Wahlprogramme Die Zukunft der Arbeit ist der Politik egal

Wie werden wir morgen arbeiten? Gibt es morgen noch genug Arbeit? Wie sollen wir überhaupt umgehen mit dem digitalen Wandel? Große Fragen - doch im Wahlkampf spielen sie kaum eine Rolle.

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Andrea Nahles. Quelle: dpa

Dienstag vergangener Woche. Andrea Nahles empfängt die WirtschaftsWoche zum Gespräch in ihrem Berliner Ministeriumsbüro. Kein Zweifel: Die SPD-Arbeitsministerin ist in Angriffslaune. Richtig leidenschaftlich wird sie, als sie gefragt wird, warum der digitale Wandel im Wahlkampf kaum stattfinde – allenfalls im dürren Schluss-Statement der Bundeskanzlerin im TV-Duell. „Einspruch!“, geht Nahles dazwischen.

Es sei doch gerade die SPD, die mit dem Chancenkonto einen Vorschlag zur Gestaltung der Jobwelt von morgen machen würde. Und zwar den einzigen. „Martin Schulz und ich werben dafür in jeder Rede, auf jedem Marktplatz.“

Das ist Nahles‘ persönlicher Eindruck. Aber so recht haltbar ist er nicht. Arbeitsmarktthemen spielen im Wahlkampf durchaus eine Rolle, nur leider umkreist das Denken der Parteien lieber die Formeln der Vergangenheit. Die Rentenpolitik erschöpft sich in Symboldebatten um die Rente mit 70, die sobald nicht kommen wird. Die Union wiederum verspricht Vollbeschäftigung, sagt aber keinen Ton dazu, wie sie eine Million Langzeitarbeitslose so qualifizieren will, dass es auch reicht für einen regulären Job. Hier wie dort: Gegenwartsfixierung.

Gerade die Volksparteien Union und SPD verstehen unter Beschäftigung weiterhin am liebsten das „Normalarbeitsverhältnis“: angestellt, sozialversichert, unbefristet. Alles andere ist eher Problem als Chance. Teilzeit? Eine Falle. Befristung? Ein Schicksalsschlag. Selbstständigkeit? Nur mit ausreichender Absicherung. „Die Menschen brauchen mehr Sicherheit und Verlässlichkeit“, sagte Kanzlerkandidat Schulz diese Woche. Von Lust zum Aufbruch oder Mut keine Spur.

Der digitale Wandel der Arbeitswelt wird verdrängt. Die FDP plakatiert zwar „Digital first. Bedenken second.“ Doch füllen die Liberalen den Slogan mit Leben? Nun ja.

Dabei existiert ja ein Unbehagen von Digitalarbeitern wie Unternehmen, gibt es Unsicherheit über die Ausfüllung alter Rollenmuster in neuen Zeiten ebenso wie Sehnsucht nach dem Neuen. Und diese weitverbreiteten Gefühle müssten ein Weckruf für die Politik sein, im Wahlkampf die großen Fragen offen zu diskutieren. Doch es findet nicht statt.

Eine der wenigen, löblichen Ausnahmen – das besagte Chancenkonto der SPD, sprich: ein persönliches Guthaben für Weiterbildung oder Gründung – dürfte den meisten Wählerinnen und Wählern unbekannt sein. Anders als von Nahles behauptet, erwähnt Martin Schulz es in seinen Reden eben nicht dauernd.

Und sonst? Programmatische Ebbe, Langeweile oder Selbstverständlichkeiten überall. Der flächendeckende Ausbau der Breitbandnetze beispielsweise sollte nicht Kür, sondern längst getane Pflicht sein. Die elektronische Verwaltung wird Bürgern bereits seit Jahren versprochen. Auch ein Digitalminister alleine, ob nun mit eigenem Ressort oder angesiedelt im Kanzleramt, wird die Wende sicher  nicht bringen.

Es bräuchte dringender denn je eine Politik, die auf der Höhe der Zeit und der Debatten ist. Wie organisieren, fördern und sichern wir Arbeit, die immer mobiler, flexibler und fluider wird? Wie bilden wir uns weiter, schaffen Freiräume für Kreativität und Familie? Und nicht zuletzt: Wie helfen wir jenen, den Digitalisierung Angst macht?  Ist das bedingungslose Grundeinkommen tatsächlich nur eine „Stilllegungsprämie“ (Nahles) oder doch eine Idee, über die sich nachzudenken lohnte?

Fragen über Fragen. Nur die Antworten fehlen. Was hätte das für ein spannender Wahlkampf werden können.

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