Bundestagswahlkampf Müde Merkel?

Es läuft bei Martin Schulz. In den Umfragen hat die SPD mächtig aufgeholt und die eigene Partei steht hinter ihm. Und Kanzlerin Merkel? Die schaltet nur verhalten auf Wahlkampfmodus. Zu verhalten, glauben Kritiker.

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Ist sie zu müde für den Wahlkampf oder einfach nur authentisch? Angela Merkel hält sich im Wahlkampf bisher zurück. Quelle: dpa

Düsseldorf Martin Schulz ist auch dann da, wenn er nicht da ist. Deutlich wurde das zuletzt beim politischen Aschermittwoch. Hier war Schulz die Hauptperson. Und das nicht nur im SPD-Festzelt in Vilshofen. Er trete an, um „Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden“, rief er den 5000 Zuhörern dort zu.

Doch auch bei der Union war Schulz allgegenwärtig. Rund 600 Kilometer weiter nördlich in der Kleinstadt Demmin trat Kanzlerin Angela Merkel auf. Im örtlichen Tennis- und Squash-Center äußerte sie sich zur Schulz-Forderung nach einer Korrektur der Agenda 2010. Sie lobte den früheren Kanzler Gerhard Schröder und kritisierte damit indirekt den Vorstoß von Martin Schulz. Nicht ein einziges Mal allerdings nannte Merkel ihren Herausforderer beim Namen. Scharfe Attacken klingen anders.

Die Kanzlerin bleibt sachlich und weitgehend emotionslos. Sie gibt sich weiterhin als die nüchterne Naturwissenschaftlerin. Ist das politisches Kalkül oder kann sie gar nicht anders?

In der Union kursieren zwei Optionen für den Wahlkampf. Option eins: Ruhe bewahren. „Ruhig und analytisch ist mir lieber als nervös und unsortiert“, sagt Merkels Parteikollege Wolfgang Bosbach. Die Union müsse nicht nur durch Inhalte überzeugen, sondern auch durch die politische Körpersprache deutlich machen, dass sie die Wahl gewinnen wolle.

Option zwei hingegen wäre: in die Offensive gehen. Das Umfrage-Hoch der Sozialdemokraten sorgt bei manch einem in der Union bereits für Nervosität. „Alle, die gesagt haben, es sei ein Strohfeuer, sind ein Stück widerlegt“, sagte der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) der „Süddeutschen Zeitung“. Noch deutlicher wird CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Er hat seine Partei aufgefordert, schon jetzt stärker in den Wahlkampfmodus zu kommen. Die CDU müsse lernen, wieder anders Wahlkampf zu führen, sagte parlamentarische Staatssekretär. Der Kampf um die Wähler werde in diesem Jahr so emotional, wie lange nicht, prophezeit er. Und auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) forderte bereits, dass die CDU in die Offensive geht. Nur sieht es bisher nicht danach aus, dass Merkel da mitspielt.

Dabei wäre sie gut beraten, nun die Konfrontation zu suchen, meint der Politikberater Michael Spreng. Der frühere Wahlkampfmanager von Edmund Stoiber (CSU), hat Angela Merkels Namenskürzel AM in MM umgewandelt: Müde Merkel. Sie wirke matt und schicksalsergeben. „Wieder antreten und nicht kämpfen ¬ das geht gar nicht“, schreibt er in seinem Blog „Sprengsatz“. Wolle sie ihre Kanzlerschaft noch verteidigen, müsse sie emotionaler werden, ihre Politik besser erklären und Kampfeswillen ausstrahlen. So wie Schulz, der auf Emotionen setzt.


Leidenschaftlich sein oder kühlen Kopf bewahren?

Also weg vom nüchternen analytischen Stil hin zu leidenschaftlichen, mitunter persönlichen Attacken? Genau das sei der falsche Weg, meint der Politologe Uwe Jun, von der Universität Trier. Er meint, Merkel bleibe sich nur selbst treu. „Authentizität hat in der Politik an Relevanz gewonnen und Merkel bleibt authentisch. Sie hat nie polarisiert, sie hat nie Frontalangriffe gewählt und dabei bleibt sie vermutlich auch jetzt“, so Jun. Ein schneller hektischer Kurswechsel angesichts des neuen Konkurrenten passe nicht zur Kanzlerin.

Ähnlich sieht das der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. Merkels zurückhaltende Art sei jetzt genau die richtige Taktik. „Es wäre unglaubwürdig, wenn sie auf die Pauke hauen würde. Den Seehofer zu spielen, das passt nicht zu ihr.“ Trotzdem müsse sich Merkel im Vergleich zu den Wahlen in den Jahren 2009 und 2013 umstellen. Ein Wahlkampf nach dem Motto „Sie kennen mich ja“ funktioniere dieses Mal nicht, zumal Merkel auch in den eigenen Reihen um Unterstützung werben müsse. „Das wird sicherlich ihr schwerster Wahlgang“, meint Alemann.

Ihr Amtsbonus sei dabei Vor- und Nachteil zugleich. „Es hilft ihr natürlich, dass sie in der medialen Öffentlichkeit präsent ist. Andererseits haben wir sie auch schon lange gesehen – das steht der Lust auf etwas Neues entgegen“, sagt Politologe Jun.

Merkel selbst bleibt gelassen und inhaltlich unkonkret. Sie kündigte zwar bereits eine „Agenda 2025“ an. Sie wolle mehr für jüngere Familien tun, außerdem solle es Steuerentlastungen für Familien geben. Doch Details nannte sie bisher nicht. Berichten zu Folge will die CDU ihr Wahlprogramm erst im Juni vorlegen. Gut möglich, dass der Wahlkampf bis dahin inhaltlich dünn bleibt. „Sie sollte häufiger konkret werden, sie versteckt sich noch zu oft hinter Allgemeinplätzen - das gilt aber genauso für Schulz“, meint Politikwissenschaftler Alemann.

Der SPD-Herausforderer wiederum, könnte von seinen vagen Äußerungen profitieren. „ Diese Lust auf etwas Neues kann er nur aufrechterhalten, indem er die unterschiedlichen Erwartungen bündelt. Das ist keine leichte Aufgabe. Bisher macht er das, indem er unter anderen in seinen inhaltlichen Aussagen eher unkonkret und vage bleibt“, sagt Politologe Jun.

Doch es ist umstritten, ob diese Taktik bis zur Bundestagswahl am 24. September aufgeht. Wahlkampfauftritte im Stundenrhythmus und emotionale Kampfansagen nutzen sich irgendwann ab. Und knapp sieben Monate bis zur Bundestagswahl sind eine lange Zeit.

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