Bundestagswahl Zwei Abstürze, ein Bruch und drei Lehren

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Drei konkrete Lehren ergeben sich aus dieser Wahl

Erstens - die SPD muss sich schleunigst neu sortieren und ihren Wählern wieder etwas zu sagen haben, sonst war sie Volkspartei. Im engen Kreis tüfteln jüngere Sozialdemokraten an einen Programm, das sich auf „Kapitalismuskritik und Sicherheit“ eindampfen lässt. Es wäre die Politik der bisherigen Arbeitsministerin Andrea Nahles weitergedreht: ein Kampf gegen Algorithmen als Chefs, gegen die Bedingungen der Plattform-Ökonomie, für Teilzeit-Arbeitnehmerinnen und nebenbei nah an den Ängsten vieler aus der Mittelschicht. Und es wäre das Projekt Sicherheit: beim Wohnen, im Alter und vor Kriminalität. Die SPD als Sozial-Sheriff.

"Schaden vom Standort Deutschland abwenden"
Die Union hat die Bundestagswahl gewonnen und bleibt nach den Hochrechnungen trotz deutlicher Verluste stärkste Kraft im Parlament . In der Parteizentrale der CDU herrschte dennoch große Ernüchterung. Hinter den Kulissen munkeln Parteimitglieder bereits darüber, dass Angela Merkel nun angreifbar geworden sei. "Wir hätten uns natürlich ein besseres Ergebnis gewünscht. Aber wir haben eine sehr schwierige Legislaturperiode hinter uns. Zudem haben wir mit der AfD eine neue Herausforderung im Bundestag. Doch wir werden die AfD-Wähler in den nächsten vier Jahren wieder zurückgewinnen", sagte Merkel in einem ersten Statement. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) führt die Einbußen der CDU bei der Bundestagswahl auf fehlende Antworten auf Zukunftsfragen zurück. „Es waren nicht die Themen, die existenziell für die Menschen an den Wahlständen eine Rolle gespielt haben. Die wollen wissen, wie es weitergeht. Da haben uns die Antworten an der Stelle insoweit gefehlt, dass wir geschwommen haben“, sagte Haseloff. Fragen nach dem Umgang mit Flüchtlingen seien nicht ausreichend beantwortet worden. Haseloff sagte, er erwarte nun keine einfache Regierungsbildung. Er betonte aber auch: „Gegen uns kann keiner regieren.“ Quelle: AP
Herausforderer Martin Schulz erzielt mit der SPD das schlechteste Ergebnis der Partei überhaupt. "Heute ist ein schwerer und ein bitterer Tag. Wir haben unser Wahlziel verfehlt." Die SPD kündigte an, in die Opposition zu gehen: Die stellvertretende Parteivorsitzende Manuela Schwesig sagte. "Das werden wir tun". SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz steht als Parteichef zudem nicht zur Disposition. "Dass wir nicht einfach so weitermachen können, ist auch klar, aber Martin Schulz als Parteivorsitzender steht nicht in Frage", sagt Schwesig. Quelle: REUTERS
Alexander Gauland versprach bereits Sekunden nach der ersten Prognose: "Als drittstärkste Kraft werden wir sie jagen. Wir werden Merkel oder wen auch immer jagen und uns unser Land zurückholen". Quelle: AP
Die Union hat nach Ansicht von Fraktionschef Volker Kauder ihre Wahlziele erreicht. Sie bleibe stärkste Partei und stärkste Fraktion, sagt Kauder in der ARD. Die Union habe einen Regierungsauftrag erhalten. Angela Merkel bleibe Kanzlerin. Quelle: dpa
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki zweifelt den Realitätssinn der AfD an und macht deutlich, dass sich die FDP deutlich zurückgemeldet hat und die AfD im Zaum gehalten werden kann, da eine große Mehrheit der Deutschen sie nicht gewählt habe. Wolfgang Kubicki kritisierte zudem die Entscheidung der SPD, in die Opposition zu gehen. Seine Partei stehe deshalb aber nicht automatisch für eine Koalition zur Verfügung. Es sei keine Selbstverständlichkeit zu glauben, dass die FDP den "Ausputzer mache", sagt Kubicki. Quelle: REUTERS
Die Spitzenkandidatin der Grünen zur Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt, dankte in der Parteizentrale für den geleisteten Wahlkampf und signalisierte Gesprächsbereitschaft für eine mögliche Koalition mit der CDU. Quelle: dpa
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat sich entsetzt über das Abschneiden der AfD bei der Bundestagswahl gezeigt. „70 Jahre nach Kriegsende sitzen wieder Neonazis im Bundestag“, sagte Asselborn der Deutschen Presse-Agentur am Sonntagabend. In vielen europäischen Staaten hätten Rechte in der jüngeren Vergangenheit wieder Fuß gefasst. „Wenn es in Deutschland passiert, ruft es wegen der Geschichte aber besonders Angst hervor.“ Asselborn forderte: „Alle demokratischen Parteien in Deutschland müssen nun zusammenstehen, egal ob sie in der Regierung oder der Opposition sind.“ Quelle: AP

Zweitens – die AfD im Bundestag bedeutet eine Zäsur. Die Rechtspopulisten und mit ihnen mancher Rechtsextreme sind nun erstmals im Bundestag. Die Partei vereint jene, die sich wirtschaftlich abgehängt fühlen und jene mit Wünschen, die sich nicht mehr in der modernisierten Parteienpolitik wiederfinden. Doch egal ob Wirtschaftspolitik, Rente oder Innenpolitik - diese Partei hat kein Angebot, was sie genau erreichen will.

Die übrigen Fraktionen im Bundestag sollten ihre Energie darauf verwenden, die konkrete Arbeit der AfD auseinanderzunehmen und sich nicht vor allem über deren  Provokationen aufregen. In Ostdeutschland könnte eine starke „Alternative“ einmal mehr dafür sorgen, dass ausländische Investoren, Wissenschaftler oder Fachkräfte zögern. Jede Regierung sollte zudem rasch neu bestimmen, wie wir mit Flüchtlingen umgehen und wen wir als Einwanderer wollen. Anspruch und Wirklichkeit der Einwanderung klaffen zu weit auseinander.

Drittens – die beiden großen Parteien sollten rasch die nächste Generation und neue Ideen ranlassen. Bei der CDU hat nach Schließung der Wahllokale die Diskussion über die Zeit Merkel begonnen. Zum Start ihrer wohl letzten Amtszeit und mit diesem Ergebnis wird die Kanzlerin immer häufiger herausgefordert sein, ihrer Nachfolgerin oder ihrem Nachfolger Platz einzuräumen. Auch die CSU wird harsch auftreten. Noch ist bei den Christdemokraten kein natürlicher Kandidat und keine Nach-Merkel-Botschaft ausgemacht.

In Unionskreisen hieß es dazu flapsig: Die Hoffnungsvollen seien entweder zu alt,  zu jung oder zu unbeliebt. Zu alt: Wolfgang Schäuble oder Thomas de Maizière. Zu jung: Jens Spahn, Daniel Günther oder Julia Klöckner. Zu unbeliebt in der Partei oder bei den Anhängern: Ursula von der Leyen oder Armin Laschet. Da wäre wohl noch eine, die nicht ins Raster passt. Annegret Kramp-Karrenbauer ist aber womöglich Angela Merkel zu ähnlich. 

Die Parteien sollten nun schnell neu starten, denn die Botschaft der Wähler ist klar: Nicht weiter so.

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