Bundesländerranking Brandenburg punktet - trotz Flughafen

Wer unten steht, kann sich besonders stark verbessern: Brandenburg siegt erneut im Dynamik-Vergleich der WirtschaftsWoche.

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Herbst 2012? Irgendwann 2013? Oder doch erst 2014? Chaos auf der Flughafenbaustelle Berlin-Brandenburg: die Planung desaströs, die Verzögerungen immens, die Eröffnung ungewiss. Deutschlands derzeit größtes Verkehrsinfrastrukturprojekt wirkt drei Nummern zu groß für die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg.

Der steinige Weg zum Hauptstadtflughafen

Doch trotz Flughafendebakel führt Brandenburg wie schon in den vergangenen beiden Jahren den Dynamik-Vergleich des Bundesländer-Rankings an. Das heißt konkret: das von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) geführte Bundesland hat seine ökonomischen Kennziffern zwischen 2008 und 2011 so stark verbessert wie kein anderes. Dabei zeichnet hohe Dynamik auch die restlichen Ostländer aus: Sachsen, Berlin, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern folgen auf den Rängen zwei bis fünf. Nur Niedersachsen schiebt sich diesmal vor Sachsen-Anhalt, das auf Platz sieben landet.

Brandenburg ist das dynamischste Land, dafür haben die Bayern in der Gesamtwertung die Nase vorn. Sehen Sie hier, wo die einzelnen Bundesländer punkten - und wo nicht.

„Die erneute Verzögerung ist schlecht fürs Image Brandenburgs“, sagt Michael Bahrke vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das das Ranking wissenschaftlich betreut. Dies habe aber „keinen Einfluss auf die Investitionen – die sind bereits geflossen“. Rund um den neuen Flughafen haben sich zahlreiche Unternehmen angesiedelt, das Großprojekt schafft Beschäftigung. Die Arbeitsplatzversorgung stieg in Brandenburg 2011 im Vergleich zu 2008 mit 4,7 Prozentpunkten bundesweit am meisten, die Arbeitslosenquote sank um 2,2 Punkte.

Speckgürtel-Effekt

So zehrt ganz Brandenburg vom Speckgürtel rund um die Hauptstadt. In Potsdam etwa liegt die Arbeitslosenquote im August 2012 laut Bundesagentur für Arbeit mit 7,7 Prozent wenig über dem Bundesdurchschnitt von 6,8 Prozent. Doch außerhalb der boomenden Hauptstadtregion, in der Peripherie Brandenburgs, herrscht zum Teil tote Hose: die Region Uckermark beklagt den bundesweit höchsten Arbeitslosenanteil von aktuell 15,3 Prozent, praktisch doppelt so viel wie in Potsdam. Andere Regionen wie die Lausitz oder die Pignitz entvölkern – mit drastischen Folgen für die Zurückgebliebenen: Schulen schließen, die notärztliche Versorgung wird lückenhaft, die Kanalisation droht zusammenzubrechen.

Berlin, immerhin in der Dynamik auf Rang drei, bildet das Schlusslicht im Niveau-Ranking. Mitverantwortlich dafür: Kein anderes Bundesland übertrifft die Berliner Arbeitslosenquote (13,3 Prozent im Jahresdurchschnitt 2011), nirgendwo sonst werden so viele Straftaten begangen und gibt es so wenig Ausbildungsplätze. Dennoch zieht die Hauptstadt (nach Hamburg) die meisten Neu-Einwohner an und versammelt mit 15,2 Prozent bundesweit die meisten hoch Qualifizierten. „In Berlin gibt es kaum Industrie, deswegen ist die Produktivität niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch“, erklärt Jutta Günther vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). „Andererseits ist die Hauptstadt einfach hip und zieht wegen der guten Universitäten viele Studenten und Wissenschaftler an. Außer in der Dienstleistungsbranche oder Administration finden aber nur wenige Absolventen einen Job.“

Die besten Bundesländer für Schüler und Azubis
Passanten gehen am Dienstag (28.08.12) in Bremen an der Fassade des Empfangsgebaeudes des Bremer Hauptbahnhofes vorbei. Quelle: dapd
Ein Brunnen vor dem Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität in München Quelle: dpa
Die St. Johann-Basilika in der Altstadt von Saarbrücken Quelle: dpa/dpaweb
Abendhimmel hinter der Baustelle der Elbphilharmonie am Hafen von Hamburg. Quelle: dpa
Die Rücklichter fahrender Autos werden am Mittwochabend (21.03.2012) auf der Karl-Marx-Allee in Berlin dank einer Langzeitbelichtung zu roten und gelben Linien. Quelle: dpa
Birds sit on a statue in the park of Sanssouci Palace Quelle: dapd
Gäste am Kreuzfahrtterminal in Warnemünde Quelle: dpa/dpaweb

Berlin und die neuen Bundesländer führen das Dynamik-Ranking zwar schon seit Jahren an. Doch die Erklärung, die IW-Experte Bahrke dafür findet, klingt ernüchternd: „Eine schlechte Ausgangslage lässt sich leicht verbessern, noch dazu mit Fördermitteln von Bund und EU.“ So haben sich Sachsen und Thüringen auch im Niveau-Ranking kräftig gemausert und konnten in diesem Jahr ein West-Bundesland überholen – wenn auch nur Bremen. Richtig gut schneiden Sachsen und Thüringen bei der Arbeitsplatzversorgung, der niedrigen öffentlichen und privaten Verschuldung, der Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern und Frauen sowie beim Verhältnis Schüler je Lehrer ab. Dass sämtliche neuen Bundesländer ihre Arbeitsmarktlage verbessern konnten, liegt indes auch an der starken Abwanderung.

Im Schnitt haben sie das Beschäftigungsniveau des Westens noch nicht erreicht. Dies schaffen nur die sächsischen Städte Dresden, Leipzig und Zwickau sowie die thüringische Städte-Kette um Jena, Erfurt und Weimar. Woran das liegt? Sachsen und Thüringen haben traditionell die höchste Industriedichte der neuen Bundesländer, und in den Wirtschaftszentren dieser beiden Länder sorgen branchenübergreifend stabile mittelständische Unternehmen für gute Jobs.

Letzte Plätze

Die 20 innovativsten Mittelständler
Sear GmbH Quelle: Screenshot
Telegärtner Karl Gärtner GmbHDas Technologieunternehmen ist ein Unternehmensverbund mit Sitz in Steinenbronn. Das 1945 gegründete Unternehmen beschäftigt mehr als 450 Mitarbeiter und ist spezialisiert auf Vor- und Endprodukte für die Tele- und Datenkommunikation. Quelle: Screenshot
Jöst GnbH & Co.KGDie Jöst GmbH & Co. KG ist ein inhabergeführtes Unternehmen, das auf dem Gebiet der Schwingungstechnik tätig ist. Hauptsitz der Gruppe ist seit 1990 Dülmen-Buldern im westlichen Münsterland. Quelle: Screenshot
MAJA-Maschinenfabrik Hermann Schill GmbH & Co. KGDer Firma Maja hat bei der Herstellung von Eismaschinen für die Fleischindustrie und den Handel, das Thema der Hygiene aufgegriffen und verbessert, heißt es in einer Mitteilung von Munich Strategy. Durch Änderungen bei der Maschinenkonstruktion lassen sich alle wasserführenden Teile dadurch ausbauen und täglich oder bei Bedarf auch öfter reinigen. Sitz des Unternehmens ist Kehl-Goldscheuer an der französischen Grenze. Quelle: Screenshot
IBAK Helmut Hunger1945 wurde das Unternehmen aus der Technologiebranche als Ingenieurbüro gegründet. Heute ist es Hersteller und Vertreiber von Kanalisationssystemen mit rund 250 Mitarbeitern an den Standorten Kiel und den Zweigstellen in Krefeld, Georgsmarienhütte/Osnabrück und Illerrieden/Ulm. In diesem Jahr wurde zum 66. Geburtstag des Unternehmens eine neue Kundenhalle in Kiel-Wellingdorf eingeweiht Quelle: Screenshot
Galileo Lebensmittel GmbH & Co. KGDas Unternehmen wurde 1993 gegründet und stellt Tiefkühlkost her. Spezialisiert ist es auf Pizzen, Wraps und Crostinis - kurz gesagt auf Produkte der italienischen Küche. Sitz der Gesellschaft ist Trierweiler. Quelle: Screenshot
TECE GmbHAuf Platz 14 des Rankings liegt die Gesellschaft TECE, die Haustechnik-Lösungen national und international fertigt und vertreibt. Die Wurzeln des Unternehmens reichen zurück bis ins Jahr 1955 und ist inhabergeführt. Sitz der TECE GmbH ist Emsdetten in Nordrhein-Westfalen. Quelle: Screenshot

Doch trotz aller Fortschritte teilen sich Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Berlin im Niveau-Ranking unverändert die letzten Plätze. Das heißt: Im Vergleich der bislang erreichten aktuellen ökonomischen Schlüsselwerte haben diese Ostländer noch einen enormen Nachholbedarf. Neben der anhaltend hohen Abwanderung plagen die neuen Bundesländer Strukturprobleme. Es gibt weder international tätige Großunternehmen noch bedeutende Headquarter. Die meisten Mittel- und Kleinbetriebe im Osten wirtschaften zwar solide, können aber keine vergleichbare Arbeitsproduktivität, Exportquote oder Forschungstätigkeit erreichen wie ihre Konkurrenten im Westen.

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Konsequenz: Das verfügbare Einkommen und die Konsumkaufkraft der Ostdeutschen hinken hinter dem Westniveau her. Und schnelle Besserung ist nicht in Sicht: „Die kleinteilige Struktur der Wirtschaft ist unter anderem bedingt durch die Privatisierungspraxis nach der Wende und kann sich nur langsam wandeln – eine Angleichung der Produktivität zwischen Ost und West wird noch Generationen dauern“, schätzt IWH-Ökonomin Jutta Günther.

Die Zeit spielt gegen die neuen Bundesländer, viele derzeit lockende Standortvorteile sind bald hinfällig: Förderungen aus dem europäischen Strukturfonds laufen Ende 2013 aus, die Ausgleichszahlungen aus dem Solidarpakt II schmelzen dahin und werden 2020 ganz versiegen. Und für das Hauptproblem der neuen Bundesländer, die gespaltene Entwicklung, gibt es bisher keine Lösung: Während einige Städte boomen, bluten andere aus, verödet die Peripherie. Die erwerbstätige Bevölkerung ist laut IW seit der Wende in den neuen Bundesländern stellenweise um ein Drittel geschrumpft.
Hat IW-Experte Bahrke recht, müssen die Politiker im Osten um jeden Einwohner im arbeitsfähigen Alter kämpfen: „Die Abwanderung gefährdet die Entwicklungserfolge der neuen Bundesländer: Bis auf wenige städtische Zentren stirbt der Rest aus“, lautet seine Prognose. „Dass sich der Osten in den nächsten Jahren auch nur auf ein mittleres Westniveau annähern kann, ist zweifelhaft.“

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