Bundestagswahl Gabriel liegt in der K-Frage wohl vor Schulz

SPD-Chef Sigmar Gabriel ist Parteikreisen zufolge der Favorit für die Kanzlerkandidatur. Anhänger von Martin Schulz bedauern die Stimmungslage, weil sie sich von ihm frischen Wind versprochen hatten.

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„Die Wahrscheinlichkeit ist sehr, sehr, sehr hoch, dass Gabriel Kanzlerkandidat wird“, sagte ein Mitglied des Parteivorstandes. Quelle: dpa

Berlin In der SPD wird damit gerechnet, dass Parteichef Sigmar Gabriel bei der Bundestagswahl im Herbst Herausforderer von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel sein wird. „An Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat führt kein Weg mehr vorbei“, hieß es aus der Führungsriege am Donnerstag. Anhänger des bisherigen Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, bedauerten dies, weil sich viele von ihm frischen Wind versprochen hätten – vor allem Aufwind angesichts der Umfragen, in denen die SPD bei 20 bis 22 Prozent angesiedelt wird. „Die Nervosität ist in der Partei mit den Händen zu greifen“, sagte ein Abgeordneter des Bundestages.

In der SPD wird gleichzeitig betont, dass keine Entscheidung über die Kanzlerkandidatur gefallen sei. Ausgerufen werden soll der Kanzlerkandidat erst Ende Januar. Die Parteispitze will auch unbedingt vermeiden, dass nach einem Treffen der engeren Parteiführung am 10. Januar in Düsseldorf die Sache schon als ausgemacht gilt. Dennoch ist die Einschätzung weit verbreitet, dass Schulz nicht Kanzlerkandidat wird, sondern Nachfolger von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. „Die Wahrscheinlichkeit ist sehr, sehr, sehr hoch, dass Gabriel Kanzlerkandidat wird“, ergänzte am Donnerstag ein Mitglied des Parteivorstandes.

Auch Parteienforscher rechnen mit Gabriel als Spitzenmann bei der Bundestagswahl. „Ja, das ist klar“, sagte am Donnerstag der Berliner Politologe Gero Neugebauer zu Reuters. „Nicht nur, weil er immer mehr zögert, das selbst zu bestreiten. Er bekommt auch ausreichend Unterstützung.“ Einflussreiche SPD-Größen wie die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft haben sich für Gabriel ausgesprochen: „Ich bin überzeugt, dass Sigmar Gabriel ein guter Kanzler wäre.“

Der Parteienforscher Oskar Niedermayer verweist darauf, dass Gabriel als Parteichef das Vorschlagsrecht hat. „Er hat das Erstzugriffsrecht, und das wird er dann auch ausüben, zumal Schulz schon durchgestochen hat, dass er es nicht werden wird“, sagte Niedermayer zu Reuters. Doch Gabriel hat die Entscheidung bisher offengehalten. In Umfragen schnitt Schulz stets besser ab als der 57-Jährige, der sich kurz vor Weihnachten nach Angaben aus der SPD einer Magenoperation unterzog, um seine Diabetes in den Griff zu bekommen. Im ARD-Deutschlandtrend im Dezember hieß es im Fall einer Direktwahl des Kanzlers bei einem Duell Merkel-Schulz 43 zu 36 Prozent für die Kanzlerin - im Fall eines Zweikampfes Merkel-Gabriel waren es 57 zu 19 Prozent.

Popularität sei nicht die einzige Frage, konterte Gabriel jüngst: „Wir hatten schon zweimal sehr populäre Kandidaten, die beide verloren haben.“ Auch Niedermayer vermutet, dass die Werte für Schulz als Frontmann leiden würden. Auch Steinmeier sei 2008/2009 als Außenminister geschätzt gewesen, bevor er Kanzlerkandidat geworden sei: „In dem Moment, wo er SPD-Wahlkämpfer wurde, gingen seine Werte deutlich runter."


SPD erhoffte sich mit Schulz neuen Schwung

Die Umfragen zeigen aber auch, dass es um den Rückhalt Gabriels in der eigenen Partei nicht gut bestellt ist. „Es gibt immer noch viele SPD-Anhänger, die lieber Merkel als Gabriel wählen“, stellte Neugebauer fest. Schulz wäre aber auch aus seiner Sicht nicht der bessere Kandidat: „Die Probleme der deutschen Innenpolitik sind ihm fremd.“

An der SPD-Basis verbanden sich dennoch Hoffnungen mit Schulz. Ein Bundestags-Abgeordneter berichtete nach vielen Gesprächen in den Wahlkreisen und mit anderen Abgeordneten über die Weihnachts- und Neujahrspause, an der Basis herrsche große Verunsicherung und Nervosität. Umfragen von 20 Prozent für die Bundes-SPD hielten die Wahlkämpfer vor Ort für realistisch. Der 61-jährige Schulz, als langjähriger Europapolitiker längst Polit-Veteran, werde nicht zum Berliner Establishment gezählt: „Die Hoffnung war, dass mit ihm ein frischer Wind kommt.“

Die Parteienforscher attestieren Gabriel, dass er für Merkel kein leichter Gegner sei. „Er ist ein guter Wahlkämpfer“, sagte Niedermayer. „Er kann zuspitzen, er kann die Sache auf den Punkt bringen, er ist eine Kämpfernatur.“ Von Nachteil sei, dass ihm das Image anhafte, ein sprunghafter Mensch zu sein. Das liege zum Teil aber auch an seiner Rolle als Parteichef, etwa in der Flüchtlings- und Asylpolitik. Da müsse Gabriel unterschiedliche Positionen der SPD-Funktionärsschicht und in großen Teilen der Wählerschaft unter einen Hut bringen: „Das erklärt auch, warum er mal zur einen, mal zur anderen Seite ausschlägt.“

Wenn es beim Zeitplan der SPD-Spitze bleibt, wird der Kanzlerkandidat bei einer Vorstandsklausur am 29./30. Januar in der Parteizentrale in Berlin ausgerufen. Die formelle Wahl auf einem Bundesparteitag soll Ende Mai folgen – mit einem Sieg der SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai im Rücken, wie die Sozialdemokraten hoffen.

Ein großes Manko für Gabriel – wie auch jeden anderen SPD-Kanzlerkandidaten – ist aus Sicht der Parteienforscher das Fehlen einer realistischen Machtoption. „Für viele Wähler der Sozialdemokratie ist der Kanzlerkandidat nur dann entscheidend, wenn ein Machtwille geäußert wird, also ein Anspruch auf Führung einer Regiering damit verbunden ist“, sagte Neugebauer. „Das muss die Sozialdemokratie liefern. Und da kommen sie dann in das nächste Problem: Koalitionspartner.“ Die Möglichkeit einer Koalition aus SPD, Linken und Grünen halte er für wenig realistisch, wenn er die gegenwärtigen Lagerverhältnisse fortschreibe. Niedermayer sagte: „Das ist rein rechnerisch schon fraglich. Und politisch sehe ich das ehrlich gesagt nicht.“ Für ihn seien die inhaltlichen Differenzen der Parteien zu groß.

Bei der Klausur oder früher wird auch die Entscheidung über die Nachfolge von Steinmeier erwartet, den Union und SPD am 12. Februar zum Bundespräsidenten wählen wollen. SPD-Politiker rechnen fest damit, dass Schulz die Spitze des Auswärtigen Amtes übernimmt, da er von der Europa-Bühne her bestens mit den beherrschenden Themen – Brexit, Ukraine, Syrien, Nahost – vertraut sei und über die internationalen Kontakte verfüge. Mit der Regierungserfahrung wäre Schulz nach der Bundestagswahl in guter Position, bei einer SPD-Beteiligung an der Regierung ein Ministeramt einzufordern. Auch als Chef der Bundestagsfraktion in der neuen Wahlperiode können Abgeordnete ihn sich vorstellen.

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