CDU-Parteitag Merkel balsamiert die Konservativen

Angela Merkel und ihre Partei-Granden pflegen in Essen die leidende konservative Seele der CDU. Doch die Flüchtlingskrisenerzählung der Kanzlerin ist absurd.

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Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Essen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Warum hat Angela Merkel solch eine Rede, wie sie sie am Dienstag auf dem CDU-Bundesparteitag in Essen hielt, nicht schon früher gehalten? Und vor allem: Warum hat sie, die Bundeskanzlerin seit 2005, nicht in den Jahren zuvor das getan und vertreten, worüber sie jetzt sprach? Die AfD gäbe es dann womöglich gar nicht, ebenso wenig wie den Groll weiter Teile ihrer Parteibasis.

Wer weiß, ob die Kanzlerin das selbst weiß.

Viele CDU-Delegierte und –Mitglieder jedenfalls waren spürbar befriedigt durch Merkels Aussagen. Die Kanzlerin kam darin unmissverständlich der kritischen Parteibasis entgegen, die vor allem durch ihre Flüchtlingspolitik verunsichert ist. Sie können vom Essener Parteitag die Hoffnung mitnehmen, dass ihre Parteivorsitzende offenbar doch nicht so taub und unempfindlich gegenüber ihrem Unmut ist, wie sie bislang den Anschein vermittelte. Wer mit der Entwicklung der CDU in den vergangenen Jahren, die vor allem von Konservativen als programmatische Entkernung empfunden wird, unzufrieden ist, wird sich über den veränderten Ton der Kanzlerin und den ganzen Tenor des Parteitags vermutlich freuen: Erleichterte Abschiebungen, ein wehrhafter Staat, keine neue Schulden, und sogar ein erstaunliches Plädoyer gegen die voranschreitende Entwertung von Bildungsabschlüssen.


Was davon politisch umgesetzt wird, ist eine andere Frage. Aber wer fragt danach schon auf einem Parteitag vor dem Bundestagswahlkampf.

Merkel und der Bundesvorstand pflegten schon mit dem Leitantrag die wunden Nerven jener, die die CDU vor allem als konservative Partei für Recht und Ordnung vermissten. „Orientierung in schwierigen Zeiten“ heißt der Antrag, aus dem ein Wahlprogramm werden soll. „Unsere Werte. Unsere Zukunft“ lautet das Motto des Parteitags. Werte und Orientierung – das klingt konservativ. Das beste Ergebnis bei den Wahlen zum stellvertretenden Parteivorsitz erhielt vermutlich nicht zufällig Julia Klöckner nach einer kurzen, aber knackigen Werberede: „Wir sind im besten Sinne konservativ“, sagte sie und dann: „Wenn ein Mann nicht ertragen kann, eine Frau zu sehen, soll er sich die Augen verbinden, aber nicht die Frau verhüllen.“ Die Forderung nach dem Burkaverbot war auch in Merkels Rede von aufbrausendem Jubel quittiert worden.

„Eiserne Lady“ ohne Vision
Angela Merkel Quelle: dpa
Angela Merkel mit Norbert Röttgen Quelle: dapd
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Angela Merkel Quelle: REUTERS
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Angela Merkel Quelle: AP


Merkels Rede war beachtlich. Nicht rhetorisch, aber doch, was die Botschaft angeht: Sie war das bisher deutlichste Signal der Kanzlerin, dass sie den Unmut der Basis und die Warnschüsse der verlorenen Landtagswahlen vernommen hat.

Schon in den ersten Sätzen verkündete Merkel, dass sich „eine Situation wie 2015“ nicht wiederholen dürfe. Das war eine ihrer zentralen Aussagen. Doch auch in Essen verband sie dieses Versprechen nicht mit dem Eingeständnis eigener politischer Fehler oder gar einer Mitverantwortung für die damalige „Situation“.

Merkel: "Können feststellen, dass unsere Politik erfolgreich war"

„Die Leute müssen wissen, dass wir glauben, was wir sagen“, sagte Otto Wolf, der Vorsitzende der Senioren-Union später. Nun ja, doch das wird schwerfallen, wenn man nicht vor dem zentralen inneren Widerspruch die Augen und Ohren verschließt, den die CDU-Vorsitzende ihrer Partei-Basis und vor allem ihren Wählern zumutet.

Die Erzählung der Kanzlerin über die Einwanderung in den Jahren 2015 und 2016, die sich auch im Leitantrag der Partei findet, geht so: „Deutschland hat im vergangenen Jahr Hunderttausende Menschen in Not aufgenommen und ihnen geholfen. Gleichzeitig haben wir hart dafür gearbeitet, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, indem wir Fluchtursachen und illegale Menschenschleusung bekämpft haben. Rund ein Jahr später können wir feststellen, dass unsere Politik erfolgreich war.“

„Angela Merkel ist nicht mehr unschlagbar“
CSU-Chef Horst Seehofer„Es ist gut, dass jetzt Klarheit herrscht und dass sie sich entschieden hat. Auf dieser Grundlage können wir jetzt zwischen CDU und CSU – so wie immer beabsichtigt – klären, mit welchen politischen Themen wir gemeinsam in den Wahlkampf gehen und wo möglicherweise eine eigene Position der CSU erforderlich ist. (...) An der gemeinsamen Kanzlerkandidatin können Sie ja jetzt nicht ernsthaft zweifeln.“ Quelle: dpa
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann„Die Bundestagswahl ist offen, Angela Merkel ist nicht mehr unschlagbar. (...) Bis zu Beginn des Wahlkampfes erwarten die Bürger zu Recht, dass wir das Land gut regieren.“ Quelle: dpa
SPD-Vizechef Ralf Stegner via TwitterAngela Merkel tritt als Spitzenkandidatin für CDZ/CSZ Christlich Demokratische/Soziale Zwietracht an. Weder unterschätzen noch überbewerten.“ Quelle: dpa
CDU-Generalsekretär Peter Tauber via Twitter„Ich freue mich, für und mit Angela Merkel in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. Hurra!“ Quelle: REUTERS
Grünen-Chef Cem Özdemir Quelle: dpa
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter„Ich bin mal sehr gespannt, wie Angela Merkel ihren eigenen Laden zusammenhalten will. Wir werden Frau Merkel mit Blick auf die Wahl 2017 für das kritisieren, was ihre Regierung unterlassen oder falsch gesteuert hat.“ Quelle: dpa
Linken-Chef Bernd Riexinger„Die erneute Kandidatur von Angela Merkel ist ein Signal dafür, dass sich nichts im Land ändern soll. Es droht erneut eine große Koalition und damit ein „Weiter so“ der Politik der sozialen Spaltung.“ Quelle: REUTERS


Was genau war erfolgreich? Die Aufnahme von Menschen in Not? Oder die Reduzierung der Zahl der Flüchtlinge? Der Leitantrag lässt das offen. Es ist wirklich viel verlangt, im Jahr 2015 die unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen für richtig zu halten und dann im Jahr darauf die Reduzierung von deren Zahl feiern zu sollen - angeblich durch eigene Maßnahmen, konkret: Bekämpfung von Fluchtursachen und Menschenschleusung.
Natürlich weiß jeder – sicher auch die Kanzlerin und alle anderen CDU-Mitglieder – dass sich an den so genannten Fluchtursachen so gut wie nichts verändert hat, weder in den kriegsversehrten arabischen Ländern noch in Afrika. Es wäre auch vermessen, von Deutschland zu erwarten, an diesen Bedingungen innerhalb von einem Jahr etwas ändern zu können. In Syrien und dem Irak herrscht weiter Krieg, wie Merkel selbst betonte, und der Migrationsdruck aus Afrika ist ungebrochen.

Und was die Schleuser angeht: Die waren in der zweiten Jahreshälfte 2015 ohnehin auf dem Balkan arbeitslos, da die Durchreise nach Deutschland quasi-staatlich organisiert wurde.

Die Wirklichkeit ist: Entscheidend für den Rückgang der Zuwandererzahlen ab Frühjahr 2016 war und ist dagegen die Sperrung der Grenzen auf der Balkanroute. Und die erfolgte bekanntlich zum ausdrücklichen Missfallen der Kanzlerin. Absurderweise steht diese Sperrung jetzt im Leitantrag als vierter von mehreren Aspekten, die dafür gesorgt hätten, „dass unsere Politik erfolgreich war“. Unsere?


Verkaufen kann Merkel dieses absurde Narrativ, dass 2015 richtig war, was man aber nun nie wieder tun dürfe, nur, indem sie das Anschwellen des Einwandererstroms im vergangenen Jahr als schicksalhaftes Ereignis darstellt und das offensichtliche – nämlich die Sogwirkung der damaligen Willkommenspolitik – standhaft leugnet. In Merkels Worten: "Ich habe euch einiges zugemutet, weil uns die Zeiten einiges zugemutet haben." Sofern man ihr diese Ausrede abnimmt, kann sie auch die „Flüchtlingskrise“ nach ihrem Erfolgsschema der quasi-naturwissenschaftlichen Lösung von Problemen darstellen.
Merkels Narrativ der Flüchtlingskrise ist also eine Variante ihrer bewährten Wahlkampfstrategie der „asymmetrischen Demobilisierung“, die man als asymmetrische Verschleierung bezeichnen könnte: Ihre unverwechselbar unklare, umständliche Ausdrucksweise und die Unerkennbarkeit ihrer eigentlichen Antriebe, an die sich die Deutschen aber gewöhnt haben, sind dafür eine gute Voraussetzung.

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