Bundestag Die Bürgerlichen sind zu Außenseitern geworden

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Libertäre Strömung ohne Chance

"Die bitterste Stunde für die Liberalen seit vielen Jahrzehnten"
Der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Christian Lindner sprach nach dem Ausgang der Bundestagswahl am Sonntagabend von der „bittersten Stunde für die Liberalen seit vielen Jahrzehnten“. Man habe in der Öffentlichkeit nicht überzeugt. „Da kann es ja überhaupt keinen Zweifel daran geben.“ Die FDP schafft es nach der ersten Hochrechnung nicht mehr in den Bundestag. Auf die Frage, ob die Partei jetzt auseinanderbricht, sagte Lindner, es gebe ausreichend liberales Wählerpotenzial. Das gelte es jetzt abzurufen. Quelle: dpa
Der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki kritisierte die Wahlkampfstrategie seiner Partei. „Ich finde das eine beachtliche Leistung, dass man mit fünf Ministern der größten Bundestagsfraktion aller Zeiten innerhalb von vier Jahren die FDP von 14,6 auf 5 Prozent oder darunter bringt“, sagte Kubicki am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa. „Eine ordentliche Wahlkampfstrategie mit einem souveränen Auftreten sieht anders aus.“ Quelle: dpa
Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hat sich hocherfreut über das Ergebnis der Union bei der Bundestagswahl gezeigt. „Das ist ein Superergebnis“, sagte die strahlende CDU-Chefin unter dem Jubel ihrer Anhänger. „Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen.“ Neben den CDU-Mitgliedern bedankte sich Merkel besonders bei der CSU und ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer vor die Unterstützung. Quelle: dpa
Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte in der ARD: „Wir haben einen klaren Auftrag der Wähler, die Regierung zu bilden.“ Das Ergebnis zeige, dass die Wähler wollten, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibe. Die Union freue sich riesig. Ein Ergebnis von weit mehr als 40 Prozent habe man für eine Volkspartei schon gar nicht mehr für erreichbar gehalten. Quelle: dapd
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich begeistert vom Wahlerfolg der Union gezeigt. „Das ist fantastisch. So deutlich über 40 Prozent, das haben wir seit über 20 Jahren nicht geschafft“, sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende in der ARD. „Wir hoffen sehr für die FDP, dass die Zahlen im Laufe des Abends noch steigen.“ Zu einer möglichen großen Koalition mit der SPD wollte sich von der Leyen nicht äußern. „Deutschland muss stark bleiben in Europa, das ist das Motto des Abends“, sagte sie. Quelle: dpa
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wollte nach dem Ausgang der Bundestagswahl am Sonntagabend in einer ersten Reaktion keine Koalitionsaussage treffen. Dies werde zuerst in den Gremien besprochen. Man habe sich sicherlich einen höheren Zuwachs gewünscht, sagte sie im ZDF. Nun sei die Gewinnerin der Wahl gefragt, CDU-Vorsitzende Kanzlerin Angela Merkel. Quelle: dpa
CDU-Vize Armin Laschet wertete das Ergebnis als Regierungsauftrag für Kanzlerin Angela Merkel. „Die Deutschen wollen, dass sie vier Jahre weiter regiert“, sagte Laschet, der auch CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen ist. Das Ergebnis sei „in erster Linie Anerkennung für die Arbeit von Angela Merkel“. Laschet lobte den zurückhaltenden Kurs der Parteivorsitzenden in den vergangenen Wochen ohne starke Angriffe auf den politischen Gegner: „Der Wahlkampf war richtig, die Themen waren richtig, und die Zukunftsidee war richtig.“ Quelle: dpa

Wo also bleibt da noch Platz für liberales Denken, für marktwirtschaftliche Überzeugungen? Meinungsforscher Schöppner ist ganz optimistisch. "Die Union macht doch den wirtschaftsliberalen Flügel jetzt frei", fasst er Wahlprogramm und anstehende Koalitionsverhandlungen zusammen. Da könne es schnell wieder eine Gegenbewegung geben, auch weil die FDP "jetzt so kleingemacht worden ist". Dazu müsse sie aber eine klare Position beziehen und diese stilvoll, konsequent und positiv-sympathisch überbringen. In der Vergangenheit habe sie dagegen mit "dem falschen Auftreten der falschen Leute" bürgerliche Wähler verschreckt: zu laut, zu triumphierend, und nach der Hotelsteuer-Entscheidung mit "dem Nepotismus-Image: Die Reichen helfen den Reichen."

Allerdings müsste die bisherige Partei des politischen Liberalismus erst einmal wissen, welche Haltung sie nun einnehmen soll. Was muss sich ändern (jenseits eines personellen Neuanfangs)? Wie viel konsequente Marktwirtschaft soll es sein? Der Streit darüber begann noch in der gemeinsamen Sitzung von Bundesvorstand und aufzulösender Fraktion. Der in der FDP nach wie vor stark umstrittene Euro-Kritiker Frank Schäffler, nun Ex-MdB, der den parteiinternen Mitgliederentscheid angezettelt hatte, mahnte – mal wieder – eine Abkehr vom Euro-Rettungskurs an: "Wir haben der Partei ein Angebot gemacht, dem sie nun sukzessive folgen sollte." Doch wie immer erntete er Widerspruch und den Vorschlag, die Redezeit zu begrenzen.

Wähler im Wandel. Links-Rechts-Selbsteinschätzung

Zu einer entschieden marktwirtschaftlich, gar radikal ordnungspolitischen Position wird sich die FDP auf der Suche nach medialer und allgemeiner Zuneigung kaum durchringen. Zwar organisieren sich die Anhänger der libertären Strömungen inzwischen stärker, nachdem die Gründung einer "Libertären Plattform" in der FDP, bei der sich auch Schäffler engagierte, eher vor sich hindümpelte. Aber es ist mehr eine ordoliberale Graswurzel-Revolution, wenn sich die Mitglieder und Anhänger der Hayek- oder der Mises-Gesellschaft vermehrt zu Ökonomen-Stammtischen treffen.

Klar ist aber auch: Libertäre Strömungen hatten bisher schon in der FDP keine Chance und werden auch künftig ein Randprogramm bleiben. Schon weil ihre Haltungen der breiten Wählerschaft noch weniger näherzubringen wären als das sozialverträglich abgeschliffene Programm eines mitfühlenden Christian-Lindner-Liberalismus.

Eine moderatere, aber gleichwohl konsequent marktwirtschaftliche Position vertreten die sächsischen Liberalen um den Bundesvize Holger Zastrow und Jan Mücke, bislang Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Die blau-gelben Sachsen wettern seit Langem gegen den ungezügelten Ausbau der erneuerbaren Energien und den Subventionswahn. Die zaudernde Haltung des Wirtschaftsministers und Parteivorsitzenden Philipp Rösler ärgerte sie kolossal. Mücke sagt: "Wir müssen uns klar an Wettbewerb und Marktwirtschaft orientieren." Und weist auf die Widersprüche der Vergangenheit hin: "Wie kann man zu Recht gegen die Opel-Rettung sein, aber dann für die Griechenland-Rettung?"

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