Wenn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel seine Pläne offenbart, wie es mit der Energiewende in Deutschland weitergehen soll, dann machen sich auch die Chefs der Energieriesen fleißig Notizen. RWE-Vize-Vorstand Rolf Schmitz etwa. Der zückte während Gabriel Rede auf der Handelsblatt-Tagung zum Thema Energiewirtschaft in Berlin den Stift und notierte sich genau, wie sich der Herr Minister den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien vorstellt, wie es mit der Kohlverstromung in Deutschland weitergehen soll und welche Rolle die Politik zukünftig bei der Entwicklung des Strommarktes spielt.
Klar, Gabriel ist voll des Lobes - etwas anderes war nicht zu erwarten. Von der Energiewende als Teil der Modernisierung unserer Volkswirtschaft spricht Gabriel, von einer Energiewende, die uns auch international positiv zu Gesicht steht, um die uns andere beneiden und sogar auffordern, unsere Erfahrungen - etwa bei der Digitalisierung der Stromnetze - international zu vermarkten.
Aus diesen Gründen schwitzt die Erde
Die Anzahl der Menschen auf der Erde wächst jedes Jahr um etwa 70 bis 80 Millionen Personen. Das entspricht fast der Bevölkerungsgröße Deutschlands. Bis 2050 soll laut Schätzungen der Vereinten Nationen die Weltbevölkerung auf knapp 10 Milliarden Menschen angewachsen sein. Dass die Kinder nicht hierzulande oder bei unseren europäischen Nachbarn geboren werden, ist hinreichend bekannt. Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern in Afrika und Asien wächst die Bevölkerungszahl. Dadurch wächst auch der Bedarf an Rohstoffen, Energie, Wasser und Nahrung.
Trotz Kyoto-Protokoll aus dem Jahr 1992 hat sich der CO2-Ausstoß kaum verringert. Lediglich als 2009 aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise viele Industriestätten weniger produzierten, sank der Wert der Kohlendioxidemission auf 784 Millionen Tonnen. Schon ein Jahr später lag der Wert wieder bei 819 Millionen Tonnen. Dabei entsteht ein Großteil der Emissionen in nur wenigen Ländern wie China, den USA und der EU.
Während Carsharing und der öffentliche Nahverkehr in Ländern wie Deutschland in Zeiten hoher Benzinkosten viele Anhänger findet, ist der weltweite Trend eindeutig ein anderer. Immer mehr PKW fahren über den Globus. 2010 wurde erstmals die Eine-Milliarde-Marke geknackt. Besonders viele Autos pro Einwohner werden in Monaco und den USA gefahren.
Der seit Mai 2012 stetig ansteigende Ölpreis hat dafür gesorgt, dass Kohle wieder an Attraktivität gewonnen hat. Die Wiederauferstehung der Kohle ist für die Umwelt eine Katstrophe. Laut BUND sind Kohlekraftwerke mehr als doppelt so klimaschädlich wie moderne Gaskraftwerke. Die großen Dampfwolken aus den Kühltürmen der Kraftwerke machen ein anderes Problem deutlich: Mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie geht meist als ungenutzte Wärme verloren.
Das Handout der Umweltschutzorganisation WWF zeigt die illegale Abholzung eines Waldgebietes in Sumatra (Indonesien). Jährlich gehen knapp 5,6 Millionen Hektar Wald verloren. Die fortschreitende Abholzung von Regenwäldern trägt entsprechend mit zur globalen Erderwärmung bei. Denn die Wälder speichern Kohlendioxid.
Rinder sind wahre CO2-Schleudern. Die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch in Brasilien erzeugt genauso viel klimaschädliches Kohlendioxid wie eine 1.600 Kilometer lange Autofahrt. In diese Rechnung fließen mehrere Faktoren ein. Zum einen können auf dem für die Rinder genutzten Weideland keine Wälder mehr wachsen. Zum anderen scheiden Rinder das klimaschädliche Gas Methan aus. Laut WWF sind in Deutschland fast 70 Prozent der direkten Treibhausemissionen auf die Ernährung mit tierischen Produkten zurückzuführen.
Nicht nur Unmengen an Verpackungsmüll produzieren die Deutschen. Wir schmeißen auch jede Menge Lebensmittel weg, pro Kopf etwa 100 Kilogramm pro Jahr. Auch diese Verschwendung wirkt sich massiv negativ auf das Klima aus.
Flugzeuge stoßen CO2, Stickoide, Wasserdampf, Ruß, Sulfat und andere Partikel aus und verpesten so die Umwelt. Die größte Klimawirkung hat laut atmosfair.de das reine CO2, das immer beim Verbrennen von Benzin oder Kerosin entsteht. Außerdem die Bildung von Schleierwolken und Kondensstreifen, der Aufbau vom Treibhausgas Ozon in einem sensiblen atmosphärischen Stockwerk sowie der Abbau von Methan.
Auf dem Papier sieht alles gut aus: Schon mehr als 33 Prozent beträgt der Anteil der grünen Energie mittlerweile in Deutschland. In zehn Jahren sollen es mehr als 40 Prozent sein. Das wird leicht zu schaffen sein. Es fragt sich nur, zu welchen Kosten und auf welche Kosten. Bisher ist der Ausbau in Ökostrom vor allem deshalb so schnell vorangegangen, weil der Staat über das erneuerbaren Energiegesetz (EEG) kräftig nachgeholfen hat. Mit der Folge, dass nicht nur die Großhandelspreise für Strom kräftig gesunken sind, sondern auch, dass mehr grüner Strom produziert wird, als das unsere Stromnetze verarbeiten können.
Zur recht monierte Gabriel viel zu hohe Redispatchkosten von mittlerweile eine Milliarde Euro. Und er warnte davor, dass diese in diesem Jahr sogar noch um weitere 500 Millionen Euro aus 1,5 Milliarden Euro ansteigen könnten, wenn der Ausbau der Strom- und Verteilnetze nicht schneller voran ginge. Denn ein Hauptproblem der Energiewende: Der Infrastrukturausbau der Stromnetze kommt nicht mit, mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien.
Die Atomklagen der Energiekonzerne
E.On, RWE und Vattenfall haben gegen den 2011 beschlossenen beschleunigten Atomausstieg vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Das Gericht will noch 2015 entscheiden. Den Konzernen geht es nicht darum, den bis Ende 2022 geplanten Ausstieg rückgängig zu machen. Sie fordern jedoch Schadenersatz, da die Bundesregierung wenige Monate vor der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima die Laufzeiten der Meiler noch verlängert hatte. Sollte das Verfassungsgericht den Unternehmen Recht geben, müssten diese den Schadenersatz in weiteren Verfahren erstreiten. Eon fordert über acht Milliarden Euro. RWE hat keine Zahlen genannt, die Analysten der Deutschen Bank gehen von sechs Milliarden Euro aus. Vattenfall will 4,7 Milliarden Euro und klagt zudem vor einem Schiedsgericht in den USA.
E.On, RWE und EnBW klagen gegen Bund und Länder wegen des nach der Atomkatastrophe von Fukushima verhängten dreimonatigen Betriebsverbots für die sieben ältesten der damals 17 deutschen AKWs plus dem damals geschlossenen AKW Krümmel. Das Moratorium lief von März bis Juni 2011 und mündete schließlich im August im endgültigen Ausstiegsbeschluss. Ursprünglich hatte lediglich RWE geklagt. Nachdem der Energieriese vor Gericht Recht bekam, zogen Eon und EnBW nach. Eon klagt auf Schadenersatz in Höhe von 380 Millionen Euro. RWE fordert 235 Millionen Euro, EnBW einen „niedrigen dreistelligen Millionenbetrag“.
E.On, RWE und EnBW klagen auf eine Befreiung und Rückzahlung der 2011 eingeführten Brennelementesteuer. Diese wird noch bis 2016 erhoben. Eon hat nach eigenen Angaben 2,3 Milliarden Euro an den Bund gezahlt, RWE 1,23 Milliarden Euro und EnBW 1,1 Milliarden Euro. Die Verfahren sind vor dem Bundesverfassungsgericht und der Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig. Der Generalanwalt des EuGH hält die Steuer jedoch mit europäischem Recht vereinbar. Seine Einschätzung ist für das Gericht aber nicht bindend.
E.On hat im Oktober 2014 wegen der im Atomgesetz vorgesehenen standortnahen Zwischenlagerung wieder aufbereiteter Atomabfälle, die aus dem Ausland zurückgeholt werden, geklagt. Die Klage richtet sich gegen die Länder Niedersachsen und Bayern sowie den Bund. Vattenfall hat im selben Zusammenhang gegen Schleswig-Holstein und den Bund geklagt. Auch RWE hat Klage eingereicht. Es geht um Mehrkosten für die Betreiber, nachdem es keine Transporte dieser Abfälle mehr in das Lager nach Gorleben geben soll. Die Konzerne halten Gorleben jedoch weiter für den richtigen Standort.
Gabriel: „Der Staat steuert die Menge, der Markt den Preis“
Planbarer und berechenbarer soll die Energiewende nun werden, verspricht Gabriel. Der Welpenschutz für grüne Stromerzeuger sei vorbei, sie seien zu kräftigen Jagdhunden geworden, die keine staatliche Förderung mehr benötigten. Sie müssten sich nun am Markt bewähren und deshalb gebe es nun für Sonnen- und Windstromanlagen Ausschreibungen. „Der Staat steuert die Menge, der Markt den Preis“, sagte Gabriel. Ob sich dieses Modell in Deutschland bewährt und der Ausbau der erneuerbaren damit weiter vorangetrieben wird, das muss sich erst noch zeigen.
Kein Masterplan für den Kohleausstieg
Auch für die großen Energieversorger hatte Gabriel ein offenes Ohr. Er sprach von Brüchen, kritisierte gar indirekt Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür, nach dem Atomunfall in Japan, von heute auf morgen den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen zu haben.
Nach dem Streit um den Ausstieg aus der Atomenergie, bei dem letztlich die Bundesregierung im Herbst 2015 eine Kommission zur Schlichtung eingesetzt hat, soll sich beim Aufstieg aus der Kohlverstromung nicht wiederholen, sagt Gabriel. Die Atom-Kommission soll eine Lösung dafür finden, wie denn nun der Abriss der Atomkraftwerke und die Endlagerung des radioaktiven Mülls finanziert werden können.
Gabriel: „Ich halte nichts von einem Masterplan für den Kohleausstieg“
Einem Masterplan für den Kohleausstieg erklärte Gabriel heute eine Absage. Es sollten Gespräch mit allen Beteiligten stattfinden. Und dann kehrte er doch wieder den SPD-Chef heraus: Das Ende des Braunkohletagebaus etwa in der ostdeutschen Lausitz sei mit ihm nicht zu machen, ohne dass für die ca. 10.000 Beschäftigten dort neue nachhaltige Arbeitsplätze gefunden seien. Eine starke Forderung.
Heute ist es schwer vorstellbar, was dort die fossile Stromerzeugung ersetzen könnte. Klar ist, dass auch der Ausstieg aus der Kohle in Deutschland sehr hohes Streitpotenzial hat. Denn sicher ist auch: Deutschland wird seine Klimaziele, zu denen sich gerade erst wieder auf der Klimakonferenz in Paris Ende vergangenen Jahres, verpflichtet hat, nicht erreichen, ohne aus der fossilen Stromerzeugung auszusteigen. Sicher, auch Verkehr und Landwirtschaft, wie Gabriel betont, müssen mehr zum Klima beitragen. Dennoch werden wir aus dem schnellen Ausstieg aus der Kohlverstromung nicht vorbeikommen.