Bundesregierung Die wundersame Job-Vermehrung der Ministerien

Die Bundesregierung stellt massiv Personal ein. Gründe wie Flüchtlinge oder Energiewende finden sich immer. Aber wird Regieren so effizienter?

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Trotz 19.000 Quadratmeter Nutzfläche ist die

Noch nie hat jemand dem Berliner Kanzleramt mangelnde Größe vorgehalten. Rund 19.000 Quadratmeter Nutzfläche weist die wuchtige Regierungszentrale mitten in Berlin auf, sie ist damit die größte der Welt. Und doch ist der mächtige Klotz – Spitzname: „Waschmaschine“ – längst viel zu klein geworden, wie jeden Mittag zu bestaunen ist. Dann pilgern ein paar Dutzend korrekt gekleidete Staatsdiener über die Spreebrücke und vorbei an der Schweizer Botschaft gen Regierungszentrale. Es sind Beamte des Kanzleramts, für die dort kein Büro mehr frei ist – die aber dennoch in der Kantine der Kanzlerin essen möchten.

Diese Lunch-Läufer sind die prominentesten Leidtragenden einer expansiven Personalpolitik, die in der Bundesregierung um sich gegriffen hat. Allein Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stockte die Zahl ihrer Mitarbeiter seit Ende 2013 um 100 Personen auf – bei einer Gesamtbeschäftigtenzahl von rund 650 Personen im Kanzleramt ein sattes Plus von 18 Prozent.

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) mochte offenbar nicht zurückstehen. In seiner Zeit als Bundeswirtschaftsminister erhöhte er die Personalstärke des Ressorts um gut 200 Köpfe auf 1925 Mitarbeiter. Als Gabriel Anfang dieses Jahres ins Auswärtige Amt wechselte, sorgte er dort auch gleich wieder für neue Stellen – weil er die ihm als Vizekanzler zustehenden Mitarbeiter natürlich mitnahm.

Beschäftigte in den Bundesministerien

Aber auch bei weniger bekannten Ministern ist der Stellenzuwachs erstaunlich. Ganz vorne liegt Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), welche die Zahl ihrer Planstellen gleich um 21 Prozent steigerte. Deutlich über dem Schnitt liegen auch das Frauenministerium und das Justizministerium mit jeweils einem Plus von 17 Prozent.

Insgesamt haben das Kanzleramt und die 14 Bundesministerien während der vergangenen dreieinhalb Jahre ihr Personal um rund 1000 Leute oder etwa vier Prozent auf zusammen 22.500 Beschäftigte erhöht, ermittelte die WirtschaftsWoche anhand von Einzelabfragen in den Ministerien.

Merkel, Gabriel und Co. beendeten damit die Sparsamkeit der vorangegangenen Jahre bis 2012, in denen sich die Bundesregierung offiziell einer Kürzungsvorgabe von jährlich 1,5 Prozent der Planstellen unterwarf. Noch im Jahr 2014 erging eine Kabinettsorder, im Zuge der Verlängerung der Beamtenarbeitszeiten auf 41 Wochenstunden einige Stellen abzubauen.

Wo der Staat sparen könnte
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Platz 9: Kupferbergbau in Chile Quelle: dpa Picture-Alliance
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Keine Lust auf Sparen

Doch diese Bescheidenheit scheint den Chefs der Ministerien offenbar nicht mehr zeitgemäß. Aufgrund der guten Wirtschaftslage sprudeln schließlich die Steuereinnahmen. Und selbst Staatssekretär Werner Gatzer, sonst gestrenger Sparbeauftragter von Finanzminister Wolfgang Schäuble, hat nichts mehr gegen Einstellungen, solange die Ministerien jeweils ihr zugewiesenes Budget einhalten. Die Frage, ob viel neues Regierungspersonal auch zu viel mehr Regierungseffizienz führt, stellt sich offenbar gar nicht mehr.

Natürlich findet sich für jede neue Stelle, die vom Kabinett beschlossen und vom Haushaltsausschuss des Bundestages abgesegnet werden muss, eine plausibel anmutende sachliche Begründung. Das Bundeskanzleramt gab etwa an, aufgrund der Flüchtlingskrise neue Referate einrichten zu müssen. Amtschef Peter Altmaier ließ sich für seine vielen Aufgaben zusätzliche Referenten zur Seite stellen. Und dann ist da ja noch der deutsche Vorsitz bei den Gipfeltreffen von G20 in diesem Jahr. Auch das sorgte für neuen Personalbedarf in der Merkel’schen Regierungszentrale.

Zum Wohl des Steuerzahlers

Gabriels Bundeswirtschaftsministerium wiederum benötigte neues Personal „insbesondere für die Umsetzung der Energiewende“. Und das Forschungsministerium von Wanka begründete seine Stellenxpansion damit, dass auch der Forschungsetat rasant angestiegen sei, seit 2013 um ein Viertel. Die zusätzlichen Mitarbeiter sollen auch dafür sorgen, die Verwendung zugesagter Fördermittel besser zu überwachen. Hatte nicht im Jahr 2014 der Bundesrechnungshof dem Ministerium vorgeworfen, zu lasch mit Projektpartnern umzugehen? Den Vorwurf mochte Ministerin Wanka offenbar nicht auf sich sitzen lassen. Also diene die Einstellung von Beamten letztlich dem Wohl des Steuerzahlers.

Wildern in den Ländern

So groß ist der Einstellungshunger, dass die Berliner Ministerien nicht genügend geeignete Bewerber finden. So hat ausgerechnet Wankas Zukunftsministerium ein echtes Wachstumsproblem: Es kann längst nicht alle offenen Planstellen besetzen.

Das Justizministerium hat derweil seine eigene Methode entwickelt, es rekrutiert seit jeher den weit überwiegenden Teil seiner Referenten aus den Ländern; vor allem Richter und Staatsanwälte werden für meist zwei bis drei Jahre nach Berlin geholt und sorgen immerhin für einen unverstellten Blick von außen. Auch Schäuble lässt gerne in den Ländern nach geeignetem Ministeriumspersonal suchen, bevorzugt bei den Finanzverwaltungen.

Der Hauptsitz des Bundesministeriums der Finanzen weist eine Nutzfläche von 56.000 Quadratmetern und mehr als 2100 Räumen aus. Dennoch finden dort nicht alle der 1900 Beschäftigen Platz. Quelle: BMF/Hendel

Wer einstellt, muss aber auch für Büros sorgen – ein echtes Problem in der boomenden Hauptstadt, wo ein Kampf um Wohnraum und Büroflächen tobt. Längst bildet sich ein neuer Ring von Ministeriumsbauten. Nördlich des Kanzleramts hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière seine Räumlichkeiten bezogen. Östlich der Regierungszentrale residiert seit Kurzem Johanna Wanka mit ihrem Bildungs- und Forschungsministerium. Auch anderswo wird kräftig gebaut. Doch das dauert, zumal es an Planern und Ressourcen fehlt. Deswegen sorgt die neue Personalfülle für Frust unter Beamten – weil der Arbeitsplatz innerhalb einer Behörde höchst unterschiedlich aussehen kann, wie nicht nur die Lunch-Läufer der Kanzlerin erfahren müssen.

Solche und solche Büros

Der Hauptsitz des Finanzressorts von Wolfgang Schäuble zum Beispiel liegt in der Wilhelmstraße, einst Machtzentrum von Nazi-Luftwaffenminister Hermann Göring. Der imposante Bau weist eine Nutzfläche von 56.000 Quadratmetern und mehr als 2100 Räumen aus. 6,8 Kilometer lang sind allein die Flure. Und doch finden dort keineswegs alle der 1900 Beschäftigen Platz.

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Wer als Schäuble-Beamter noch Glück hat, darf im einstigen Kaiserlichen Reichspostamt gleich gegenüber sitzen, dort sind die Decken sechs Meter hoch und die Türen goldverziert. Wer Pech hat, wie die Mitarbeiter der Zollabteilung, muss mit schmucklosen Büros in einem angemieteten Verwaltungsbau nahe dem lauten Checkpoint Charlie vorlieb nehmen.

Dem Einstellungseifer der Regierung Einhalt gebieten könnte der Bundestag, seine Abgeordneten verwalten schließlich die Haushaltsmittel. Sie könnten darauf pochen, dass die Minister haushalten.

Doch von dort ist kaum Kritik zu vernehmen, auch nicht vom sonst so wortgewaltigen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Vielleicht ist der Christdemokrat einfach zu sehr damit beschäftigt, es seinen Politkollegen in den Ministerien gleichzutun. Lammert hat nämlich in seiner mehr als zehnjährigen Amtszeit das Personal der Parlamentsverwaltung kräftig ausgebaut, um 500 Personen auf knapp 3000 insgesamt. 100 stießen allein in dieser Legislaturperiode hinzu.

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