Bundeskartellamt Sehnsucht nach starker Verbraucherbehörde

Die Große Koalition wollte das Bundeskartellamt zu einer schlagkräftigen Verbraucherschutzbehörde ausbauen, doch dann machte die Union einen Rückzieher. Dabei gibt es viele, die ein solches Vorhaben befürworten würden.

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Die Grünen wollen den Verbraucherschutz in der digitalen Welt stärken und gegen Google, Facebook & Co. das Bundeskartellamt mit zusätzlichen Befugnissen in Stellung bringen. Quelle: dpa

Berlin Die Sache galt eigentlich als ausgemacht. „Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, die Kompetenzen des Bundeskartellamtes zu erweitern“, hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Heider im November vergangenen Jahres vollmundig versprochen. Konkret ging es darum, dass das Bundeskartellamt künftig den Verbraucherschutz im Internet gewährleisten sollte.

Im Zuge der Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) war daher geplant, dem Amt neue Befugnisse zu übertragen. Das Bundeskartellamt sollte, so die Verabredung mit der SPD, „erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen Verbraucherschutzvorschriften“ untersagen können. Etwa dann, wie es der Berichterstatter für die GWB-Novelle, Heider, erklärte, wenn Unternehmen ihre Nutzer mit undurchsichtigen Regelungen in die Irre führen. Im Fall der Fälle sollte das Bundeskartellamt auch ein Bußgeld verhängen können.

Heider zeigte sich seinerzeit überzeugt, dass das Amt mit seiner Expertise im Wettbewerbsrecht und den vorhandenen juristischen und technischen Ressourcen „dafür die richtige Behörde“ sei. „Darüber sind wir uns im Grundsatz mit den Kollegen von der SPD einig.“

Doch am Ende knickte die Union dann doch ein. Wohl auch, weil die Wirtschaft intervenierte. DIHK-Chefjustiziar Stephan Wernicke gab etwa zu bedenken, dass es bereits eine „sehr gut funktionierende privatrechtliche Durchsetzung von Verstößen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ gebe. Daher gelte es vor einer Stärkung des Bundeskartellamts eindeutig zu klären, „wo die Verstöße im rechtlich schwierigen Bereich der digitalen Wirtschaft liegen und welche besonderen Ermittlungsbefugnisse man braucht, um wirksam Abhilfe zu schaffen“. Ähnlich positionierten sich der IT-Verband Bitkom und der Industrieverband BDI.

Daraufhin wurde der Plan, aus dem Bundeskartellamt eine Verbraucherschutzbehörde zu machen, fallen gelassen. „Die Verfolgung von Verstößen gegen Verbraucherrecht ist in Deutschland Sache von Zivilklagen“, hieß es dann plötzlich vom CDU-Mann Heider. Und das solle erst einmal so bleiben. In diesem Sinne wurde das Kartellrecht im Wirtschaftsausschuss angepasst und Anfang März vom Bundestag beschlossen.

Die SPD ärgerte sich, konnte aber nichts mehr bewirken. „Erst hat die Union die Musterfeststellungsklagen blockiert, jetzt den Verbraucherschutz in der GWB-Novelle“, erklärte damals der zuständige Berichterstatter für die Sozialdemokraten, Marcus Held. „Am Ende stehen wir mit null da.“ Die Idee, das Bundeskartellamt zu einer neuen Verbraucherschutzbehörde für das Internet auszubauen, ist damit aber nicht vom Tisch. Sowohl im Bundestag als auch außerhalb werden Stimmen laut, die sich dafür stark machen.


„Mächtigen Konzernen wie Facebook und Google die Stirn bieten“

„Die Idee, das Bundeskartellamt im Sinne des kollektiven Verbraucherschutzes zu stärken, ist sehr sinnvoll“, sagte die Sprecherin für Verbraucherpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, Nicole Maisch, dem Handelsblatt. „Bei Verbraucherrechtsverstößen muss es schneller und effektiver möglich sein, Unternehmen zur Unterlassung zu bringen und bei Zuwiderhandlungen Bußgelder zu verhängen.“ Einzelne Verbraucher stünden Unternehmen viel zu oft hilflos gegenüber, das gelte gerade auch im Internet. „Eine Stärkung der kollektiven Rechtsdurchsetzung ist deshalb dringend notwendig.“

Außerdem plädiert Maisch dafür, Kartellbußen und Unrechtsgewinne zum Teil den Verbrauchern zurückzugeben und der Verbraucherarbeit zukommen zu lassen. Denn, betonte die Grünen-Politikerin, insgesamt sei eine strukturelle Stärkung von Verbraucherorganisationen durch ausreichend Geld und Personal nötig, „um mächtigen Konzernen wie Facebook und Google die Stirn zu bieten“.

Solche Überlegungen dürften dem Bundeskartellamt gefallen. Jedenfalls hat auch der Präsident der Behörde, Andreas Mundt, den Plan noch nicht aufgegeben, künftig mehr Kompetenzen in Sachen Verbraucherschutz zu bekommen. „Wir müssen auch über eine stärkere staatliche Durchsetzung von Verbraucherschutzrechten im Internet reden“, schrieb Mundt jüngst in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. „Wenn wir massenhafte Rechtsverstöße von Internetkonzernen feststellen, können Entscheidungen einer Behörde schneller und effektiver wirken als private Klagen von einzelnen Betroffenen.“ Das Bundeskartellamt sei hierfür für eine geeignete Institution.

Das neue Kartellrecht ist für Mundt denn auch nur ein erster Schritt. Die GWB-Novelle gebe seiner Behörde mit der Möglichkeit, über Sektor-Untersuchungen mögliche Missstände aufzuspüren und zu adressieren, ein erstes wichtiges Instrument in die Hand. Aber um in dynamischen Märkten zielführende Maßnahmen zu erleichtern, sollte aber über weitere Instrumente nachgedacht werden. Mundt denkt dabei etwa an die Möglichkeit zum Erlass einstweiliger Verfügungen, noch bevor ein Verfahren endgültig abgeschlossen ist. „Wir müssen noch besser und schneller werden“, betonte er.

Gleichwohl begrüßte Mundt, dass das reformierte Kartellrecht „an vielen Stellen“ Rechtsklarheit schaffe. Das gelte vor allem für die Unternehmen der digitalen Wirtschaft. So sehe die GWB-Novelle vor, dass ein Markt auch dann vorliegen kann, wenn kein Geld fließt, wie etwa bei sozialen Netzwerken oder Suchmaschinen, sagte Mundt kürzlich der WirtschaftsWoche. „Bei der Fusionskontrolle ist künftig nicht nur der Umsatz relevant, sondern auch der Transaktionswert.“ Das sei deshalb wichtig, weil in der Internetökonomie häufig der Umsatz der Unternehmen noch gering, ihr Marktwert jedoch sehr hoch sei.


Auch Verbraucherschützer sehen Lücken in der Rechtsdurchsetzung

Verbraucherschützer hätte es durchaus gutgeheißen, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens das Bundeskartellamt bei der Durchsetzung von Verbraucherrecht gestärkt worden wäre, um, wie es in einer Stellungnahme des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) für die seinerzeitige Anhörung hieß, „Lücken in der kollektiven Rechtsdurchsetzung zu schließen“.

Zwar habe es sich bewährt, dass das Verbraucherrecht Teil des Privatrechts sei und seit über 50 Jahren auf dem Zivilrechtsweg durch kollektive Klagebefugnisse der Verbraucherverbände durchgesetzt werde. „Gleichzeitig ist es aus Sicht des VZBV aber auch erforderlich, die Durchsetzung des Verbraucherschutzes insgesamt zu stärken“, so Jutta Gurkmann, die beim VZBV den Geschäftsbereich Verbraucherpolitik leitet. Vor allem auch deshalb, wie die Expertin betonte, weil Verbraucher zunehmend mit neuen Geschäftsmodellen konfrontiert würden, „die auf komplexen Sachverhalten beruhen und ebenso komplexe rechtliche Bewertungen erfordern“.

In derartigen Fällen sei es daher sinnvoll, auf bereits vorhandene Ermittlungsbefugnisse einer zuständigen Behörde aufzubauen und diese Befugnisse in geeigneten Fällen auch für die Durchsetzung des privaten Verbraucherrechts zu nutzen. „Da das Bundeskartellamt bereits marktübergreifend über Ermittlungsbefugnisse verfügt, wäre es sinnvoll, diese Behörde auch mit der Durchsetzung des sonstigen Verbraucherrechts zu betrauen“, meinte Gurkmann.

Denn, gab die Verbraucherschützerin zu bedenken, kartellrechtlich relevantes Verhalten wie etwa der Missbrauch von Marktmacht in der Internetwirtschaft überschneide sich häufig mit Verstößen gegen das Lauterkeitsrecht oder das Vertragsrecht, beispielsweise durch Verwendung unzulässiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Das Bundeskartellamt sollte deshalb auch die Befugnis erhalten, solche „unzulässigen Verhaltensweisen“ zu untersagen.

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