Bundesparteitag in Berlin Die fünf größten Leiden der Grünen

In den Umfragen schwach, für die Wähler schwer zu greifen: Die Grünen wollen nach der Bundestagswahl mitregieren, bleiben aber zentrale Antworten schuldig. Woran die Ökopartei krankt.

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Cem Özdemir Quelle: dpa

Der Spitzenkandidat und Bundeschef der Grünen, Cem Özdemir, wendet sich in einem Filmchen an die Parteileute, die von Freitag bis Sonntag in Berlin zusammenkommen, um das Programm zur Bundestagswahl  zu verabschieden. Inmitten von Parteitagsdeko spricht er sich und den Seinen Mut zu. Das sei ein Programm, „mit dem wir die Republik rocken wollen“. Die Delegierten sollten bitte bedenken, dass der Inhalt nicht für sie bestimmt sei, „sondern für die Leute da draußen“.

Özdemir will sagen: Bitte, liebe Leute, meidet einige Themen, bei denen sich die Versammelten nur verkeilen und mit denen bei potenziellen Wählern nichts zu gewinnen ist.

Die Grünen stehen aktuell in den Umfragen bei etwa sieben Prozent, das ist nur noch gut halb so stark wie im Spätherbst 2016 und schwächer als bei der letzten, für sie enttäuschenden Bundestagswahl. Das liegt auch daran, dass sie wichtige Fragen meiden, die sich grün geneigte Wechselwähler stellen.

Fünf Fragen, um die die Grünen-Spitze vor der Bundestagwahl im September  am liebsten einen großen Bogen machen würde:

Wie wollt ihr den Menschen Sicherheit vermitteln?

Die Silvesternacht von Köln hat das Sicherheitsgefühl vieler Frauen in Deutschland erschüttert. Die steigende Zahl von Einbrüchen verunsichert die Bürger, auch Wähler der Grünen. Früher betonte die Partei die Bürgerrechte, heute verlangt sie auch "effektive Sicherheitspolitik". Im letzten Wahlprogramm ging es um Freiheit, nun mehr um Sicherheit.

Doch klar positionieren mögen sich die Parteileute nicht. Sie lehnen sie die Vorratsdatenspeicherung ab, vermeiden aber inzwischen Debatten darüber.  Die Überwachung per Video wollen sie nicht mehr zurückdrängen, sondern eher ausbauen. Schon früher verlangten die Grünen mehr und besser ausgebildete Polizisten. Gefährder sollen nun überwacht und Straftäter unter Einwanderern und Flüchtlingen schneller ausgewiesen werden. Asylbewerber mit unklarer Identität sollen nachträglich überprüft werden.

Die Forderungen sind ungewohnt für die Sonnenblumenpartei und werden deshalb nur am Rande diskutiert. Aus dem Führungskreis der Grünen erklärte jemand jüngst den unentschiedenen Kurs: „Sicherheit ist ein Thema, mit dem wir die Wahl nicht gewinnen können, sehr wohl aber verlieren, wenn wir uns falsch positionieren. Es beschäftigt viele Leute.“

Würdet ihr auf eine Koalition mit Union und FDP eingehen?

Gerne hauen Vertreter der Grünen und der FDP aufeinander ein. „Soziale Kälte“ und „Ein-Mann-Show“, schallt es von den Ökos. „Gängelung“ und „Planwirtschaft“, schlagen die Liberalen zurück. Tatsächlich trennt die beiden kleinen Parteien kulturell einiges. Doch inhaltlich gibt es Überschneidungen, etwa bei Bürgerrechten, Bildung, Digitalisierung und der Drogenpolitik. Beide buhlen um die städtische Mittelschicht, für sie versuchen beide, besonders viel Profil zu zeigen: Bei Steuern, dem Kurs für die EU und dem Klimaschutz sind sie gegensätzlicher Meinung.

Doch anders als eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen mögen die Ökos die Jamaika-Variante aus Schwarzen, Gelben und Grünen überhaupt nicht. Der linke Flügel will solch ein Bündnis am liebsten ausschließen. Er fürchtet eine Übermacht der Parteien aus dem bürgerlichen Lager und auch, dass im Bund noch die CSU mitredet.  Ein weiterer Lieblingsgegner. Da wird man schnell untergebuttert.

Keine guten Voraussetzungen zum Mitreden

Etwas zur Lockerung beitragen könnte die frische Einigung auf „Jamaika“ in Kiel. Dort wollen sich die Grünen aller Voraussicht nach auf das Bündnis einlassen. Schleswig-Holsteins Spitzenleute Robert Habeck und Monika Heinold könnten die Frage beantworten, wie es mit Schwarzen und Gelben geht.

Seid ihr mehr Kretschmann oder mehr Trittin?

Bloß keine Ausschließeritis – so wollen die Grünen an die Macht. Außer mit der AfD haben die Grünen bisher keine Koalition ausgeschlossen. Mit der Linkspartei ist sie wenig wahrscheinlich. Doch könnten Grün-Wählern Schwarze oder Rote als Partner blühen. Deshalb bleibt spannend, wohin der Wahlkampf sich bewegt: Ist mehr von Baden-Württembergs öko-konservativem  Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann drin oder mehr von Jürgen Trittin, dem vorigen Spitzenkandidaten und heutigen Querschläger vom linken Flügel gegen das Spitzenduo Özdemir und Katrin Göring-Eckardt (KGE)?

Bisher haben sich beide Leitfiguren, Kretschmann und Trittin, bis auf  Ausreißer als mannschaftstauglich gezeigt. Das nützt dem Parteifrieden, aber nicht der Orientierung, wohin die Grünen gehen.

Warum ist das Spitzenduo so wenig sichtbar?

Eng mit der Frage nach Kretschmann oder Trittin  hängt die andere zusammen, warum die vom Parteivolk gewählten Spitzenleute Özdemir und KGE so wenig Begeisterung entfachen. Sie gelten bisher als eher farblos im Wahlkampf. Göring-Eckardt kommt dabei eher schwächer an als Özdemir. Doch der muss sich immer noch mit der Frage rumschlagen, ob nicht Konkurrent Robert Habeck der Bessere wäre. Der Landespolitiker aus Schleswig-Holstein hatte bei der Urwahl nur 75 Stimmen weniger bekommen als Özdemir.

Grünen stellen 10-Punkte-Plan für Wahlkampf vor

Habeck hat einen Vorteil: Er hat im Land schon Wahlen gewonnen. Pläne von putschbereiten Grünen, die Habeck nach seinem Erfolg in Kiel auch im Bundestagswahlkampf noch nach vorne schieben wollten, sind vom Tisch.

So scheinen die Grünen einigermaßen geschlossen hinter ihrem Spitzenduo zu stehen und inständig zu hoffen, dass noch Ereignisse kommen, die den Themen der Grünen und ihrem Team Auftrieb verschaffen.

Was habt ihr im Bund überhaupt zu melden - als sechste Kraft?

Geht es nach den meisten Umfragen, liegen die Grünen zurzeit hinter FDP, Linke und AfD. Das wäre Platz sechs bei der Bundestagwahl und keine gute Voraussetzung zum Mitreden. Deshalb beharren die Spitzenleute Özdemir und KGE darauf, sie seien selbstverständlich im Rennen um Platz 3, hinter Union und FDP. Das dürfte schwer werden. Doch das Motto des Wahlprogramms gibt die Richtung vor: „Zukunft wird aus Mut gemacht“ ließen die Grünen bereits plakatieren.

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