Wenn Andreas Hettich die Parteiprogramme auf die Folgen für sein Portemonnaie abklopft, dann bleiben für ihn "eigentlich nur Union und FDP übrig". Nicht wegen der Abmilderung der kalten Progression oder der Abschaffung des Soli – was die Liberalen vollmundig fordern. Bescheiden meint Hettig: "Ich wäre schon zufrieden, wenn sich mal nichts ändert." Getrieben wird die Bescheidenheit von – Angst.
Der Mittvierziger, Inhaber eines ostwestfälischen Familienunternehmens, das Möbelscharniere herstellt, fürchtet, Rot-Grün könnte das 1888 gegründete Familienunternehmen "deutlich zurückwerfen". Deshalb schrieb Hettich an den ansässigen SPD-Bundestagsabgeordneten Stefan Schwartze und setzte den Spitzenkandidaten Peer Steinbrück in Kopie. Seine Firma mit 3000 Beschäftigten in Deutschland müsste wegen der geplanten Vermögensteuer das "jährliche Investitionsbudget von rund 80 Mio. Euro auf etwa 50 Mio. Euro kürzen", rechnet Hettich darin vor und fügt empört hinzu: "Das legt den Schluss nahe, dass amerikanische Hedgefonds oder chinesische Staatsfonds als Unternehmenseigentümer lieber gesehen werden als deutsche Familien."
Die Wahl hat große Folgen für den Geldbeutel
Der Fall zeigt: Wie keine andere Bevölkerungsgruppe wühlt die am 22. September 2013 anstehende Bundestagswahl die Seele der Unternehmer auf. Seit Monaten laufen sie Sturm gegen die geplante Wiedereinführung der Vermögensteuer beziehungsweise die Idee einer grünen Vermögensabgabe. Für sie ist der Wahlkampf alles andere als langweilig oder inhaltsarm.
Doch nicht nur für Unternehmer ist der kommende Sonntag ein Schicksalstag. Selten haben die Parteien derart konträre Alternativen für den Geldbeutel geboten wie dieses Mal. Das ist das Ergebnis einer WirtschaftsWoche-Analyse der einzelnen Wahlprogramme.
Was die Wahlprogramme über die Verteilungspolitik der Parteien verraten
Einkommensbezieher
Abmilderung der kalten Progression durch Anhebung der Einkommensgrenzen im Steuertarif; Spitzensatz greift bei 55.209 Euro statt derzeit 52.882 Euro.
Familien
Ergänzung des Ehegattensplittings um ein Familiensplitting. Schrittweise Anhebung der Kinderfreibeträge auf das Erwachsenenniveau (2014: 8354 Euro). Höheres Kindergeld.
Unternehmer
Unternehmensbesteuerung soll international wettbewerbsfähig sein. Fiskalische Benachteiligung von Eigenkapital gegenüber Fremdkapital abbauen. Steuerliche Forschungsförderung.
Vermögende
Keine Änderung.
Geringverdiener
Von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften ausgehandelte Mindestlöhne. Lebensleistungsrente von 850 Euro, wenn 40 Jahre versichert und private Vorsorge. Höhere Renten für Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden; bei zwei Kindern 650 Euro mehr im Jahr.
Erben
Keine Erhöhung der Erbschaftsteuer.
Fazit
Merkel setzt auf Kontinuität. Die fiskalischen Auswirkungen sind überschaubar mit Tendenz zu mehr Umverteilung.
Einkommensbezieher
Zusätzliche Progressionszone ab 64.000 Euro mit steigendem Steuersatz von 42 auf 49 Prozent ab 100.000 Euro.
Familien
Partnerschaftssplitting, das nur Unterhaltsverpflichtungen berücksichtigt. Ehegattensplitting für Alt-Ehen. Abbau des Kinderfreibetrages. 140 Euro mehr Kindergeld für Geringverdiener.
Unternehmer
Verbesserte Abschreibungen für KMU. Gewerbesteuer zugunsten der Kommunen ausbauen. Halbierte Absetzbarkeit von Managergehältern ab 500.000 Euro.
Vermögende
Abgeltungsteuer auf 32 Prozent hoch, später Individualbesteuerung. Ein Prozent Vermögensteuer; Freibetrag von zwei Millionen Euro, für Unternehmen Freigrenze von 200.000 Euro.
Geringverdiener
Flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. 850 Euro Solidarrente für langjährig Versicherte. Höhere Renten für Eltern mit vor 1992 geborenen Kindern.
Erben
Einschränkung der Verschonungsregeln, stärkere Koppelung an Erhalt von Arbeitsplätzen.
Fazit
Abkehr vom wirtschaftsfreundlichen Kurs der Schröder-Ära. Neupositionierung links von der einstigen "Neuen Mitte".
Einkommensbezieher
Erhöhung des Grundfreibetrages auf 8700 Euro (statt 8354 ab 2014). 45 Prozent Steuersatz ab 60.000 Euro, Anstieg bis 49 Prozent ab 80.000 Euro. GKV-Beitragsbemessungsgrenze rauf.
Familien
Statt Ehegattensplitting individuelle Besteuerung mit übertragbarem Existenzminimum. Einheitliche Kindergrundsicherung.
Unternehmer
15-prozentige Steuergutschrift für F&E in Unternehmen bis 250 Mitarbeiter. Gewerbesteuer ausweiten, Zinsschranke verschärfen. Managergehälter nur bis 500.000 Euro absetzbar.
Vermögende
Statt Abgeltungsteuer eine progressive Individualbesteuerung. Vermögensabgabe von 1,5 Prozent; eine Million Euro Freibetrag, bei Unternehmen Begrenzung auf 35 Prozent vom Gewinn.
Geringverdiener
Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Abschaffung von Minijobs. Garantierente von mindestens 850 Euro.
Erben
Verringerung der Freibeträge. Keine Verschonung von Betriebsvermögen. Verdoppelung des Aufkommens.
Fazit
Trittin positioniert seine Partei links von der SPD. Hohe Lasten auch für die eigene, eher bürgerliche Wählerschaft.
Einkommensbezieher
Abmilderung der kalten Progression durch Anhebung der Einkommensgrenzen. Abschaffung der Steuerklasse V. Abschmelzen des Soli bis 2017 auf null.
Familien
Anhebung der Kinderfreibeträge auf Erwachsenenniveau.
Unternehmer
Rechtsform- und finanzierungsneutrale Besteuerung von Unternehmen. Steuern mindernder Eigenkapitalzins. Steuerliche F&E-Förderung. Gewerbesteuer wird durch kommunales Einkommen- und Körperschaftsteuersystem ersetzt. Sozialversicherungsbeiträge sind erst am 15. Tag des Folgemonats zahlen. Bei der Mehrwertsteuer wird von einer Soll-Besteuerung auf eine Ist-Besteuerung umgeschwenkt.
Vermögende
Keine Vermögensteuer geplant.
Geringverdiener
Arbeitgeber-Entsendegesetz ausbauen. Private Vorsorge nur teilweise auf die Grundsicherung im Alter anrechnen.
Erben
Einheitliche Bemessungsgrundlage nach Verkehrswert mit moderaten Steuersätzen.
Fazit
Die einstige Drei-Stufen-Steuer-Partei ist bescheiden geworden. Moderate Entlastungen für alle durch Soli-Abbau.
Einkommensbezieher
Grundfreibetrag rauf auf 9300 Euro. 53 Prozent Spitzensatz ab 65.000 Euro. 75 Prozent Millionärssteuer ab einer Million Euro.
Familien
Ehegattensplitting abschaffen. Anhebung des Kindergeldes auf mindestens 200 Euro.
Unternehmer
Körperschaftsteuer von 15 auf 25 Prozent anheben. Keine Veräußerungsgewinnbefreiung. Ausweitung der Gewerbesteuer, Einbeziehung von Selbstständigen und Freiberuflern. Managergehälter nur bis 500.000 Euro absetzbar.
Vermögende
Statt Abgeltungsteuer eine individuelle Besteuerung. Fünf Prozent Millionärssteuer auf Vermögen über einer Million Euro. Plus einmalige Vermögensabgabe von 10 Prozent ab einer Million Euro, 20 Prozent ab 10 Millionen, 30 Prozent ab 100 Millionen.
Geringverdiener
Flächendeckender Mindestlohn von 10 Euro, bis 2017 Anhebung auf 12 Euro. Verbot der Leiharbeit. Mindestrente von 1050 Euro.
Erben
Höhere Erbschaftsteuersätze und weniger Befreiungen.
Fazit
Die Partei will einen radikalen Umbau des Systems. Enteignungsgleiche Besteuerung von Gutverdienern.
Welche monetären Vor- und Nachteile die Parteien für Beschäftigte und Familien, für Geringverdiener, Unternehmer und Erben in petto haben, rechnete das Forschungsinstitut des Bundes der Steuerzahler (DSi) im Auftrag der WirtschaftsWoche durch. Angenommen wurde dabei eine – durch keine Koalitionskompromisse verwässerte – Umsetzung der jeweiligen steuerpolitischen Wahlaussagen. Herausgekommen ist eine Übersicht für Privathaushalte mit Jahreseinkommen zwischen 20 000 und einer Million Euro. Jeder Bürger kann hier ablesen, welch gravierende Folgen sein Kreuzchen in der Wahlkabine für sein Portemonnaie haben kann.
Vermögenssteuer, Steuersätze und Ehegattensplitting
Im Portfolio der Parteien sind Vermögensteuer und Spitzensteuersatz nur zwei Aspekte, die auf die Brieftasche schlagen könnten. Eine weitere ist das Ehegattensplitting. Die Oppositionsparteien möchten es abschaffen oder stark einschränken und durch andere Konstruktionen mit speziellen Kinderkomponenten ersetzen – stets in der Absicht, zugunsten von Geringverdienern umzuschichten. Damit nicht genug. Über die Sozialkassen wollen die linken Parteien ebenfalls umverteilen. Allein eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Krankenkasse auf das Niveau der Rentenversicherung würde für die Mittelschicht zu monatlichen Mehrbelastungen von bis zu 172 Euro führen.
Für oder gegen die Umverteilung
Insgesamt fordern die Parteien das Wahlvolk dieses Mal auf, sich für oder gegen eine gigantische Umverteilung zu entscheiden. So will die SPD über 32 Milliarden Euro Steuern zusätzlich erheben, errechnete der Bund der Steuerzahler (BdSt). Bei den Grünen sind es 52 Milliarden und bei der Linken rund 200 Milliarden Euro. Faktisch geht es um eine Umformulierung der sozialen Marktwirtschaft zur reinen Sozialwirtschaft.
Das Kontrastprogramm bildet Schwarz-Gelb. Bei der Union kommt laut Steuerzahlerbund nur eine minimale Entlastung von einer Milliarde Euro heraus – konservativer geht es kaum. Eine deutliche Entlastung verspricht nur die FDP, und zwar in Höhe von knapp 18 Milliarden Euro, wovon allein 14 Milliarden Euro auf die Abschaffung des Solidaritätszuschlages entfallen.
Dem Soli-Abbau ist es zu verdanken, dass die FDP für die meisten Geldbeutel erste Wahl ist – von der Linkspartei einmal abgesehen, die für die unteren Lohngruppen beträchtliche Vergünstigungen im Angebot hat.
Nichts gibt es von der SPD
Ein Single mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 20 000 Euro könnte von den Liberalen 195 Euro Entlastung erfahren. Bei den Grünen gäbe es 72 Euro mehr im Portemonnaie; hier macht sich die Anhebung des Grundfreibetrages für alle bemerkbar. Die Linke würde den Grundfreibetrag noch weiter aufstocken, was sich für den 20 000-Euro-Single in einem Plus von 776 Euro niederschlägt. Knickrig sind derweil die beiden Volksparteien. Bei der Union müsste er 53 Euro weniger Steuern zahlen wegen des Abbaus der kalten Progression im Einkommensteuertarif. Nichts gäbe es dagegen bei der SPD.
Nehmen ist seliger als Geben, das ist insgesamt das Mantra der sozialdemokratischen Steuer-Agenda. Ab einem zu versteuernden Einkommen von 64 000 Euro, also oberhalb der IG-Metall-Facharbeiterlöhne, will die SPD an der Steuerschraube drehen. Der Satz steigt von 42 Prozent bis auf den neuen Spitzenwert von 49 Prozent (ab 100 000 Euro), natürlich plus Soli. Wer an der SPD-Reichenschwelle lebt, müsste als Single 1329 Euro zusätzlich berappen. Dieser – für sich genommen moderat klingende – Betrag würde indes die Gesamtbelastung auf satte 36 947 Euro treiben.
Ist der Single ein Top-Manager oder ein erfolgreicher Unternehmer mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von einer Million Euro, muss er laut SPD 502 201 Euro zahlen – also mehr als die Hälfte seines Verdienstes an den Fiskus abgeben. Geht es nach dem Willen von Grünen und Linken, soll die Steuerlast in dieser Gruppe sogar noch weiter steigen.
SPD belastet hauptsächlich Familien
Die größten Opfer einer rot-rot-grünen Bundesregierung wären jedoch die besser gestellten Familien. Ein Vier-Personen-Haushalt, in dem ein Alleinverdiener 100 000 Euro nach Hause bringt, müsste nach den grünen Plänen 3511 Euro mehr Steuern zahlen, bei den Linken wären es sogar 10 231 Euro mehr. Die Partei von Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht würde sogar geringverdienende Familien zusätzlich belasten. Hier schlägt das Weltbild durch: Um beide Elternteile in die Berufstätigkeit zu drängen, soll die traditionelle Rollenverteilung per Steuerrecht (Ehegattensplitting) abgeschafft werden. "Die Steuererhöhungspläne reichen weit in die Mitte der Gesellschaft hinein und belasten vor allem Familien", urteilt deshalb BdSt-Präsident Reiner Holznagel.
In Zukunft kein Ehegattensplitting mehr
Das will übrigens die SPD genauso, auch wenn dies in der nebenstehenden Tabelle nicht zum Ausdruck kommt: Dort ist nämlich nur die Veränderung für bestehende Familien berechnet, denen die Sozialdemokraten Bestandsschutz beim Splitting gewähren. Für künftige Lebensgemeinschaften soll es hingegen kein Ehegattensplitting mehr geben. Offenbar möchte es sich die Traditionspartei nicht mit ihrer alten Familienklientel verscherzen und präsentiert sich beim Splitting als Light-Version der Grünen und Linken.
Vergleicht man die aktuellen Wahlprogramme mit denen vor vier Jahren, so zeigt sich eine deutliche Verschärfung auf der Belastungsseite. Damals wollte die SPD die Einkommensklasse 100 000 Euro noch verschonen, die Grünen planten nur einen Aufschlag von gut 900 Euro, der heute auf mehr als 2500 Euro anschwillt. Bei Familien haben sich die Belastungspläne verdoppelt (SPD) beziehungsweise vervierfacht (Grüne). Konstant bleibt derweil die Linke.
Stärke weckt Begehrlichkeiten
Was aber hat SPD und Grüne zur steuerpolitischen Radikalisierung bewogen? Versiegende Steuereinnahmen können es nicht sein, im Gegenteil: Sie erreichen zurzeit jährlich neue Rekordstände. In diesem Jahr dürften Bund, Länder und Gemeinden schätzungsweise 615 Milliarden Euro einnehmen, 131 Milliarden Euro mehr als zu Beginn der Legislaturperiode. Und in vier Jahren sollen es 704 Milliarden sein, also weitere 89 Milliarden obendrauf.
So stehen die Parteien zur geplanten Steuererhöhung
Der Spitzensteuersatz soll nach dem Willen der Sozialdemokraten auf 49 Prozent für Einkommen ab 100.000 Euro steigen. Eine Vermögensteuer soll hohe Vermögen belasten, aber eine Substanzbesteuerung von Unternehmen vermeiden. Die Abgeltungsteuer für Kapitaleinkünfte soll 32 Prozent statt wie bisher 25 Prozent ausmachen. Das Ehegattensplitting will die SPD für künftige Ehen durch eine individuelle Besteuerung ersetzen, Unterhaltspflichten aber berücksichtigen. Mehreinnahmen sollen in Schuldenabbau und Bildungsinvestitionen fließen. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte nun, dass vielleicht auf einen Teil der Steuererhöhungen verzichtet werden könnte, wenn der Kampf gegen Steuervermeidung erfolgreich sei und für Mehreinnahmen sorgen würde.
Ähnliche Pläne wie die SPD verfolgen die Grünen. Auch nach ihren Vorstellungen soll der Spitzensteuersatz auf 49 Prozent steigen und das - anders als bei der SPD - schon für Einkommen ab 80.000 Euro. Zudem soll es eine Abgabe von einem Prozent auf Vermögen ab einer Million Euro geben, die rund 100 Milliarden Euro einbringen soll. Sonderregeln sollen dabei verhindern, dass Betriebe zu sehr belastet werden. Statt des Ehegattensplittings soll es eine Individualbesteuerung geben, wobei der Grundfreibetrag übertragen werden kann. Vorerst soll der Splittingvorteil nur gedeckelt werden, um bestehende Ehen mit Haushaltseinkommen bis zu 60.000 Euro zu schonen. Mehreinnahmen sollen in Bildung, Infrastruktur und Schuldenabbau fließen.
Steuererhöhungen lehnt die Union ab. Vor allem Unternehmen sollen von weiteren Belastungen verschont werden. Die Bürger sollen durch eine Abmilderung der sogenannten kalten Progression um schätzungsweise sechs Milliarden Euro entlastet werden - eine Reform, die in dieser Legislaturperiode im Bundesrat scheiterte. Das Ehegattensplitting, von dem auch Paare ohne Kinder profitieren, soll um ein sogenanntes Familiensplitting erweitert und der Freibetrag für Kinder schrittweise auf den für Erwachsene geltenden Steuer-Freibetrag gehoben werden.
Eine höhere Steuerbelastung für Bürger und Unternehmen wird im Wahlprogramm der Liberalen "entschieden" abgelehnt. Anders als bei der letzten Bundestagswahl vor vier Jahren aber stehen Steuersenkungen nicht mehr im Mittelpunkt. Ganz klar heißt es: "Die Haushaltskonsolidierung hat Vorrang". Die FDP will dennoch weiterhin das Einkommensteuerrecht vereinfachen und - wie die Union - ungewollte Steuermehrbelastungen durch die kalte Progression bekämpfen. Zudem hat sie dem Solidaritätszuschlag ("Soli") den Kampf angesagt, legt sich aber nicht auf ein Datum zur Abschaffung fest.
Der Spitzensteuersatz soll auf 53 Prozent steigen, und zwar bereits für Einkommen ab 65.000 Euro. Hohe Vermögen sollen mit einer Millionärsteuer belegt werden: die erste Million bleibt steuerfrei, danach soll ein Steuersatz von fünf Prozent auf Privat- und Betriebsvermögen gelten. Große Erbschaften sollen deutlich höher besteuert werden, Bezieher mittlerer Einkommen sollen dagegen weniger Steuern zahlen.
Steinbrück und sein grüner Wunschpartner Jürgen Trittin sprechen von einem hohen Investitionsbedarf in Bildung und Infrastruktur. Diesen gab es jedoch auch schon vor vier Jahren. Damals aber hing Deutschland in den Seilen, litten die Unternehmen unter der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, klafften riesige Löcher in den öffentlichen Haushalten. Damals wagten SPD und Grüne es nicht, massive Umverteilungspläne zu Lasten der Leistungsträger aufzustellen – aus Angst, die Wirtschaft könnte noch tiefer in den Abwärtsstrudel gerissen werden. Heute steht Deutschland unerwartet stark da. Diese Stärke weckt offenbar Begehrlichkeiten.
Grüne mit mehr Stehvermögen auf dem linken Bein
Doch selbst Sozialdemokraten scheint es dabei inzwischen mulmig zu werden. Vor allem die angekündigte Wiedereinführung der Vermögensteuer bringt sie in Nöte. Vor einem Jahr noch wollten mehrere SPD-geführte Bundesländer einen entsprechenden Gesetzentwurf im Bundesrat einbringen. Daraufhin kalkulierte der in Essen beheimatete ThyssenKrupp-Konzern für sich die Folgen durch – eine Zusatzbelastung im dreistelligen Millionenbereich, Risiken für die Arbeitsplätze – und legte die Rechnung in Düsseldorf Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) vor. Die Wirkung war durchschlagend: Die SPD-Länder legten ihren Gesetzentwurf prompt auf Eis.
Mehr Stehvermögen auf dem linken Bein zeigen die Grünen. Als Steinbrück und SPD-Chef Sigmar Gabriel vor zwei Monaten einen Verzicht auf Steuererhöhungen ins Spiel brachten – für den Fall, dass durch eine Bekämpfung von Steuerhinterziehung mehr Geld in die Staatskasse flösse –, höhnte Trittin über die "Hasenfüßigkeit" der Genossen.
SPD und Grüne haben die Rollen getauscht
Damit positionieren sich die Grünen in der Steuerpolitik links von der SPD. Und setzen den größeren Partner unter Druck. Anfang September zum Beispiel ließen sie einen Kompromiss des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat platzen, den der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) zusammen mit dem CDU/CSU-Fraktionsvize im Bundestag, Michael Meister, ausgehandelt hatte. Beim kaum der Öffentlichkeit bekannten AIFM-Steueranpassungsgesetz ging es vor allem darum, den Unternehmen milliardenschwere Steuervorteile beim Verkauf von Pensionsverpflichtungen zu streichen. Ein nebensächlicher Teil des Vermittlungspakets missfiel indes Trittin und seinem finanzpolitischem Sprecher Gerhard Schick. Als die beiden ihre Daumen senkten, machten die SPD-Abgeordneten im Bundestag prompt einen Rückzieher und blamierten ihren Verhandlungsführer Walter-Borjans.
Große Skepsis aus der Wirtschaft
Die Episode hinterlässt den Eindruck, SPD und Grüne hätten ihre Rollen von Koch und Kellner getauscht. Und einem möglichen Bundesfinanzminister Trittin, der einst als Umweltminister das ungeliebte Dosenpfand gegen alle Widerstände durchdrückte, wird zugetraut, ebenso seine Steuerpläne ins Gesetzblatt zu bringen.
Die vergessenen Wählergruppen
35,55 Millionen arbeitende Menschen zahlen die Rente. Sie müssen länger im Beruf bleiben und brauchen flexiblere Wege zum Ruhestand.
2,3 Millionen Menschen sind Unternehmer und schaffen Wachstum. Viele Arbeitsplätze hängen an ihrem Erfolg.
8,98 Millionen Menschen sind privat krankenversichert. Viele klagen über stark steigende Prämien.
1,5 Millionen junge Menschen zwischen 25 und 34 Jahren haben keinen Berufsabschluss.
1,3 Millionen sind altersverwirrt. Die Pflegekasse berücksichtigt sie kaum. Betreuungsideen sind gefragt.
Auch Unternehmer Hettich hat die Antwort seines örtlichen SPD-Kandidaten nicht beruhigt. Die Aussage, für Unternehmen würde alles beim Alten bleiben, findet Hettich "vage und nicht überzeugend". In der gesamten Wirtschaft stoßen Beteuerungen von SPD und Grünen, für sie würde die Steuerlast nicht höher, auf allergrößte Skepsis. Wie denn auch sonst? Mehr als 90 Prozent aller Unternehmen unterliegen der Einkommensteuer. Viele wären von der Anhebung des Spitzensatzes unmittelbar betroffen. Und die Vermögensteuer droht nahezu jedem Unternehmen mit mehr als 10 oder 20 Mitarbeitern – ein Großteil des Vermögens ist schließlich in Unternehmen gebunden.
Steuerexperte Ralph Wiechers vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), in dem rund 3000 Mittelständler vertreten sind, viele davon Weltmarktführer in ihrer Branche, rechnet vor: Ein "typischer mittlerer" Maschinenbauer mit 150 Mitarbeitern, 30 Millionen Euro Umsatz und einer Steuerlast von derzeit 1,270 Millionen Euro würde nach den Einkommen- und Vermögensteuerplänen der SPD zusätzlich 378 000 Euro (Grüne: 454 000 Euro) zahlen.
Die Steuern kosten Arbeitsplätze
Ein "typischer größerer" Maschinenbauer mit 1000 Beschäftigten und 254 Millionen Euro Umsatz müsste über die aktuelle Steuerlast von 8,335 Millionen Euro hinaus zusätzlich 3,835 Millionen (SPD) beziehungsweise 10,550 Millionen (Grüne) mehr tragen. Wiechers: "Das kostet Innovationskraft und Arbeitsplätze."
Auf 1,4 Millionen Jobs beziffert der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, überschlägig die Arbeitsplatzverluste, falls SPD und Grüne ihre Steuerpläne umsetzen. Für 1,4 Millionen Portemonnaies wäre dies der GAU.
Möglicherweise spüren die Bürger das Risiko, das mit den rot-grünen Steuerplänen einhergeht. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid halten 63 Prozent der Bürger den gegenwärtigen Spitzensteuersatz von 42 Prozent für angemessen, 19 für zu hoch und nur 14 für zu niedrig. Fazit: Dem Volk ist nicht nach weiterer Umverteilung zumute.
Daran ändert auch Trittins Werben nichts, es würden ja nur fünf bis zehn Prozent der Bürger zusätzlich belastet. Die Grünen sind in den vergangenen Monaten bei den Wahlumfragen abgeschmiert – von 16 Prozent im Frühjahr auf nur noch rund 10 Prozent. Der Versuch, sich jenseits des ökologischen Markenkerns ein linkes steuerpolitisches Profil zuzulegen, scheint von den Wählern nicht honoriert zu werden.
Geholfen haben die grünen Bürgerschrecks ausgerechnet der FDP, die nun quer durch die Republik "Keine neuen Schulden, keine neuen Steuern" plakatiert. Am besten aber scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel die Stimmung im Lande zu treffen: Sie will fast nichts in der Steuerpolitik ändern. Genau das, was sich auch Unternehmer Hettich wünscht.