Knauß kontert

Träumen ist zur politischen Strategie geworden

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Handeln erscheint den Regierenden offenbar zu riskant

Für jeden nicht träumenden Betrachter ist unverkennbar, dass sich im Mittelmeer gerade eine Situation entwickelt, die die so genannte Flüchtlingskrise von 2015 an Dramatik noch übertreffen könnte. Doch wie damals verschließen die Akteure in Deutschland und Europa auch jetzt wieder die Augen vor der Wirklichkeit und setzen auf die Everly-Brothers-Strategie. Merkel, Regierungschefin im Land der moralischen Musterschüler, liefert dazu noch ein paar einlullende Traumbotschaften: Vollbeschäftigung für Deutschland und „Fluchtursachenbekämpfung“ durch „Wohlstand für alle“.  

Hauptsache, man ist nicht zu unangenehmen Schlussfolgerungen und zum Handeln gezwungen. Denn Handeln (nicht zu verwechseln mit dem Ausgeben des Geldes der Steuerzahler!) erscheint den Regierenden offenbar allzu riskant. 

Also bestimmen immer noch moralische Urteile und nicht politisches Handeln die Einwanderungspolitik Deutschlands. Da es sich durch willkommenskulturelle Streberei zum mit Abstand attraktivsten Ziel der Armutszuwanderung gemacht hat, können die meisten anderen EU-Staaten moralisierendes Offenheitspathos und ökonomisches Eigeninteresse einigermaßen vereinbaren – die Migranten wollen ja ohnehin kaum zu ihnen. Aber Deutschland als Hauptzielland kann das nicht.

Politische Träume unterscheidet von der Wirklichkeit vor allem eines: Sie enden unweigerlich mit dem Erwachen und dann führt kein Weg daran vorbei, endlich die Wirklichkeit zu akzeptieren: Zu der gehört die Erkenntnis, dass die Massenzuwanderung aus Afrika nicht durch vordergründige Solidaritätslyrik und hintergründiges Geschacher mit Verteilungsquoten zu handhaben ist. Erstens werden sich die Migranten, die in unattraktive Länder geschickt werden, sich ohnehin nicht daran halten (und deren Verwaltungen werden wenig Interesse zeigen, sie dazu zu zwingen).

Vor allem aber entfaltet gerade ein perfektioniertes Empfangsmanagement eine zusätzliche Sogwirkung und lässt den Zustrom eher noch anwachsen – das zeigte die so genannte Flüchtlingskrise von 2015.

Wie ein an der Wirklichkeit und legitimen Interessen orientiertes Handeln in der Migrationsfrage funktioniert, haben Spanien und Australien vorgemacht: Aus Seenot gerettete Einwanderungswillige nicht mit NGO-Schiffen ins Zielland bringen, sondern in gesicherte Orte außerhalb der EU. Merkel mag sich bewusst machen, dass die dadurch entstehenden „hässlichen Bilder“, die sie mehr als alles andere fürchtet, gar nicht so wehtaten  – und die Wirkung sofort einsetzte.

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