Thor Kunkel Wie ein Skandal-Autor die AfD neu erfinden will

Früher hat Thor Kunkel einen Roman über Nazi-Pornos geschrieben. Jetzt macht er Wahlwerbung für die AfD. Kunkel will den Markenkern der Partei auflockern – und provoziert damit Streit.

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Thor Kunkel im AfD Kampagnenbüro. Quelle: dpa Picture-Alliance

Thor Kunkel schlendert durch die Bundesgeschäftsstelle der AfD, als er plötzlich anfängt zu lachen. Er zeigt auf ein altes AfD-Plakat, das im Flur an der Wand hängt. „Wir für Deutschland“ steht in dicken, weißen Buchstaben auf blauem Hintergrund. In der Mitte des Plakats weht eine Deutschlandflagge. Kunkel fasst es nicht. „That’s a joke“, ruft er. Für den Werber ist das Plakat ein schlechter Scherz: altbacken, langweilig, national.

Das Plakat strahlt aus, was viele Wähler inzwischen mit der AfD verbinden: eine konservativ-völkische Partei, bei der man nicht mehr richtig weiß, wofür sie eigentlich steht. Kunkel ist angetreten, um die Marke AfD neu auszurichten. Als Wahlkampfwerber will er die Partei aus der rechten Schmuddel-Ecke holen, ihr Lockerheit einflößen und sie "anschlussfähig" machen, wie er selber sagt. Dafür setzt Kunkel auf Provokation statt Angst. Auf heitere Fotos statt schwererer Illustrationen. Auf Spott anstelle finsterer Andeutungen.

Die AfD verspricht sich von Kunkel Frische und neuen Schwung. Beides kann die Partei gut gebrauchen. Statt geschlossen in den Wahlkampf zu ziehen, beschäftigt sich die AfD seit Wochen mit sich selbst. Erst tauchen Chat-Protokolle mit völkischen Äußerungen aus Sachsen-Anhalt auf. Dann beschwören die Spitzenkandidaten Alice Weidel und Alexander Gauland in einer Videobotschaft die Einheit der Partei. Dennoch fordert Jörg Meuthen schließlich seine Co-Chefin Frauke Petry öffentlich heraus. Und nun gibt es auch noch Ärger in NRW: Unregelmäßigkeiten bei einer lokalen Delegiertenwahl könnten laut einem Bericht der "Rheinischen Post" zur Ungültigkeit der gesamten Kandidatenliste und dadurch einer Entfernung von den Stimmzetteln bei der Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland führen.

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Zwei Monate vor der Bundestagswahl liegt die Partei in Umfragen zwischen sieben und neun Prozent. Mit positiven Botschaften und kluger Werbung soll Kunkel die ewigen Rangeleien des Parteipersonals übertünchen. Das Ergebnis, das die Partei bei der Bundestagswahl erreichen wird, hängt auch vom Erfolg des Werbers ab.

Kunkel verspricht sich von der Arbeit als AfD-Werber die Chance, in Deutschland noch einmal etwas zu bewegen. Zur Zeit der Jahrtausendwende galt er als eines der größten Nachwuchstalente des deutschen Literaturbetriebs. Die linke „taz“ nannte seinen Debütroman ein „Riesenwerk“. Der britische Guardian jubelte: „One of Germany’s hottest young novelists“. Dann schrieb Kunkel „Endstufe“. In dem Roman drehen SS-Offiziere Pornos, tauschen sie in Schweden gegen kriegswichtiges Eisenerz ein – und finanzieren sich mit dessen Verkauf ein gutes Leben. Der Skandal war perfekt – und Kunkel literarisch erledigt. Ehemalige Wegbegleiter Kunkels sagen, dass ihn die Schmähungen von damals bis heute kränken und sich Kunkel am Establishment rächen wolle. Kunkel sagt, das sei Schwachsinn. „Solche Angriffe auf mich kann ich nicht mehr hören.“

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In der AfD-Parteizentrale muss Kunkel nun erst einmal einen dieser Angriffe abwehren. Diesmal geht es nicht um seine Vergangenheit als umstrittener Autor. Diesmal geht es um sein Schaffen als Creative Director für die AfD. Am Vortag hat die „Bild“ gemeldet, dass der AfD-Vorstand das Kampagnenteam um Kunkel entmachtet habe. Kampagnenchef Michael Büge sei beurlaubt, ein neues Team arbeite an Büge und Kunkel vorbei. „Das ist Quatsch“, sagt Kunkel in seinem Büro.

Büge arbeite weiter aktiv an der Wahlkampagne mit. Und er selbst habe erst vor ein paar Stunden dem AfD-Vorstand seine neuen Entwürfe präsentiert. Auf Anfrage der WirtschaftsWoche dementiert auch AfD-Stratege Alexander Gauland die Meldung der „Bild“. „Kunkel und Büge sind überhaupt nicht entmachtet. Sie arbeiten ganz normal weiter. Wir haben nur ein paar zusätzliche Leute dazu geholt“, sagt er. Nach Informationen des „Focus“ sollen dazu die persönlichen Referenten der Spitzenkandidaten Alexander Gauland (René Springer) und Alice Weidel (Markus Frohnmaier) sowie die ehemaligen Journalisten Günther Lachmann und Michael Klonovsky gehören. Lachmann berät derzeit den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, Klonovsky ist für den Parteivorsitzenden Jörg Meuthen aktiv.

Die Gesichter der AfD

Auf seinem Laptop öffnet Kunkel die Präsentation, mit der er eben beim AfD-Vorstand war. Fotos von Spitzenkandidatin Alice Weidel erscheinen am Bildschirm. „Wir haben tolles neues Material“, sagt Kunkel zufrieden. „Alice wirkt ja manchmal recht kühl und elitär – uns ist dagegen wichtig, dass sie sympathisch und nett rüberkommt.“ Auf einem der Fotos posiert Weidel mit Alexander Gauland. Auf einem anderen lächelt sie selbstbewusst neben einem Laternenpfahl mit „FCK AFD“-Sticker in die Kamera.

Als nächstes ruft Kunkel eine Folie auf, die den Titel „Penetration der Alleinstellungsmerkmale der AfD“ trägt. Sie zeigt eine Elipse, in deren Mitte die Schlagwörter „Kulturelle Identität und Realitätsprinzip“ stehen. Um den Kern herum verteilen sich die Begriffe „selbstbehauptend“, „basisdemokratisch“ und „inklusiv-patriotisch“ auf jeweils ein Drittel der Elipsenfläche.

Teile der Partei lehnen Kunkels Kurs ab

Das Schaubild ist eine Eigenkreation Kunkels. Er hat es entworfen, um zu illustrieren, was er für den Markenkern der AfD hält. „Die AfD ist für mich eine Partei des Realismus“, sagt Kunkel. „Aber sie steht auch dafür, dass man stolz auf Deutschland sein kann.“ Die Kernkompetenz der Partei sehe er im wirtschaftsliberalen Bereich, sagt Kunkel. Doch damit könne die Partei bei der derzeitigen Themenlage nicht punkten.

Kunkel kann stundenlang über Werbestrategien reden, über „Drachen“, die er demnächst digital steigen lassen will, über „Public Campaigns“ und „Personal Marketing“ wie es in seinen Präsentationen steht. Wer ihm zuhört, bekommt manchmal das Gefühl, einem linken Kosmopoliten zu lauschen. Kunkel hat jahrelang für internationale Werbeagenturen in London und Amsterdam gearbeitet. Er wuchs auf im damals armen Frankfurter Stadtteil Gallus, entwarf als Student Plakate für die Grünen. Heute lebt er wie ein Öko-Aussteiger auf einer Schweizer Alm.

Aber er kann auch anders. Nach den Kölner Silvesternacht schrieb Kunkel in der neurechten „Sezession“: „Der verhausschweinte Deutsche, dieser Jammerlappen und Moral-Krüppel, schlägt in den seltensten Fällen zurück.“ Einen Absatz später prophezeit er, dass es „ganz sicher“ Tote gegeben hätte, falls sich „tausend Deutsche auf einem öffentlichen Platz in einer arabischen und türkischen Stadt zusammenrotten um Frauen sexuell zu belästigen.“ Er habe diese Sätze damals im Affekt geschrieben, sagt Kunkel heute.

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Mit seinem provokanten Kampagnenansatz stößt Kunkel bei der AfD-Basis auf Widerstand. Die Plakatentwürfe seiner Kampagne „Trau dich Deutschland“ lehnen einige Landesverbände und etliche Kreisverbände ab. Wenig bekleidete Frauen mit dem Titel „Burkas? Wir steh’n auf Bikinis“ oder ein halbnackter Babybauch einer Frau mit dem Slogan „Neue Deutsche? Machen wir selber" – das war vielen AfD-Mitgliedern dann doch zu viel. Der Bundeskonvent, eines der wichtigsten Entscheidungsgremien der AfD, konnte sich nicht auf eine gemeinsame Kampagne verständigen. „Das hat mich am Anfang richtig genervt“, sagt Kunkel dazu.

Im Bundestagswahlkampf greifen einige Landesverbände deswegen auf Motive des bayerischen Landesverbandes zurück. Sie sind weniger heiter – und erinnern an frühere AfD-Plakate. In den verbleibenden Wochen bis zur Bundestagswahl will sich Kunkel auf digitalen Wahlkampf konzentrieren. Plakate seien in der heutigen Zeit nicht mehr so wichtig, sagt er.

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Das AfD-Spitzenpersonal hat sich unterdessen auf eine Art Burgfrieden verständigt. „Bei den Plakaten aus Bayern weiß man: Das ist AfD. Bei Kunkel muss man ein wenig öfter hinschauen“, sagt Spitzenkandidat Alexander Gauland. Er präferiere die Kunkel-Motive, wolle sie aber niemandem aufzwingen. „Das bringt in der anarchischen AfD auch gar nichts“, sagt Gauland. „Es hat keinen Zweck, Kriege zu führen, die man nicht gewinnen kann.“

Petr Bystron, Chef der bayerischen AfD, gibt sich ähnlich gelassen. „Die verschiedenen Plakate sind kein Ausdruck von Streit“, sagt er. Die bayerischen Plakate seien bereits vor den Vorschlägen aus Berlin fertig gewesen. „Auch, weil wir es hier als einzige bundesweit mit der CSU zu tun haben.“ Die Mitglieder könnten nun beide Varianten bestellen. „Das ist also eher Ausdruck gelebter Freiheit als Ausdruck von Streit.“



Wie brüchig dieser Friede sein kann, zeigte sich bei der vergangenen Sitzung des AfD-Vorstandes. Kunkel stellte das neue Plakat mit Frauke Petry und ihrem Säugling vor. Für Kunkel ein Erfolg. Schon vor Wochen hatte er Petry die Idee vorgeschlagen, doch Petry hatte zunächst abgelehnt. Wie Teilnehmer berichten, brach nach der Vorstellung eine Diskussion los.

Auch jetzt gehen die Meinungen auseinander. „Ich finde das Petry-Plakat richtig gut. Das ist feinstes Wahlkampf-Marketing“, sagt Petr Bystron aus Bayern. Alexander Gauland sieht das anders. Das Plakat habe den Nachteil, dass man Kinder besser nicht in den Wahlkampf einführe. „Und das sehe ich auch so.“

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