Zu den Neuigkeiten des Weißbuches zählt die Absicht, mit Hilfe von EU-Ausländern eigene Nachwuchssorgen zu überwinden. Sehr konkret ist die Idee nicht, umso mehr jedoch der Widerspruch zum Beispiel seitens des Deutschen Bundeswehrverbandes. "Die deutsche Staatsangehörigkeit ist für uns elementar und muss es bleiben - wegen des besonderen gegenseitigen Treueverhältnisses von Staat und Soldat und der gesetzlichen Verankerung", kommentiert Verbandschef André Wüstner.
Eine weitere Neuigkeit: Das Weißbuch will auch Bundeswehreinsätzen im Innern erleichtern. Soldaten sollen bei großangelegten Terroranschlägen die Polizei unterstützen. Dazu soll es gemeinsame Übungen geben. Bisher galt dies vor allem für Katastrophenfälle wie zum Beispiel Flugzeugunglücke. Die SPD ist damit überhaupt nicht glücklich. Man wird sehen müssen, wie sich das Thema entwickelt.
Ein origineller Gedanke war es, dass sich im Zuge der Weißbuchentstehung nationale und internationale Expertinnen und Experten in die Diskussion über die Zukunft deutscher Sicherheitspolitik einbringen konnten. In zehn Workshops konnten sie ihre Erwartungen an das Weißbuch benennen. Auch interessierte Bürgerinnen und Bürger konnten sich beteiligen.
Dieser inklusive Ansatz erzeugte eine gewisse operative Hektik, die aber letztlich nur eine erschreckende konzeptionelle Windstille übertünchte. Denkanstöße und Ideen Dritter ersetzen eben nicht die Hausaufgaben, die man im BMVg selbst machen muss. Man hätte sich gewünscht, deren Ergebnisse hätten in den Diskussionsprozess eingebunden werden können.
Insgesamt bleibt das Weißbuch in entscheidenden Punkten im Ungefähren, leider auch bei den Themen „Hybride Kriegsführung“ und „Resilienz“, obwohl hier entscheidende Herausforderungen künftiger Prosperität und Sicherheit adressiert werden. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen betont, dass mit Blick auf eine grundlegend geänderte Sicherheitsarchitektur Europas auf eine "ungewöhnliche Orchestrierung vielfältiger Elemente einer hybriden Kriegsführung", kompetent reagiert können werden muss. Hierfür ist eine relevante politische Strategie zu entwickeln.
Eine Schlüsselaufgabe, bei der das Weißbuch passt. Es reicht eben nicht aus, darauf hinzuweisen, dass Deutschland seine Infrastruktur im Rahmen des Ausbaus der zivilen Verteidigung verstärken müsse, insbesondere mit Blick auf die rapide wachsende Gefährdung durch Cyber-Angriffe. Doch was genau da geschehen soll - da bleibt das Weißbuch reichlich unkonkret.
Deswegen muss auch nicht verwundern, dass die deutschen Medien mit dem Begriff „Resilienz“ – es geht um die Fähigkeit, neuen Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus, aber auch durch Cyber-Angriffe auf Kritische Infrastrukturen, Medien oder die Kommunikationssysteme unserer komplex verfassten Gesellschaft Stand zu halten – nichts richtiges anfangen können. Dass die Tiefendimension dieses Begriffs nicht verständlich ausbuchstabiert wird, hat einen einfachen Grund: Die Ministerin und ihre konzeptionellen Ratgeber sind über weite Strecken noch nicht so weit.
Und weil sie nur eine ungefähre Vorstellung haben, vermeiden sie es, allzu offen auszusprechen, was die neuen, aber nur schwer fassbaren Bedrohungen der Bevölkerung jetzt und erst recht in Zukunft zumuten werden.
Anders als einst die Horden des Dschingis Khan oder die Panzerarmeen des 20. Jahrhunderts lassen sich diese Bedrohungen der nahen Zukunft nicht einfach abschrecken oder zur Not abwehren. Viele solcher Aggressionen werden Erfolg haben. Wir erleben das ja bereits bei den zunehmenden Terroranschlägen in europäischen Hauptstätten, aber auch den Cyberattacken auf Politik und Wirtschaft, Gesellschaft und Streitkräfte. Sie alle wer-den sich darauf einstellen müssen, diese Aggressionen auszuhalten und schnellst möglichst die eigene Leistungsfähigkeit wiederherzustellen.