Wahlkampf Warum sich die Bürger immer wieder teure Geschenke andrehen lassen

Seite 3/3

Die Schuldenbremse allein genügt nicht

Weil die Wähler offenbar nicht die Zusammenhänge erkennen (wollen), wird sich die CDU im Wahlkampf etwa keineswegs für die sündhaft teure Pflegereform entschuldigen, die Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe auf den Weg gebracht hat. Zusätzlich zu den 2,3 Millionen Hilfebedürftigen, die bisher Geld für die Pflege bekommen und künftig durchweg mehr Leistungen erhalten, soll dadurch eine halbe Million Menschen ebenfalls Unterstützung bekommen. Es sind Demenzkranke, die körperlich einigermaßen fit sind, aber nicht mehr selbstständig ihren Alltag bewältigen können.

Gewiss ein wichtiges Anliegen, aber eben auch ein sehr teures, fünf Milliarden Euro pro Jahr. Dass dies auch staatliche Kosten sind – welcher Bürger registriert das schon? Offenbar liegt der damit verbundene Beitragsanstieg in der Pflegeversicherung von 2,05 auf 2,55 Prozent (für Kinderlose 2,8 Prozent) des Einkommens in dieser Legislaturperiode unterhalb der persönlichen Empörungsschwelle. CDU-Sozialpolitiker Karl-Josef Laumann kalkuliert daher auch kühl mit potenziellem Ertrag an der Urne: „Ich denke, die Menschen wissen, dass die CDU die Garantin für diese Verbesserungen ist, und werden dies auch bei der Bundestagswahl berücksichtigen.“

Einen Politiker wie Carsten Linnemann treibt so eine Rechnung zur Weißglut. Der gelernte Volkswirt ist Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung – und hat, obwohl erst 39, jede Illusion über seine Kollegen verloren. „Schon Franz Josef Strauß hat gesagt: Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an, als dass ein Politiker spart“, sagt Linnemann. „Wir müssen also den Ausgabenhunger begrenzen.“

Wo Deutschland Steuergelder verschleudert
Umsatzsteuerbetrug bei EU-Neuwagen Quelle: dpa
Mehrwertsteuer-Chaos bei Auftragsforschung Quelle: dpa
Marine vergibt Aufträge gerne mal direkt Quelle: dpa
Abbuchungswirrwarr bei Sozialbeiträgen Quelle: dpa
Fehlende Kontrolle bei Bundes-Beteiligungen Quelle: dpa
Hardware, die keiner braucht Quelle: dpa
Kein Mallorca-Service der Krankenkassen mehr Quelle: dpa

Aber wie? In der Europäischen Union existieren die Maastrichter Kriterien, die mehr schlecht als recht funktionieren. Immerhin hält Deutschland seit einigen Jahren das Ziel ein, das jährliche Staatshaushaltsdefizit unter drei Prozent zu halten. Doch die Schuldenbremse allein genügt nicht. Nötig wäre eine zusätzliche Bremse, die die Steuer- und Abgabenquote auf ein bestimmtes Niveau beschränkt.

Selbst überzeugte Verfechter eines schlanken Staates wie Linnemann schrecken davor zurück – zu eng würde ihr politischer Spielraum. Der Unionspolitiker schielt eher auf die Arbeitslosenversicherung mit ihrer prall gefüllten Kasse. Zum Jahreswechsel betrugen deren Reserven elf Milliarden Euro. 2017 dürften weitere fünf Milliarden hinzukommen.

Niedrigere Beiträge: bislang Fehlanzeige. Stattdessen denkt SPD-Kanzlerkandidat Schulz an ein Arbeitslosengeld Q, das Erwerbslose zu einer Weiterqualifizierung ermuntern soll und natürlich entsprechende Kosten verursachen würde.

Risiken und Nebenwirkungen

Inakzeptabel für Linnemann. Er fordert, der Beitragssatz müsse automatisch sinken, sobald das Reservepolster bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) ein bestimmtes Maß erreiche. Aktuell sieht der CDU-Politiker „genügend Luft, um den Arbeitslosenbeitrag zum 1.1.2018 von 3,0 auf 2,7 Prozent zu senken“. Damit würden die Schecks der Bürger etwas kleiner werden. Dass es übrigens zu einem richtigen steuerlichen Transparenzmodell in Deutschland jemals kommen wird, glaubt selbst Steuerzahlerbund-Präsident Holznagel nicht. Und doch gestattet er sich, ein wenig zu träumen – etwa davon, dass deutsche Geschäfte Netto- und Bruttopreise ausweisen müssten, wie dies in manchen anderen Staaten der Fall ist.

Dann würden die Bundesbürger vielleicht erkennen, wie sie der Staat zweimal zur Kasse bittet. Der Metallbeschäftigte, dem von seinem 6100-Euro-Monatsgehalt bereits 2800 Euro (einschließend Arbeitgeberbeiträge) einbehalten wurden, sähe dann, dass er als Verbraucher weitere 1660 Euro an Mehrwertsteuer, EEG-Umlage oder Kfz-Steuer abführen muss, rechnet Volker Stern vom Bund der Steuerzahler vor.

Denkbar wäre, so Holznagel, auch eine neue Rubrik auf jedem Lohnzettel – in der die fälligen Abgaben dick und breit abgedruckt würden, ähnlich angsteinflößend wie die Schockbilder auf den Zigarettenschachteln.

Es wäre eine Belehrung über die Risiken und Nebenwirkungen der Steuer- und Abgabenrepublik Deutschland.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%