Bundeswehr Auf der Suche nach Helden

Wegen rechtsextremer Umtriebe in der Bundeswehr will Verteidigungsministerin von der Leyen Klarheit schaffen im Umgang mit der Wehrmacht. Doch worauf dürfen deutsche Soldaten in Mitten dieser Debatte noch stolz sein?

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„Einigkeit Recht Freiheit“ steht auf dem Koppel eines Bundeswehr-Rekruten. Quelle: dpa

Berlin Es waren wilde Zeiten in der Bundeswehr. Am 26. April wird der Oberleutnant Franco A. verhaftet. Terrorverdacht. Der damals 28-Jährige soll als Flüchtling getarnt einen Anschlag geplant haben. Die Rede ist bald von einem ganzen rechtsextremen Netzwerk in der Truppe. Der Skandal löst eine Debatte aus über Hakenkreuze, Landser-Bilder und Wehrmachtsfotos. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gerät unter Druck wie nie zuvor in ihrer Amtszeit - und sie zieht deshalb alle Register. Sie fliegt die Hauptstadtpresse in die Kaserne von Franco A. nach Frankreich. Sie lässt Liegenschaften nach Wehrmachtsandenken durchkämmen. Und sie lässt das Traditionsverständnis der Truppe überarbeiten.

Denn der Traditionserlass der Bundeswehr, der die Traditionspflege in der Bundeswehr regelt und Richtlinien beim Umgang mit der eigenen schwierigen Vergangenheit gibt, ist bereits 35 Jahre alt. Seit 1982 ist die Bundeswehr eine andere geworden, viel ist passiert: Das Ende des Kalten Kriegs. Bündnisverpflichtungen in der Nato. Die Aussetzung der Wehrpflicht. Die Bundeswehr als Armee im weltweiten Einsatz.

Die Truppe sucht Traditionen und ringt seit jeher gleichzeitig mit ihrem geschichtlichen Erbe. In einem aktuellen Arbeitspapier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik heißt es, weil sich keine der bisherigen Traditionslinien auf explizite Kampfhandlungen bezögen, stellten Soldaten immer wieder Bezüge zur Wehrmacht her - und blendeten damit verbundene Verbrechen aus. Das Papier warnt vor einem „apolitischen Kämpfertypus“, der sich vor allem im Heer ausbilde.

Auf wen und was dürfen Soldaten heute stolz sein? Welche Kriegsbilder dürfen sie an die Wand hängen, welche Devotionalien sammeln? „Bundeswehrsoldaten sollen nicht nur kämpfen können, sondern auch wissen wofür - das ist unsere freiheitlich-demokratische Ordnung“, sagt der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels. „Traditionspflege kann helfen, dass nicht falsche Vorbilder in die Köpfe kommen.“ Sonst suchten die Soldaten ihre Vorbilder woanders. „Es gibt viele leere Kasernenflure, wo gar nichts ist“, sagt der SPD-Politiker.

Der Fall Franco A. führte vor Augen, wie groß die Verunsicherung in der Truppe ist. Ein Bild von Altkanzler Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform wurde im Flur eines Wohnheims der Hamburger Bundeswehr-Uni im Zuge des Skandals in vorauseilendem Gehorsam zunächst abgehängt, dann nach ein paar Wochen wieder aufgehängt - mit einer Erläuterung, dass Schmidt bereits als junger Reserveoffizier durch Kritik an der NS-Führung auffiel.

Von der Leyen hatte erklärt, den Soldaten mit der Überarbeitung des Erlasses „Orientierung und Halt“ geben zu wollen für ihren Dienstalltag und ihre Einsätze. Mehrere Monate und Workshops später liegt nun der Entwurf vor. Kernaussage: Die Bundeswehr muss mehr auf sich selbst stolz sein, ihre Vorbilder in ihrer mehr als 60-jährigen eigenen Geschichte suchen. Wer Orientierung in früheren Zeiten finden will, soll Personen, Geschehnisse, Andenken in den historischen Kontext einordnen - militärische Exzellenz alleine reicht nicht für eine Vorbildfunktion. Weder die Wehrmacht noch die Nationale Volksarmee der DDR könnten Tradition begründen, steht in dem Papier - Einzelfälle ausgenommen, je nach persönlicher Schuld und Verdiensten. Konkrete Vorbilder oder Beispiele nennt der Entwurf nicht.

So mancher Offizier hält die Debatte für unnötig. Bartels findet von der Leyens Vorstoß grundsätzlich richtig. Für Kompaniechefs und Bataillonskommandeure schaffe der neue Entwurf „ein bisschen mehr“ Handlungssicherheit. Er kritisiert aber, der Entwurf sei viel zu legalistisch und abstrakt gehalten, beziehe sich zu sehr auf das Grundgesetz, aber zu wenig auf die Werte darin. Die Rolle Europas oder die Nato spielten gar keine Rolle, sagt Bartels.

Der Linken-Politiker Alexander Neu sieht eine Gleichstellung von Wehrmacht und NVA darin, das sei „völlig inakzeptabel“. Zudem biete der Entwurf weiterhin Schlupflöcher und Interpretationsspielräume im Umgang mit der Wehrmacht. „Ein klarer Schnitt sieht anders aus.“ Die Frage der Umbenennung von Kasernen wird aus seiner Sicht auf Kommunen und örtliche Kommandeure abgewälzt. Teils sind nämlich Kasernen immer noch nach Wehrmachtsoffizieren wie dem Piloten aus Hitlers Luftwaffe, Helmut Lent, benannt. Der Entwurf verweist bei Fragen der Namensgebung auf die Dienstvorschrift.

Man befinde sich derzeit noch „in einer breiten Beteiligungsphase“, heißt es nur aus dem Ministerium. Die Gremien der Truppe feilen jetzt an dem Entwurf. Wann er beschlossen wird, ist unklar - auch, inwieweit er den Soldaten mehr Sicherheit im Selbstverständnis geben wird. Sicher ist: Rechtsgesinnte Soldaten wie Franco A. dürften sich davon wenig beeindrucken lassen. Aber wegen der von ihm ausgelösten Affäre hat sich die Bundeswehr zumindest intensiv mit ihren Traditionen beschäftigt. Auch wenn die Gefahr offenbar gar nicht so groß war wie damals angenommen. Franco A. wurde gerade aus der Untersuchungshaft entlassen - laut Bundesgerichtshof gibt es keinen ausreichenden Terrorverdacht mehr.

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