Christian Lindner ist vieles, aber gewiss kein zögerlicher Typ. Mit einer Ausnahme: Sobald das Gespräch auf ein mögliches Amt für ihn als Bundesminister kommt, eine Regierungsbeteiligung seiner FDP also, windet sich der junge Chefliberale, 38. Dann wägt er jedes Wort, macht Pausen, um schließlich einen bemerkenswerten Satz auszusprechen: „Ich weiß nicht, ob ich ein guter Minister wäre.“
Weil der sonst so selbstbewusste Lindner ahnt, dass man ihm so viel Bescheidenheit kaum abnehmen wird, schiebt er hinterher: „Ich liebe meine Freiheit.“ Und: „In einem Bundeskabinett gebe ich eines auf: meine Freiheit.“
Freiheit, aha. Dass ein Parteichef der Liberalen darüber qua Amt reden muss, ist klar. Aber in diesem Kontext? Und ist Lindner ernsthaft seine ganz persönliche Unabhängigkeit wichtiger als die Möglichkeit, für politische Freiheitsideale im hohen Berliner Regierungsamt zu kämpfen?
Doch Lindners zögerliche Attitüde hat Methode, gerade in diesen Tagen. Beinahe die ganze vergangene Woche wurde landauf, landab, quer durch Sender und Gazetten über Regierungsoptionen der FDP spekuliert, mal war es Rot-Gelb, mal eine Ampelkoalition, mal das Jamaika-Bündnis. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) will seinen Parteifreund Martin Schulz mithilfe der Liberalen ins Kanzleramt hieven – und aus der FDP kam zunächst anscheinend durchaus Unterstützung, etwa von Parteivize Wolfgang Kubicki.
So intensiv wurde die Diskussion, dass Lindner lautstark seinen Parteifreund zum Ende der „Gespensterdebatte“ verdonnern musste – und erinnerte, die FDP wolle in erster Linie Inhalte umsetzen. „Geht das nicht, machen wir Opposition“, stellte er klar.
Keine Umfallerpartei mehr
Der Parteichef hasst die Frage nach dem Regieren, aus mehreren guten Gründen. Auf keinen Fall soll bei den Wählern der Verdacht aufkommen, den ohnehin als Umfallern verschrienen Liberalen ginge es auch unter ihm – und so kurz nach ihrer politischen Nahtoderfahrung 2013 – schon wieder nur um Ministerlimousinen und schicke Büroräume.
Vor allem aber weiß Lindner: Über die Verteilung der Macht zu reden ist der zweite Schritt. Erst muss man stark genug werden, um für die Macht überhaupt infrage zu kommen.
Denn in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo in wenigen Wochen neue Landtage gewählt werden, können die Liberalen zwar auf zweistellige Ergebnisse hoffen. Dort treten mit Kubicki und Lindner selbst starke Spitzenkandidaten an. Im Saarland hingegen, wo ein starker Frontmann fehlte, reichte es erneut nicht, um ins Parlament zu kommen. Und auch im Bund liegt die FDP noch immer bedrohlich nah an der Fünfprozenthürde.
Außerdem ist die Personaldecke der Post-Westerwelle-Ära weiterhin ziemlich dünn. Natürlich, neben Kubicki und Lindner sind Bundestagskandidaten wie der profilierte Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff oder die Hamburger Parteichefin Katja Suding einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Doch schon die amtierende Generalsekretärin Nicola Beer muss sich gar auf Parteitagen mitunter noch Journalisten vorstellen.
Ein-Mann-Partei FDP
Würden die Liberalen ab Herbst wieder mitregieren, hätten sie wohl Schwierigkeiten, eine schlagkräftige Truppe zusammenzustellen. Denn in Wirklichkeit ist die FDP vor allem die Partei des einen Mannes: Christian Lindner.
Der weiß darum, auch das erklärt seine Zurückhaltung. Ihm ist zudem durchaus bewusst, wie viele in der Partei ebenfalls von dieser Schwäche wissen – Frank Schäffler etwa, Finanz- und Wirtschaftspolitiker sowie lautstarker Kritiker der Euro-Rettungspolitik. Schäffler hält seine Partei ganz offen nur für bedingt regierungsfähig. „Wir haben keine Bundestagsfraktion und keine Mitarbeiter“, warnt er. „Wir könnten Koalitionsverhandlungen gar nicht stemmen.“
Euro-Rebell Schäffler ist eher ein Außenseiter in seiner Partei. Doch sein Urteil teilen einige. Und man muss nur nach Nordrhein-Westfalen schauen, um zu verstehen, wie dünn die Luft hinter Lindner wird.
Dort tritt der Parteichef im Mai zwar als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl an. Danach will er auch die Regierungsbildung in Düsseldorf kritisch begleiten. Aber taugen die Wahlergebnisse, könnte es durchaus zu einer sozialliberalen Koalition kommen. Dann dürften die Liberalen den Vize-Ministerpräsidenten stellen. Lindner selbst stünde für das hohe Amt nicht zur Verfügung, Düsseldorf ist für ihn nur Sprungbrett nach Berlin, in der Landespolitik sieht er keineswegs seine Zukunft.
Seinen Nachfolger im Land kennt er längst, er hat ihn ausgeguckt: Joachim Stamp, unter anderem Stadtrat seiner Heimatstadt Bonn.
Dumm nur, dass sonst so gut wie niemand Stamp kennt – einen sympathischen Mann, der seinem lokalen Karnevalsverein sehr verbunden ist. „Aus meiner kommunalpolitischen Erfahrung weiß ich, dass man manchmal Konsens organisieren muss, um essenzielle Dinge durchzusetzen“, sagt Stamp.
Das klingt nett und bodenständig, etwa so, als wenn SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz über seine Heimatstadt Würselen spricht. Nur ist der irgendwann nach Brüssel gegangen. Stamp hingegen ist immer noch in der Provinz. Und neben dem politischen Durchstarter Lindner sieht er auch nach Provinz aus.
Zu viel Lindner
Die FPD-Fixierung auf Lindner birgt also Risiken – auch der Überbeanspruchung. Während der Parteichef in NRW womöglich über eine Regierung verhandeln könnte, der er nicht angehören würde, müsste er zugleich im Rest der Republik darum kämpfen, dass es seine Partei wieder in den Bundestag schafft. Ziemlich viele Baustellen.
Lindner in NRW, Lindner im Bund – die Fokussierung auf einen Frontmann stößt intern deshalb auf Missmut. „Wer sich einst über Guido Westerwelle geärgert hat, weil der die Partei als Ein-Mann-Schau begriff, kann heute sehen, dass das noch viel extremer geht“, sagt ein ehemals führender Liberaler.
Außerdem erhebt gerade die alte liberale Garde gerne den Vorwurf, Lindner habe die Partei in die programmatische Beliebigkeit geführt. „Geschäftsführer von Industriekammern fragen mich, welche wirtschaftspolitischen Schwerpunkte wir eigentlich setzen wollen“, sagt einer von ihnen. „Es fehlt uns ein Kopf, der für Wirtschaftspolitik steht.“
Lindner weist derlei Kritik lässig ab, dann wieder ganz wortgewandt. Ans Scheitern, betont er, denke er schon aus Prinzip nicht.
Was aber, wenn sich das nach der Wahl nicht mehr vermeiden lässt? Sollte die FDP im September wieder nicht in den Bundestag einziehen, würde die Partei weiter gerupft. Der parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung drohte dann sogar die Abwicklung, einfach weil die finanziellen Mittel fehlten.
Was er im Falle einer Niederlage bei der Bundestagswahl machen würde, dazu traut sich Lindner eine klare Aussage: seine politische Karriere beenden.
Dann könnte er ja auch seine Freiheit behalten.