Wirtschaftspolitik Der "AfD-Effekt" setzt Parteien unter Druck

Nicht nur in Einwanderungsfragen, sondern auch wirtschaftspolitisch will die AfD die Parteien im Bundestag vor sich hertreiben. Es drohen realitätsferne Forderungen und Halbwahrheiten.

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Quelle: imago images

In der Berliner Schillstraße 9 herrscht seit Tagen Partystimmung. Im 6. Stock des unscheinbaren Hochhauses hat die Bundesgeschäftsstelle der AfD ihre Büroräume angemietet. Die Laune dort ist hervorragend. Mitarbeiter streifen angeblich schon mittags mit Weißwein durch den Flur. Neulich flogen Kaffeetassen aus dem Fenster: Untertassen-Weitwurf, sagt einer, der in der 6. Etage arbeitet.

Das Hochgefühl hat einen Grund: Einen Tag vor der Bundestagswahl liegt die AfD in Umfragen zwischen 9 und 12 Prozent. Viele AfD-Mitglieder prognostizieren hinter vorgehaltener Hand ein noch besseres Ergebnis. Um die 15 Prozent seien drin, glauben sie. Gut möglich, dass die AfD am Sonntag als drittstärkste Fraktion in den Bundestag einziehen wird.

Die Gesichter der AfD

Schon am Dienstag und Mittwoch nach der Wahl will die Partei ihre Fraktion bilden. Bei einem Ergebnis von 11 Prozent würde sie knapp 80 Abgeordnete stark sein, darunter nicht wenige Neu-Parlamentarier mit ultra-rechten Ansichten. Als Fraktionsvorsitzende stehen Alexander Gauland und Alice Weidel bereit. Entweder als Doppelspitze – oder einer von beiden im Solo.

Sobald die Fraktion geformt ist, will die AfD ihre Strategie aus Tabubruch, Provokation und harter Sachpolitik in den Bundestag übertragen. Mit den Werkzeugen des Parlaments will sie die etablierten Parteien bloßstellen – und inhaltlich vor sich hertreiben. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, warnte bereits: Populistische Debatten könnten bald von wichtigen wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen ablenken.

Mit Provokationen befeuert die AfD ihren Aufschwung. Die restlichen Parteien reagieren mit Beschimpfungen. Schlauer wäre es, sich auf die eigenen Inhalte zu konzentrieren – zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik.
von Thomas Schmelzer

Eine Warnung, die Alexander Hensel vom Göttinger Institut für Demokratieforschung, gut nachvollziehen kann. Hensel hat in einer Studie analysiert, wie die AfD in ausgewählten Landtagen in den ersten neun Monaten gearbeitet hat. Welche Hürden die Fraktionen nehmen mussten, welche Werkzeuge sie nutzten – und welchen Effekt sie mit ihrer Arbeit auf die inhaltlichen Debatten erzielen konnten.

Hensels Ergebnis: Trotz fehlender Erfahrung und interner Richtungskämpfe lernten die AfD-Fraktionen schnell. Immer wieder lenkten sie die Aufmerksamkeit mit kleinen Anfragen oder Anträgen auf die Einwanderungspolitik. Immer wieder inszenierten sie sich als Law-and-Order Partei. Immer wieder gaben sie sich als Anwalt der Bürger aus. Und immer wieder nutzten sie das Parlament als Bühne für gezielte Provokationen und Tabubrüche.

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