Bundestagswahlen 2017 Parteien, sagt endlich, was ihr wollt!

Angela Merkel will es noch mal wissen. Aber was genau eigentlich? Und wer will was bei der SPD? Deutschland braucht einen Inhalts-Wahlkampf.

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Quelle: imago images

Hat irgendjemand gesagt, die Christlich Demokratische Union (CDU) sei nicht zukunftsfähig? Von wegen. Führende Mitglieder der Regierungspartei haben gerade eine Einführung erhalten, wie sich mithilfe sozialer Medien politische Botschaften transportieren lassen. „Das war durchaus auch ernüchternd“, rekapituliert ein Teilnehmer. Schließlich müsse man registrieren, dass selbst die beste Botschaft sich nicht so einfach durchsetze. „In diesen Netzwerken leben Menschen in ihren eigenen Welten und glauben vor allem an ihre eigenen Botschaften“, resümiert der Spitzenpolitiker.

Er klingt fast, als verzweifele er an seinem eigenen Volk.

Vielleicht liegt das aber gar nicht an den Bürgern, sondern an der Botschaft, die die CDU in diesen Tagen kommuniziert: Angela IV. Die amtierende Kanzlerin möchte 2017 noch einmal für vier Jahre im Kanzleramt verlängern. Wie alternativlos und gleichzeitig ernüchternd diese Ankündigung auf viele Bürger wirkte, fasste die „Neue Zürcher Zeitung“ am besten zusammen. „Angela Merkel – wer sonst?“, schrieb das Blatt. Und fügte in der Unterzeile hinzu: „Erneute Kandidatur löst keine Euphorie aus.“

Kanzler(innen)jahre: So lange waren die deutschen Regierungschefs im Amt

In diesen so unsicheren Zeiten, inmitten von Brexit-Verhandlungen und nach dem triumphalen Wahlsieg von Politrüpel Donald Trump, geht die deutsche Politik auf Nummer sicher. „Sie kennen mich“, Merkels Sieges-Slogan 2013, soll ihr auch kommendes Jahr zur Mehrheit verhelfen, weil die Deutschen sie dann offenbar noch ein bisschen besser kennen. Man habe in Deutschland keine amerikanischen Verhältnisse, heißt es im Berliner Regierungsviertel, als müsse man sich dessen selbst vergewissern. Und auch das böse Wort von der Kanzlerinnendämmerung, vergleichbar mit der Endphase der Regierungszeit von Helmut Kohl, dementieren Merkel-Anhänger entschieden. Der langjährige CDU-Vordenker Kurt Biedenkopf sagt: „Helmut Kohl nutzte nach der Wiedervereinigung seine Autorität kaum noch für innenpolitische, insbesondere sozialpolitische Entwicklungen. Angela Merkel hat eine andere Arbeitsweise: Sie erkennt Probleme, erarbeitet Antworten und setzt sie um. Sie ist Naturwissenschaftlerin – und genau das brauchen wir jetzt.“

Die CDU vielleicht. Doch was genau braucht Deutschland jetzt? Was ist nötig, um jenen Ängsten und Sorgen zu begegnen, die Populisten allerorten in Umfragen und Wahlergebnissen gen Macht hieven? Eine Kanzlerschaft nutzt sich nach vielen Jahren ab, das leugnet man nicht einmal im Kanzleramt, wo sich Beamte zuletzt über historische Analysen der Amtszeiten von Konrad Adenauer oder Kohl beugten.

Die Ankündigung von Martin Schulz ist nach Steinmeiers Präsidentenkür ein erneutes Negativbeispiel für politische Personalentscheidungen im Hinterzimmer. Innerparteiliche Demokratie wird so zur Farce.
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Noch mal vier Jahre?

Wofür will Merkel weiter Kanzlerin sein? Auf diese Frage hat sie bislang keine überzeugende Antwort geliefert – auch nicht am Sonntagabend, an dem die ganze Berliner Republik auf ihre Erklärung wartete. „Diese riesige Chance, ihre erneute Kandidatur gründlich zu erklären, wurde vertan“, heißt es von Parteifreunden. Merkel habe zwar neue Herausforderungen wie die Digitalisierung gut beschrieben. „Aber Beschreibung ist noch keine Führung.“ Und Analyse alleine liefert auch keine Rechtfertigung, warum man noch einmal vier Jahre an der Macht bleiben will.

Merkels Noch-Koalitionspartner und Bald-Wahlkampfgegner SPD könnte dies als Steilvorlage nutzen. Doch die Sozialdemokraten sind, mal wieder, verwirrt. Parteichef Sigmar Gabriel manövrierte zwar die Kanzlerin geschickt aus, als er seinen Parteifreund Frank-Walter Steinmeier ins Präsidialamt hievte. Doch in der Bevölkerung blieb vor allem hängen, dass die Politik lieber kungelt, als in den Kampf um die besten Ideen zu ziehen. Kurz darauf musste die Partei, sonst allzu gerne moralische Instanz, Vorwürfen entgegentreten, für Tausende Euro Treffen mit Spitzengenossen zu verhökern. Und schließlich kann sich die SPD offenbar nicht einmal einigen, wer denn nun den Wahlkampf gegen Merkel anführen soll. Parteichef Gabriel, dem das erste Zugriffsrecht zusteht? Oder doch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz?

Wer wird Spitzenkandidat der SPD?

Der eine, Schulz, kann sich bislang nicht entscheiden, ob er lieber nur für seinen EU-Job kämpfen will, immerhin mit über 300.000 Euro Jahresgehalt dotiert. Oder ob er nicht doch besser das Außenministeramt und die SPD-Kanzlerkandidatur in Personalunion anstreben soll. Und das wohlgemerkt ohne jede innenpolitische Erfahrung außer seiner Zeit als Bürgermeister von Würselen, Einwohnerzahl: 39.873.

Es könnte deshalb sein, dass die SPD sich in Sachen Spitzenkandidat nicht erklärt, bis die Karrierepläne von Schulz geklärt sind. „Was machen wir eigentlich?“, fragt ein Spitzengenosse. Die designierte Werbeagentur für den SPD-Wahlkampf hat deshalb schon die Segel gestrichen, unter anderem weil klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für eine Kampagne aus einem Guss nicht erkennbar sind. Wie auch, wenn immer noch nicht definitiv klar ist, ob der andere, Sigmar Gabriel, antreten will.

Dabei würde der Parteichef – im Guten wie im Schlechten – wohl den besten Merkel-Kontrahenten abgeben. Er wäre ein Widersacher, der tatsächlich Unterschiede zwischen den Volksparteien und ihrem Spitzenpersonal deutlich machen könnte, die in den Jahren der großen Koalition bisweilen wie eine christsozialdemokratische Einheitspartei unter Merkel’scher Sitzungsleitung gewirkt hat. Und Gabriel wäre innenpolitisch deutlich versierter als der Europapolitiker Schulz. Gabriel gegen Merkel – das wäre Leidenschaft gegen Nüchternheit, Unberechenbarkeit gegen Ruhe, auspowern gegen aussitzen. Es wäre: eine echte Wahl.

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Genau die wünschen sich, glaubt man Umfragen, die Bürger. Außerdem sehr erwünscht: Unterscheidbarkeit. „Immer dann, wenn Wähler das Gefühl haben, die da oben sind alle gleich, werden Populisten gewählt“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner.

Kein Kuschelwahlkampf mehr

Auch die CDU-Frontleute schwören ihre Basis auf einen harten Lager-Wahlkampf ein. Abgrenzung gegen die SPD ist angesagt, vor allem auf den Feldern Wirtschaft, Finanzen und Sicherheit. Ein „Kuschelwahlkampf“ wie vor vier Jahren, als die Kanzlerin noch unanfechtbar schien, sei nicht mehr vorstellbar. Dankbar sind die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus für erste Versuche zwischen SPD, Grünen und Linkspartei, Schnittmengen für eine Koalition im Bund zu suchen. „Einen Rote-Socken-Wahlkampf wird es zwar nicht geben“, heißt es in CDU-Parteikreisen. Aber die Wähler müssten deutlich vor dem linken Lager gewarnt werden, und das immer wieder.

„Es hilft im Wahlkampf immer, zu wissen, wo der Gegner steht“, sagt Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, ein Anhänger klarer Botschaften. „Es geht nicht mehr um asymmetrische Demobilisierung, sondern um asymmetrische Mobilisierung“, so der CDU-Hoffnungsträger – ein deutlicher Bruch mit der einstigen Erfolgsformel Merkels, in erster Linie Wähler aus dem gegnerischen Lager von der Urne fernzuhalten.

Nach rechts wollen sich die Unionsleute beim Straßenwahlkampf wohl ebenso deutlich abgrenzen, gegen die AfD. Mit deutlichen Ansagen etwa gegen die Vollverschleierung von Frauen und zu Pflichten für Zuwanderer sollen die CDU-Leute bei konservativen Wählern punkten.

Die Mehrheit der Deutschen hofft einer Umfrage zufolge auf eine weitere Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel. Nach Monaten des Abwartens wird sie sich am Sonntag voraussichtlich zur Frage einer Kandidatur erklären.

Wichtiger aber noch wäre, dass es auch inhaltlich Alternativen gibt. Die Sozialdemokraten haben dafür ein Impulspapier vorgelegt, 72 Seiten lang. Dutzende Genossen haben in den vergangenen Monaten an der Grundlage für das kommende Wahlprogramm mitgeschrieben. Fortschritt. Gerechtigkeit. Solidarität. Zusammenhalt. Die Parteiprosa strotzt vor sozialdemokratischen Lieblingsvokabeln. Sonderlich aufregend oder spannend ist der Text dennoch nicht.

Auch die CDU hat einen Leitantrag verabschiedet, doch ihr Programm heißt eigentlich: Merkel. Kurt Biedenkopf sagt dazu: „Wenn jemand aus der Partei oder Fraktion meint, die CDU sei blutleer, kann er oder sie doch inhaltliche Vorschläge machen.“

Haben Bürger überhaupt eine Wahl?

Aber wer macht das? Starke CDU-Ministerpräsidenten, wie einst Biedenkopf in Sachsen, gibt es kaum noch. CSU-Chef Horst Seehofer hat sich im Kleinkrieg mit Merkel aufgerieben, Als Kohl zum letzten Mal antrat, sorgte wenigstens Wolfgang Schäuble für begeisternde programmatische Reden im Bundestag. Knapp 20 Jahre später könnte dies immer noch: nur Schäuble. Der Rest der Partei wirkt wie verstummt. Dabei gibt es ja Vorlagen, wie Deutschlands Parteien inhaltlich wieder streiten könnten. Die fünf Wirtschaftsweisen haben Anfang November in ihrem Jahresgutachten „Zeit für Reformen“ angemahnt. Deutschland müsse sich dringend bewegen beim Renteneintrittsalter, es brauche eine niedrigere Erbschaftsteuer ohne Ausnahmen, eine Bürgerpauschale in der Krankenversicherung. Auch der Arbeitsmarkt müsse flexibler werden und der Staat mehr Geld in Bildung pumpen.

Lars Feld, Ökonomieprofessor in Freiburg und einer der Sachverständigen, sagt: „Das meiste, was die große Koalition angepackt hat, ging wirtschaftspolitisch in die falsche Richtung. Diese Wahlperiode steht im Wesentlichen für verlorene Jahre.“

Die Liste der Versäumnisse ist laut Feld lang: Rentenpaket, Mindestlohn, Energiewende. Bei Vorhaben wie dem Länderfinanzausgleich und der Erbschaftsteuer brachte Schwarz-Rot trotz satter Mehrheiten nur die Kraft für den kleinsten gemeinsamen Nenner auf. Vor allem die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen sieht Ökonom Feld kritisch: „Der Bund wird mächtiger, Kompetenzen verschwimmen, Anreize verschwinden.“ Was sich die Koalitionäre auf die Fahnen schreiben könnten, etwa den konsolidierten Staatshaushalt und den Verzicht auf Steuererhöhungen, hätten sie zudem vor allem den Nullzinsen zu verdanken. „Wirtschafts- und finanzpolitisch“, urteilt Feld, „müssen wir uns keine Neuauflage der großen Koalition wünschen.“

Mit Blockflöten und Weihnachtsliedern will die Bundeskanzlerin "ganz ehrlich" den Verlust von "einem Stück Heimat" aufhalten. Über solchen Realitätsverlust müssen selbst ihre Parteifreunde lachen.
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Ein Beispiel für den Stillstand: In ihrem Gutachten fordern die Sachverständigen die Rente mit 71 Jahren. Die Altersversorgung müsse an die steigende Lebenserwartung gekoppelt werden. Je älter die Menschen also werden, desto länger sollen sie arbeiten – so die Logik. Aber selbst die CDU will etwa von einem höheren Renteneintrittsalter partout nichts wissen. In einem Leitantrag für den Parteitag im Dezember wird lediglich über die „Chance zur freiwilligen Weiterarbeit“ gesprochen. Das Rentensystem solle in die Lage versetzt werden, „die Herausforderungen der demografischen Entwicklung zu meistern, ohne dass die Beiträge in unzumutbarem Maße steigen“. Wie das genau funktionieren soll, lässt die Partei offen.

„Der richtige Zeitpunkt ist jetzt, um die Reformen einzuleiten“, warb der Sachverständigenrat daher bei seinem letzten Treffen mit der Kanzlerin. Deren Reaktion fiel kühl aus. „Für uns ist immer Zeit für Reformen“, sagte Merkel – und fügte hinzu, bei der Beurteilung von Reformen gebe es Differenzen zwischen Wissenschaft und Politik. „Ich glaube, die Bundesregierung fühlt und denkt so, dass sie permanent Reformen macht“, sagte Merkel. Kurzfassung: Die Kanzlerin hält die Kritik für unfair, die Vorschläge der Ökonomen für realitätsfern.

Der genervte Unterton war unüberhörbar. „Aus Sicht der Regierung sind Gesetze offenbar schon per se Reformen“, sagt Feld mit einem Anflug von Sarkasmus. Solange die beiden großen deutschen Parteien in diesem Punkt aber einig wirken, heißt das für Wählerinnen und Wähler 2017: Sie haben keine echte Wahl.

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