlegen. Tatsächlich setzen die Haushaltsberatungen in Deutschland jedoch von unten an, beginnend von der Abteilungsleiterebene über die der Staatssekretäre, bis am Ende die Minister im Kabinett bitte einvernehmlich den Haushalt abnicken. Dieser Etat-Kommunismus räumt dem Finanzminister keine besondere Macht ein.

Zumindest bei den „weichen Faktoren“ könnte Steinbrück jedoch stärker werden, meint Hendrik Enderlein, Professor für Politische Ökonomie. Er könne kraft seiner fachlichen Kompetenz zum Superminister avancieren, lautet seine Empfehlung. Ein Beispiel dafür sei der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin, der seinen Kollegen im Berliner Senat die explodierenden Kosten der hauptstädtischen Wohnungsbaupolitik so eindrucksvoll vorführte, dass diese sich mit Grauen von vielen Immobilien trennten.

Um eine gute Idee für eine solide Haushaltspolitik ist auch der Abgeordnete Fricke nicht verlegen. Der Liberale schlägt vor, dass jeder Fachminister selbst Steuererhöhungen verkünden müsse, wenn seine Ausgaben über den Rahmen eines ausgeglichenen Haushalts hinausgehen. Mehr Entwicklungshilfe müsse dann durch eine Wieczorek-Zeul-Steuer finanziert werden, mehr Infrastruktur durch eine Tiefensee-Maut. Frickes Kalkül: Politiker überlegen sich ihre Ausgabenwünsche zweimal, wenn sie beim Bürger auch mit den Kosten in direkte Verbindung gebracht werden.

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