Bundesregierung unter Druck Wirtschaft fordert Maßnahmen gegen die Flaute

Vizekanzler Gabriel sieht trotz Wirtschaftsflaute keinen Grund für einen politischen Kurswechsel. Wirtschaftsverbände fürchten jedoch weitere Konjunkturrückschläge und fordern die Bundesregierung zum Handeln auf.

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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD): Taten statt Worte, fordert die Wirtschaft von der Bundesregierung angesichts der Konjunkturschwäche. Quelle: dpa

Berlin Noch vor wenigen Tagen pochte Vizekanzler Sigmar Gabriel darauf, dass die Beschlüsse zum Mindestlohn und zur Rente mit 63 nicht Ursache für das schwächelnde deutsche Wirtschaftswachstum seien. Gebremst werde die Konjunktur vor allem durch die „dramatische Wachstumsschwäche“ im übrigen Europa, sagte der Wirtschaftsminister und SPD-Chef am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“.

Wenige Tage später hagelte es weitere schlechte Konjunkturdaten. Der ZEW-Index brach ein und Gabriel selbst musste die Wachstumsprognose der Bundesregierung deutlich nach unten korrigieren. Miserabel auch die Stimmung bei den Anlegern. Am Mittwochnachmittag setzte der Dax zum freien Fall an – und notierte so tief wie seit Oktober 2013 nicht mehr. Die Börsianer zeigen sich durch schlechte Neuigkeiten aus Fernost und den USA tief verunsichert.

Solche Unsicherheiten schlagen auch auf die deutsche Wirtschaft durch. Hinzu kommt, dass Maßnahmen wie der Mindestlohn oder die Rente mit 63 den Ausweg aus der Konjunkturschwäche hierzulande zusätzlich erschweren. Die von der Großen Koalition beschlossenen Maßnahmen seien zwar nicht Ursache der derzeitigen Wachstumsschwäche, „aber sie erschweren es nachdrücklich, dort wieder herauszukommen“, sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Anton Börner, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Der „ungute Mix aus kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen“ belaste die Unternehmen und verringere zudem die Spielräume der öffentlichen Haushalte.

„Was gemacht wurde, wird noch manchem leidtun“, ist Börner überzeugt. „Und die kostentreibendsten Dinge kommen noch“, fügte der Außenhandelschef hinzu. „Deshalb heißt es jetzt: Finger weg von weiteren Belastungen und Eingriffen in den Arbeitsmarkt, etwa bei der Befristung oder bei den Werkverträgen.“ Wenn schon etwas für die Konjunktur gemacht werden solle, „dann wäre das angesichts der hohen Energiekosten die Energiewende von der richtigen Seite anzugehen - durch zusätzliche energiesparende Maßnahmen, beispielsweise mittels Förderung der ökologischen Gebäudesanierung“.


Wirtschaftsverband will Rentenbeschlüsse kippen

In diese Richtung äußerte sich auch der Präsident des Verbands Die Familienunternehmer, Lutz Goebel. „Das wichtigste für uns Familienunternehmer, ist das Anpacken der in den Himmel steigenden Energiekosten. Hier leidet Deutschland unter einem enormen Wettbewerbsnachteil“, sagte Goebel dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Den Vorsprung, den andere Länder hätten, müsse Deutschland erst einmal aufholen. „Und dabei hat uns die Große Koalition in ihrem ersten Jahr immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen, sei es die Rente mit 63, der Mindestlohn oder die EEG-Reform“, kritisierte Goebel.

Der Verband Die Jungen Unternehmen erhob schwere Vorwürfe gegen die Koalition von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Die Wachstumsschwäche hat die Bundesregierung vor allem selbst verschuldet und ist nicht allein Resultat internationaler Entwicklungen“, sagte der Vorsitzende der wirtschaftspolitischen Kommission des Verbands, David Zülow. „Schwarz-Rot tut seit einem Jahr alles, um die Konjunktur in Deutschland abzuwürgen: Rentenpaket, Mindestlohn und immer neue Arbeitsmarkt-Vorschriften machen es dem Mittelstand faktisch unmöglich, weiter zu wachsen und zu investieren.“ Die Unternehmer hätten von Wirtschaftsminister Gabriel erwartet, dass er die „wirtschaftsfeindliche Politik der Großen Koalition nicht noch befeuert, sondern sich für den Mittelstand einsetzt“.

Um mehr Wachstum zu ermöglichen, fordert Zülow eine Rücknahme des Rentenpakets vor. „Die Abschaffung des Gesetzes macht eine spürbare Senkung der Rentenversicherungsbeiträge möglich“, sagte er. „Diese wird erhebliche Mittel sowohl für den privaten Konsum als auch neue Spielräume für neue Investitionen freisetzen.“

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte hingegen die Politik davor, an bereits beschlossenen Maßnahmen zu rütteln. „Priorität sollte nicht sein, Kurzschlusshandlungen zu tätigen und Gesetze infrage zu stellen“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Die Politik sollte vielmehr die Unsicherheit für die deutsche Wirtschaft, etwa bei Energiekosten, Fachkräften, der Leistungsfähigkeit der Infrastruktur, und bei den regulatorischen Rahmenbedingungen, „reduzieren und deutlich signalisieren, dass sie alles tun wird um durch öffentliche Investitionen und notfalls ein Konjunkturprogramm die Wirtschaft zu unterstützen“.


Rauer Ton in der Koalition wegen trüber Konjunktur

Allerdings mehren sich in der Union inzwischen Stimmen gegen SPD-Projekte wie Frauenquote, Mindestlohn und Rente mit 63. Unter den zentralen Vorhaben, die seit Regierungsantritt vor zehn Monaten auf den Weg gebracht wurden, sind der von der SPD eingebrachte frühere Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren, der gesetzliche Mindestlohn und eine Mietpreisbremse in Ballungszentren. Auf Druck der Union wurde die Mütterrente eingeführt.

Wegen der pessimistischen Wirtschaftsprognosen schlug daher der Vorsitzende des Bundestags-Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer (CSU), im Deutschlandfunk sogar vor, Mindestlohn und Rente mit 63 vorläufig aussetzen. Wenn sich die Konjunktur abschwäche, müsse gegengesteuert werden, sagte er. Als „unsinnig“ bezeichnete Ramsauer die Frauenquote für große Unternehmen.

Bereits am Dienstag hatten kritische Äußerungen aus der Unionsfraktion zur Frauenquote - einem Vorzeigeprojekt von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) - für Empörung in der SPD gesorgt. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner nannte die geplante Frauenquote in der „Bild“-Zeitung „das komplett falsche Signal“ in Zeiten der Konjunktureintrübung. Wegen Widerstands aus den CDU-Ministerien hat sich nach einem Bericht der „Passauer Neuen Presse“ die Vorlage von Schwesigs Gesetzentwurf bereits verzögert.

Die kritischen Töne zur Frauenquote stießen in der Bundesregierung und bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf wenig Gehör. Die Quote sei keine Belastung, und „Wissen und Tatkraft von Frauen“ würden der Wirtschaft gut tun, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Streit in der Koalition droht auch wegen des Kurses in der Haushaltspolitik: Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) forderte angesichts der ungünstigen Wirtschaftsentwicklung, Vereinbarungen mit der SPD auf den Prüfstand zu stellen. Es sei zu überlegen, „ob wir alle Forderungen, die noch im Koalitionsvertrag stehen, wirklich sofort umsetzen müssen“, sagte Fuchs dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Auf keinen Fall dürfe die „schwarze Null“ - der ausgeglichene Haushalt ab 2015 - infrage gestellt werden. „Soziale Wohltaten verteilen und dann neue Schulden machen, das ist typisch SPD“, warf Fuchs dem Koalitionspartner vor.

Die Bundesregierung versuchte, die Wogen zu glätten: Es gebe keine Pläne, „getroffene Entscheidungen zu korrigieren“, sagte Regierungssprecher Seibert.

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